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„Wir haben als Architekten ein Stück entwerferischer Autorität mit den Bewohnern geteilt“

Interview mit Rainer Hofmann von bogevischs buero

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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„Wir haben als Architekten ein Stück entwerferischer Autorität mit den Bewohnern geteilt“

Interview mit Rainer Hofmann von bogevischs buero

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Rainer Hofmann erläutert am Beispiel der fünf Wohnblocks von „wagnisArt“ in der Münchner Domagkstraße wie kollektives Entwerfen funktioniert
Als das Gespräch Ende Juli in München stattfindet, wird in bogevischs buero gerade ein weiterer Workshop mit den künftigen Bewohnern der Wohnanlage „wagnisART“ vorbereitet. Diesmal geht es um die gemeinsame Gestaltung von Fassaden. Rainer Hofmann, einer der beiden Büropartner, zeigt die auffällig „leeren“ Ansichten des künftigen Projekts, auf denen – bis auf die Befensterung der Gemeinschaftsräume – die Häuser noch fensterlos sind. Stattdessen haben die Architekten für den Workshop „Rahmen“ vorgezeichnet, innerhalb derer die Bewohner von ihnen gewählte Fensterformate für ihre Wohnung – liegend oder stehend – platzieren können. Ohne Regeln lässt sich auch das kollektive Entwerfen nicht bewerkstelligen: Die Bewohner können nur auf die Fassaden gestalterischen Einfluss nehmen, die sie von ihrer Wohnung aus sehen werden. Für die Fassade der eigenen Wohnung gilt die Regel, dass eine der „Fremdentscheidungen“ wieder aufgehoben werden darf.
Das Projekt, das Sie für die Genossenschaft wagnis auf einem Teilbereich der ehemaligen Funk-Kaserne gerade entwickeln, geht über herkömmliche partizipative Planungsprozesse im Geschosswohnungsbau hinaus. Üblicherweise betrifft die Mitsprache vor allem die eigene Wohnung, in diesem Fall ging es auch um die Gesamtform des Wohnblocks. Wie begann dieser Planungsprozess für Sie als Architekten?
Rainer Hofmann | Wir sind auf der Ebene der Bauleitplanung eingestiegen. Es gab auf der Basis eines gewonnenen städtebaulichen Wettbewerbs einen Rahmenplan von Ortner und Ortner – ein klassischer Plan, mit einer Gestaltungssatzung für das ganze Gelände. Insgesamt werden hier ca. 1600 Wohnungen realisiert. Die Genossenschaft wagnis hat laut Rahmenplan ein Baufenster für 12.900 Quadratmeter Geschossfläche zur Verfügung. Wir hatten ein Plangutachten gemeinsam mit Schindler Hable Architekten für diesen Teil des Projekts gewonnen und setzen dies nun auch gemeinsam um.
Die Wohnbauten, die die Genossenschaft wagnis in München bisher gebaut hat, tragen Zahlen als Namen, sie sind durchnummeriert. Es gibt wagnis1 bis wagnis4. Dieses Projekt fällt aus dem Rahmen. Es nennt sich nicht wagnis5, sondern wagnisART. Warum?
Die leerstehenden Bauten der ehemaligen Funk-Kaserne, die ab 1993 Stück für Stück aufgelassen wurde, hatten über viele Jahre hinweg Künstlern als Atelier und auch als Wohnraum gedient. Es gab hier eine weit über die Stadt hinaus bekannte Kolonie mit mehr als 200 Künstlern. Atelierräume sind in München Mangelware. Ein Ziel der neuen Bebauung, das von der Stadt gefördert wird, ist diese Struktur zu erhalten. Es gibt deshalb einen Künstlerhof mit ca. 100 Ateliers in einem erhaltenen Altbauensemble, der von der Stadt mit 7,5 Millionen Euro unterstützt wird. Und im Rahmen unseres Baus entstehen auch Wohnprojekte, an denen Künstler beteiligt sind, die dann in räumlichem Zusammenhang wohnen und arbeiten können.
wagnisART ist ein Wohn- und Arbeitsprojekt nur für Künstler?
Nein, überhaupt nicht! Die Mischung ist überaus vielfältig. Es entstehen circa 140 Wohnungen für Familien, Singles, Allein­er­ziehende und ganz unterschiedliche Wohngruppen. Es gibt Werkstätten, Restaurants, Co-Working-Räume, Bühnen, Gästezimmer, Gemeinschaftsküchen. Die Künstler sind eine Gruppe unter vielen.
Sie haben in einer Reihe von Workshops mit den Bewohnern nicht nur über die Grundrisse der Wohnungen gesprochen, sondern auch die Gesamtform der Bauten, die Position der Gemeinschaftsräume und der halböffent­lichen Erschließung entwickelt. Wie lief dieser Prozess ab? Was ist nötig, damit weitergehende Formen des „Gemeinsam-Entwerfen“ überhaupt gelingen?
Wir sind mit einfachen Regeln gestartet, die es möglich machten, immer neue Facetten des gemeinschaftlichen Wohnens zu besprechen. In einer der ersten Runden hatten wir beispielsweise einen Stapel Holzlatten in die Mitte des Raumes gelegt. Jeder brachte eine Schublade mit. Die Regel war, dass jeder seinen „Schubladen-Raum“ mit drei anderen mittels Latten verbindet. Da­bei waren Mindestabstände und Minimalhöhen über Boden zu berücksichtigen. Dann gab es noch eine Störregel: „Alles darf bemalt werden, aus­genommen der eigene Bereich.“ Wir haben uns so mit unterschiedlichen Modellen an eine gemeinsame Idee herangetastet.
In einer anderen Runde haben wir Pappkartons zu einem Haus gestapelt. Da die Kartons unterschiedlich groß waren, ergaben sich auf der Außenseite Fugen. Diese Fugen lassen Räume und Flächen entstehen. Der Weg zur Idee der verbindenden Brücken, die es bei unserem Haus geben wird, entstand im Verlauf dieses Workshops.
Wie weit geht dieser Prozess?
Die Grundfrage, die man in solchen Workshops klären kann, ist: „Wie kommt man von der individuellen Idee der eigenen Wohnung zu einer Vorstellung der Gemeinwohlidee der Räume in einem Wohnkomplex, die gemeinsam genutzt werden?“
Wenn es um die eigene Wohnung und deren unmittelbare „Umgebung“ geht, stößt die Bereitschaft, sich mit anderen abzustimmen, meist schnell an Grenzen. Woher kommt das methodische Werkzeug, das Sie in solchen Prozessen mit ganz unterschiedlichen Konfliktsituationen einsetzen?
Ritz Ritzer und ich haben solche Verfahren ja in einer ganzen Reihe von Bauten bereits praktiziert (siehe Heft 36.2012). Wir arbeiten, soweit dies im Geschosswohnungsbau möglich ist, immer so früh wie möglich mit den Bewohnern zusammen und entwickeln unser Instrumen­tarium aus diesen Erfahrungen. In der Tat ging der Prozess bei diesem Projekt jetzt weiter als dies bisher geschehen ist. Wir haben uns in diesem Fall zurückgenommen und ein Stück der entwerferischen Verantwortung, der entwerfe­rischen Autorität, wirklich geteilt. Wir haben auch die grundsätzliche Gebäudeform gemeinsam entworfen. Das war auch für uns Neuland. Zu ihrer Frage nach den Grundlagen: Ich habe ja 1995 meinen Master an der Iowa State University gemacht und mich da und in meiner dort anschließenden Lehrtätigkeit intensiv mit partizipativen Prozessen und der Rolle des Architekten auseinandergesetzt. Zu jener Zeit arbeiteten dort Jennifer Bloomer, Cathrine Ingraham und andere – wir konnten z.B. eine partizipative, auf einfachen Regeln basierende Hausstruktur als eine Art Folly 1:1 mit den Studierenden entwickeln. (AIA-Preis für vorbildliches Lehrprojekt 1996, A.d.R)
Wie ging dieser gemeinsame Findungsprozess der großen Form weiter? Sie haben die Frage der räumlichen Verbindungen angesprochen – zu diesem Zeitpunkt war alles noch sehr ab­strakt.
Wir haben Testentwürfe machen lassen. Das lief relativ zäh. Aber es hat Entscheidungsprozesse in Gang gesetzt. Es entstanden Prinzipien, die für alle wichtig waren. Zum Beispiel gab es den starken Wunsch, auch „Einzelgruppierungen“ innerhalb des Gesamtensembles zuzulassen. Das heißt, dass Leute mit vergleichbaren Interessen in einem näheren räumlichen Zusammenhang wohnen wollten als mit anderen. Ein weiteres Prinzip das gewünscht wurde, war die räumliche Verbindung über die Dächer. Es sollte Wege und Brücken geben, die das übliche und wenig kommunikative Erschließungs-System Haustür-Treppenhaus erweitern. Das hat dann den Entwurf beeinflusst.
Interessanterweise hat sich die gemeinsame Arbeit ganz zu Anfang mit den Schachteln als sehr hilfreich herausgestellt. Denn sobald sich diese Schachteln – jede stand ja für eine Wohneinheit – gegeneinander verschoben, ergaben sich durch Zurückstaffeln eigenwillige Zwischenräume, die dann die Idee gemeinsamer Bereiche ins Gespräch brachten.
Was wurde dann aus den Testentwürfen?
Wir hatten schließlich zwei sehr konträre Konzepte. Einen eher strengen Block, der auf einer sehr großen Erdgeschosszone aufsitzt, in der es viele Gemeinschaftsfunktionen geben könnte. Und eine offenere Lösung aus fünf freigeformten Baukörpern, die zwei unterschiedlich große Höfe umschließen.
Wie wurde entschieden?
Nach einem Kriterienkatalog. Jeder konnte bis zu drei Punkte vergeben, und so hat sich im Zuge einer Abstimmung die zweite Lösung durch­gesetzt. Entscheidend waren sicher die zuvor diskutierten gemeinsamen Prinzipien, von denen ich gerade gesprochen habe. Insbesondere die Möglichkeit, individuelle Gruppen und Nachbarschaften zu bilden, lässt sich in dem zweiten Modell einfach besser umsetzen.
Können Sie die Erfahrungen, die bogevischs buero bei diesem Projekt bis dato gemacht hat, zusammenfassen?
Der Vergleich mag sich merkwürdig anhören, aber dieses Verfahren ähnelt doch sehr dem parametrischen Entwerfen – wobei die zugrunde liegenden Werte natürlich aus einer ganz anderen Ecke kommen. Die Idee des Schwarms, also die Idee einer Vielstimmigkeit der Haltungen und der Einflussparameter, die in einem solchen Prozess zusammenkommen, gefällt uns wirklich sehr. Und die Identifizierung der Bewohner mit ihrem künftigen Haus ist bei einem Prozess, wie wir ihn hier gerade erleben, einfach viel viel größer!
Fakten
Architekten bogevischs buero, München
aus Bauwelt 36.2013
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