Bauwelt

Anime Architektur

Das Museum für Architekturzeichnungen zeigt beeindruckende zeichnerische Vorarbeiten für ja­panische Animationsfilme

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    Szenenentwurf für den Film „Ghost in the Shell 2 – Innocence“ (2004)
    llustrator: Takashi Watabe; Copyright: © 2004 Shirow Masamune / KODANSHA · IG, ITNDDTD

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    Szenenentwurf für den Film „Ghost in the Shell 2 – Innocence“ (2004)

    llustrator: Takashi Watabe; Copyright: © 2004 Shirow Masamune / KODANSHA · IG, ITNDDTD

Anime Architektur

Das Museum für Architekturzeichnungen zeigt beeindruckende zeichnerische Vorarbeiten für ja­panische Animationsfilme

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Sciene-Fiction verrät die Ängste ihrer Urheber und Anhänger ebenso sehr, wie sie die Realität ihrer Gegenwart spiegelt. Um wie viel mehr gilt das für Filme dieses Genres, die eine nicht vorhandene, aber mögliche und visuell mit dem Erfahrungshorizont ihrer Betrachter verknüpfte Welt vor Augen stellen. Nicht immer, aber häufig spielen solche Filme tatsächlich in der Welt der Gegenwart oder besser gesagt in deren Kulisse, die sie allerdings in eine unbestimmte Zukunft übertragen und damit gewissermaßen aus den Angeln heben. Das Unwahrscheinliche wird selbstverständlich. Zu den Meisterwerken dieser Art zählen die Arbeiten des japanischen „Anime“-Genres, die aus der Beobachtung der Alltagsrealität das Szenario ihrer Erzählung gewinnen.
Dieses Szenario nimmt in herausragenden Filmen eine eigenständige Rolle ein. Der Hintergrund, vor dem sich die Handlungen der gezeichneten, „animierten“ Figuren vollziehen, wird selbst zum Bestandteil der Erzählung. Das setzt eine überzeugende Darstellung räumlicher Gegebenheiten voraus. In der Ausstellung „Anime Architektur“, die das Berliner Museum für Architekturzeichnung zeigt, wird das architektonische und städtebauliche Inventar dreier Meis­terwerke des Genres beispielhaft vorgeführt, der Filme „Patlabor“ (1989), „Ghost in the Shell“ (1995) und „Ghost in the Shell 2 – Innocence“ (2004), alle drei von Regisseur Mamoru Oshii. Während die beiden älteren Filme noch auf unzähligen gezeichneten und aquarellierten Blät­-tern basieren, wurde der jüngste bereits mit Computerbearbeitung realisiert.
Die von dem seit Jahren mit dem Thema befassten Kurator Stefan Riekeles (Bauwelt 4.2011) erarbeitete Ausstellung vereint verschiedene Kategorien zeichnerischer Vorarbeit für den Animationsfilm. Das Setting legt die räumliche Situ­ation und die spezifische Architektur des Films fest. Das Imageboard vermittelt durch Farbgebung die Grundstimmung der Szenen. Das Layout schließlich wird Szene für Szene gezeichnet, wobei jede Szene aus mehreren „Cuts“ bestehen kann; die Zeichnungen legen Kamerastandorte und Perspektiven fest und geben die Bewegung der später darüber zu legenden Figurenzeichnung vor. Der fertige Anime-Film ist mithin das Ergebnis des Zusammenspiels gezeichneter Vor­lagen, deren gefilmte Endausführung aus mehreren Schichten transparenter Folie über dem Hintergrundbild bestehen kann, so dass Bewegungen im Raum möglich werden.
Die drei erwähnten Filme ziehen ihre Faszination aus der Wiedergabe spezifischer Stadtbilder. Im ältesten geht es um Tokio im Wandel, zwischen tradierter, zum Abriss bestimmter Architektur und der im Hintergrund bereits emporwachsenden Neubebauung. Der zweite Film hat die verschachtelte Räumlichkeit von Hongkong zum Vorbild, während der jüngste ein undefiniertes, an die Gegenwartserfahrung angebundenes Zukunftsbild von Stadt vorstellt.
Insbesondere die Gouachen des Artdirectors Hiromasa Ogura faszinieren durch ihre Präzision bei gleichzeitig stimmungsvoller Farbgebung. Traditionelle, hölzerne Wohnbauten mit schmalen Veranden und Vordächern, Außentreppen und vielfach geteilten Fenstern zeigen alle Spuren von Benutzung und Vernachlässigung, während sich im Hintergrund Hochhäuser auftürmen, die von den Urbanisierungsvorhaben in der Bucht von Tokio inspiriert sind. Die Layouts von Takashi Watabe hingegen zeugen von einem horror vacui, der kein Fleckchen des Papiers frei von präzise angelegten technischen Infrastrukturen lässt, von Rohren, Kabeln und Metallstegen. Es sind Innenräume einer vollständig technisierten Welt, wie sie im Raumschiff – man denke an Stanley Kubricks „2001“ – ihre vollkommene, weil jeglicher Natur entledigte Ausprägung findet. Watabes „Fabrikschiff“, eine „schwimmende Cyborg-Produktionsanlage“, zeigt diese hermetische Räumlichkeit in Vollendung.
In der Ausstellung sind kurze Filmausschnitte zu sehen, in denen die als Einzelwerke an der Wand gezeigten Blätter ihre Rolle in der bewegten Handlung des Films einnehmen. Allein schon wegen der Fülle der Blätter – die Ausstellung kann die komplexe Überlagerung der Arbeitsschritte nur andeuten – werden die einzelnen Zeichnungen nicht gesammelt, es wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Nur einzelne Arbeiten, die ihren Autoren besonders wichtig sind, konnten bewahrt werden, im Grunde gegen die Vorschrift des Studios, das nur den fertigen Film als Produkt gel­-ten lässt. Doch in der Genauigkeit der Beobachtung wie in deren Übersetzung in erfundene, aber mögliche Räume und Architekturen sind die gezeigten Blätter den besten Entwurfsskizzen tätiger Architekten gleich. In ihnen verdichtet sich die Vielfalt der Realität zu einer gültigen Bildmetapher.

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