Bauwelt

Die Haltung der Zurückhaltung

Zum Tod des Münchner Architekten Peter Canisius von Seidlein

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

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Wohn- und Geschäftshaus in der Hildegardstraße, 1996
Foto: Ingrid Voth-Amslinger

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Wohn- und Geschäftshaus in der Hildegardstraße, 1996

Foto: Ingrid Voth-Amslinger


Die Haltung der Zurückhaltung

Zum Tod des Münchner Architekten Peter Canisius von Seidlein

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

Ein außergewöhnlicher Architekt war Peter Canisius von Seidlein auch deshalb, weil er eine zweite Rolle intensiv ausübte – als Mitgesellschafter des Süddeutschen Verlags. Deshalb konnte er sein Büro sorgenfreier als andere führen. Die finanzielle Unabhängigkeit nutzte er für seine dritte Rolle: Der liberale Großbürger beharrte lebenslang darauf, sich mit Verve zu Problemen seiner Heimatstadt München zu äußern.
1925 in eine Traditionsfamilie hinein geboren, war von Seidlein ein streitbarer Geist, ein Citoyen, der sich in Wort und Schrift immer wieder einmischte, wenn es um Fragen von Städtebau und Baukultur ging. Legendär ist sein Auftritt beim Konflikt um den Neubau der Staatskanzlei am Hofgarten in den 80er Jahren: Von Seidlein wies darauf hin, dass der US-Präsident 220 persönliche Mitarbeiter habe, der bayerische Ministerpräsident aber ein Gebäude für 480 Mitarbeiter verlange – allein mit diesen schlichten Zahlen entlarvte er die Monstrosität des Vorhabens.
Prägend für seine Auffassung von Architektur war nicht die Ausbildung bei Hans Döllgast und Martin Elsässer an der damaligen TH München, an der er 1950 das Diplom erwarb, sondern in den folgenden zwei Jahren das Studium bei Mies van der Rohe in Chicago. Erst dort, so hat er im Rückblick berichtet, habe er gelernt, was absolute Klarheit von Konstruktion, Form und Proportion heiße. Als er 1999 zum Ehrendoktor der TU München ernannt wurde, hob sein Laudator Winfried Nerdinger hervor, dass von Seidlein zu den ganz wenigen Nachfolgern zähle, die den hohen Anspruch von Mies aufrecht erhalten hätten. Mit einer solch kompromisslosen Einstellung war aber in München keine Professur zu gewinnen, weshalb von Seidlein von 1974 bis 1996 an der Universität Stuttgart lehrte.
Obwohl er bereits mehrere markante Gebäude ausgeführt hatte, unter anderem in Tübingen und Saarbrücken, musste er es lange Jahre hinnehmen, dass er in München nur ein großes Projekt verwirklichen konnte: die 1984 fertiggestellte Zeitungsdruckerei des Süddeutschen Verlags, die bis heute zu den Meisterleistungen im internationalen Industriebau gehört. Mit ironischem Unterton dankte von Seidlein denn auch 1994 der Stadt München für die Verleihung des Architekturpreises, obwohl er in ihr doch „fast nichts gebaut“ habe.
In seinen späten Jahren hatte er in München mehr Glück. Seit Mitte der Neunziger entstanden von ihm und seinem Partner Stephan Röhrl entworfene Gebäude, die die Stadt sichtbar aufgewertet haben. Ob es das Wohn- und Bürohaus an der Hildegardstraße ist, der Erweiterungsbau der Allianz in Schwabing oder das Bürogebäude am Löwenturm: In allen Fällen handelt es sich um elegante Fassaden-Konstruktionen aus Stahl und Glas, die gerade wegen ihrer Haltung der Zurückhaltung ihre Umgebung bereichert haben.
Aus dem Büro von Seidlein sind mehrere bedeutende Architekten hervorgegangen, neben anderen Christoph Sattler und Thomas Herzog. Wer den Meister kannt, weiß, dass der Umgang mit ihm nicht leicht war. In der Rückschau überwiegt aber bei allen der Respekt vor einem Architekten, dem seine Arbeit „in erster Linie eine Dienstleistung für den Bauherrn und nicht ein Vehikel der Selbstdarstellung“ bedeutete und der doch zugleich von sich selbst Baukultur einforderte. Peter Canisius von Seidlein ist am 30. September in München gestorben.

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