Bauwelt

Automatisch ganz vielfältig und bunt

Die Dauerausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt am Main wird an einem authentischen Ort präsentiert: in einem historischen Wohnhaus der Familie Rothschild. Die Gestaltung übernahm Space4 aus Stuttgart.

Text: Scheuermann, Anna, Offenbach am Main

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    Die Ausstellungsgestaltung nimmt sich den unterschiedlichen räumlichen Gegebenheiten an.
    Foto: Norbert Miguletz

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    Die Mischung aus neutralen und historischen Räumen mit originaler Ausstattung macht das Rothschild-Palais zum authentischen Ort und Exponat der Ausstellung.
    Foto: Norbert Miguletz

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    Das schwarze Modell des Palais.
    Foto: Norbert Miguletz

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    Das schwarze Modell des Palais.

    Foto: Norbert Miguletz

Automatisch ganz vielfältig und bunt

Die Dauerausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt am Main wird an einem authentischen Ort präsentiert: in einem historischen Wohnhaus der Familie Rothschild. Die Gestaltung übernahm Space4 aus Stuttgart.

Text: Scheuermann, Anna, Offenbach am Main

Vor gut anderthalb Jahren, im Oktober 2020, konnte das Jüdische Museum Frankfurt nach einer Bauzeit von rund fünf Jahren seine neuen Räumlichkeiten eröffnen. Den Wettbewerb für die Sanierung der Bestandsgebäude − das älteste kommunale jüdische Museum in Deutschland ist seit 1988 im historischen Rothschild Palais und dem Nachbarhaus am nördlichen Mainufer untergebracht − und den Erweiterungsbau hatte Volker Staab Architekten im Frühjahr 2013 für sich entscheiden. Wegen der steigenden Covid-19-Infektionszahlen und der dadurch verordneten Schutzmaßnahmen musste es jedoch nach nur elf Tagen schon wieder schließen. Doch das sei nur am Rande erwähnt. Im Frühjahr 2021 konnte das Museum − nach einer rein digitalen Überbrückungszeit − schrittweise wieder eröffnen und kann mittlerweile durchgängig an sechs Tagen in der Woche besucht werden.
Am Abschluss der ehemaligen Wallanlagen der Stadt, nur wenige Meter vom Main entfernt, nimmt das neue Gebäudeensemble nun eine wichtige städtebauliche und stadthistorische Rolle ein. Dank des neugestalteten Bertha-Pappenheim-Platzes öffnet sich das Museum einerseits ganz selbstbewusst zur Stadtgesellschaften und andererseits zeigt es sich verschlossen wie ein „kantiger Felsen“ (Wolfgang Jean Stock, in Bauwelt 2.2021). Umso mehr überrascht zeigen sich Besucher und Besucherinnen nach Durchschreiten der (Sicherheits-)Schleuse über das außerordentlich helle und warme Innere des Neubaus, auch die unterschiedlich inszenierten Ausblicke auf die umgebende Stadt sind wirklich sehr beeindruckend.
Doch die neue Dauerausstellung des JüdischenMuseums „Wir sind Jetzt. Jüdisches Frankfurt von der Aufklärung bis zur Gegenwart“ befindet sich nicht, wie vielleicht erwartet, in dem neuen Gebäude, das neben vielen weiteren Funktionen im Untergeschoss eine Fläche von rund 650 Quadratmetern für Wechselausstellungen bereit hält. „Die weibliche Seite Gottes“ hieß die erste dortige Sonderausstellung, „Rache. Geschichte und Fantasie“ ist die aktuelle Schau, die bis zum 17. Juli läuft. Die neue permanente Ausstellung füllt und belebt den bis ins kleinste Detail sanierten Rothschild-Palais (aus dem Jahr 1822) und das angrenzende Nachbarhaus, beides waren ursprünglich Wohnhäuser und dazu noch nur über einen leichten Höhenversprung miteinander verbunden. Keine leichte Aufgabe für die Architektinnen und Gestalter, hier ein zukunftsweisendes und inklusives Ausstellungsdesign zu entwickeln.
Das Büro Space4 aus Stuttgart, zusammen mit teamstratenwerth aus Basel, wurde 2013 mit der Museografie beauftragt, also fast zeitgleich mit dem Auftrag für die Architektur an Volker Staab Architekten. Vor der Arbeit an dem eigentlichen Museum realisierte das Team zuerst die Ausstellungsgestaltung der Dependance Judengasse (Fertigstellung 2016) im Untergeschoss der Frankfurter Stadtwerke. Hier schufen sie für die bis dato unattraktiv präsentierten archäologischen Funde des jüdischen Ghettos ein wertvolles Schatzkästchen. Die Arbeit an der Konzeption und Gestaltung der Dauerausstellung für das Museum am Untermainkai begann parallel mit den Ausarbeitungen für die Sanierung des Rothschildpalais durch die Architekten rund um Volker Staab. Gemeinsam mit der Bauherrin (die Museumsdirektorin Martina Wenzel war 2016 vom Jüdischen Museum in Berlin an den Main berufen worden) begann die Zusammenarbeit eng verzahnt und es wurden gemeinsam wichtige Entscheidungen gefällt: über die gewünschte Dramaturgie, die nötige Beleuchtung und Belichtung oder die Wegeführung. Herausgekommen sind vielfältige und interaktive Welten, die das Judentum in Frankfurt allen Besucher und Besucherinnen lebhaft näher bringen.
Auf rund 1500 Quadratmetern Ausstellungsfläche, die auf drei Geschosse verteilt ist, erzählt die Inszenierung „Wir sind Jetzt“ die Geschich­te jüdischen Lebens in Frankfurt von der Gegenwart (im obersten Stockwerk) bis in die Aufklärung und Emanzipation um 1800. Die Zeit davor wird im Museum Judengasse behandelt. Den persönlichsten und vielleicht auch intensivsten Eindruck erhält man am Ende des Ausstellungsrundgangs, wenn drei bekannte, aber gänzlich unterschiedliche Frankfurter Familien vorgestellt werden: die aus Osteuropa stammende Familie von Valentin Senger, die berühmte Bankiersfamilie der Rothschilds und die bürgerliche Kaufmannsfamilie von Anne Frank. Während zu Beginn des Rundgangs eine interaktive Multimedia-Wand steht, auf der die herantretenden Besucher von zeitgenössischen Frankfurterinnen begrüßt und eingeladen werden, das Museum selbständig zu erkunden, wird am Ende des Wegs, bei der Ausstellung von Alltagsgegenständen von Anne Frank und ihren Verwandten, fast gänzlich auf den Einsatz von digitalen Medien verzichtet. Zwischen den beiden Polen wird mit Hil­fe diverser digitaler und analoger Hilfsmittel eine jüdische Welt vermittelt, der sich jede Besucherin individuell annähern kann.
Jedes Geschoss, sogar jeder Raum bildet eine Einheit mit der Ausstellungsarchitektur, so dass der persönliche Rundgang automatisch ganz vielfältig und bunt wird. Je nach Zeit und Interesse können tiefer gehende Texte gelesen, Dokumente angehört und angeschaut werden, mit Bauklötzen gebaut, Karten gespielt oder digitale Medien gestartet und bestimmt werden. Weiterführende Inhalte können Dank des „Museum To Go“ Konzepts sogar auch für zuhause digital erfasst und nachträglich angeschaut werden. Die Ausstellungstexte und -gegenstände sowie die dazugehörigen technischen Geräte und Hilfsmittel wurden in dreidimensionale Strukturen integriert, die sich je nach Größe und Form der Ausstellungsräume unterschiedlich ausbreiten. Ein wenig erinnert es an eine Minecraft-Ausstellungswelt, die aus lauter Würfeln zusammengesetzt wurde. Der jeweilige Raum und die darin befindliche Ausstellungsarchitektur bilden jeweils eine Einheit: Licht, Farbe, Möblierung, Objekte und Effekte sind perfekt aufeinander abgestimmt. Der Aufwand bei der Zusammenstellung und Programmierung der Inhalte muss enorm gewesen sein und ist so bestimmt nicht für viele Museen in Deutschland finanziell und personell umsetzbar. Vielleicht hat hier die Verlängerung der Bauzeit sogar dazu geführt, die Museografie inhaltlich und räumlich noch weiter zu perfektionieren. Nicht zu vergessen, dass die tägliche Bereitstellung und die jeweiligen Updates der multimedialen Gadgets und Hands-On-Stationen einen weiteren dauerhaften Kostenfaktor für das Museum bilden.
Einer der rundum stimmigsten Momente ist der ehemalige Musiksalon und die daran anschließenden Räume. In den perfekt wieder hergerichteten Wohnräumen, die Richtung Norden auf den neuen Bertha-Pappenheim-Platz und Richtung Süden durch transluzente Vorhänge auf den Main schauen, steht das schwarze „Puppenhaus“ des Rothschildpalais. Auf Knopfdruck gehen einzelne Lichter im Haus an, die sowohl historische Szenen im ursprünglichen Wohnhaus als auch zeitgenössische Szenen im aktuellen Museum zeigen. Hier verbindet sich Vergangenheit und Gegenwart des Palais auf eindrückliche Art und Weise und die Besucher werden Teil der Inszenierung.
Henning Meyer, einer der Gründungspartner von Space4 und zuständig für das Jüdische Museum Frankfurt, hat bei einem Gespräch seine veränderte Rolle als Ausstellungsgestalter treffend beschrieben: Früher sei man mit einer besseren Innenraumgestaltung beauftragt worden, mittlerweile sei der Ausstellungsarchitekt ein Regisseur für die museale Erzählung und Inszenierung geworden. Diese Rolle müsse für jedes Projekt immer wieder aufs Neue ausgelotet werden, da bei den Auftraggeberinnen unterschiedliche Vorstellungen bestehen würden. Für das Jüdische Museum Frankfurt hat sich dieser Prozess auf jeden Fall gelohnt und zu einem herausragenden Beispiel in der deutschen Museumslandschaft geführt.

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