Bauwelt

St.-Agnes-Kirche in Berlin


Interview mit Johann König, Roger Riewe und Arno Brandlhuber über das Konzept zur Umwidmung der ehemaligen St.-Agnes-Kirche in Kreuzberg von Werner Düttmann


Text: Thein, Florian, Berlin; Geipel, Kaye, Berlin


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    Florian Thein, Johan König, Roger Riewe, Arno Brandlhuber (v.l.n.r.)
    Foto: Kaye Geipel

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    Florian Thein, Johan König, Roger Riewe, Arno Brandlhuber (v.l.n.r.)

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    St. Agnes kurz nach Fertigstellung
    Foto: Wolf Lücking, Akademie der Künste, Berlin, Werner –Düttmann-Archiv, Wv.22/67

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    St. Agnes kurz nach Fertigstellung

    Foto: Wolf Lücking, Akademie der Künste, Berlin, Werner –Düttmann-Archiv, Wv.22/67

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    St. Agnes im April 2015, noch eingerüstet
    Foto: Ute Zscharnt

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    St. Agnes im April 2015, noch eingerüstet

    Foto: Ute Zscharnt

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    Blick von der ehemaligen Orgelempore in den Hauptaustellungsraum
    Foto: Ute Zscharnt

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    Blick von der ehemaligen Orgelempore in den Hauptaustellungsraum

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    ... unter dem Tisch das Schaulager
    Foto: Ute Zscharnt

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    ... unter dem Tisch das Schaulager

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Vor knapp drei Jahren haben wir über das Konzept zur Umwidmung der ehemaligen Kirche St.Agnes in der Kreuzberger Alexandrinenstraße in eine Kunstgalerie berichtet (Bauwelt 26.2012) Als einzige bauliche Maßnahme teilt nun ein großer Betontisch horizontal den Hauptraum des denkmalgeschützten, von Werner Düttmann 1965–67 im Stil des Brutalismus errichteten Gebäudes. Kurz vor Eröffnung der Ausstellungshalle haben wir uns mit dem Galeristen und Bauherrn Johann König, dem Entwurfsverfasser Arno Brandlhuber und dem ausführenden Architekten Roger Riewe getroffen und ein Gespräch über Denkmalschutz, räumliche Qualität und Kinderfußproblematik geführt.
Die Umwidmung einer ehemaligen, noch dazu denkmalgeschützten Kirche zur Kunstgalerie ist nicht alltäglich – wie kamen Gebäude, Architekt und Nutzer zusammen?
Arno Brandlhuber Vor einigen Jahren habe ich auf einem Symposium erfahren, dass St.Agnes als Erbpacht von der katholischen Kirche veräußert werden soll und wahrscheinlich verschwindet, wenn sich kein Käufer findet. Diese Information habe ich in die Kunstszene gestreut, dann gab es zwei Interessenten die sich beworben haben, und Johann hat letztlich den Zuschlag bekommen.
Johann König Es gab wohl auch früher schon einmal Berliner Künstler, die sich mit einer neuen Nutzung für das Objekt befasst haben. Damals wollte die katholische Kirche allerdings noch fix zu einem extrem hohen Preis verkaufen …
AB und die Denkmalbehörde hatte gleich klargestellt: oben neue Fenster, an der Seite Fenster – das geht nicht.
JK Das Interessante ist tatsächlich, dass in der Vergangenheit alle Umnutzungsideen immer mit der Denkmalpflege kollidiert sind. Wir haben St.Agnes ja auch erworben, ohne genau zu wissen, ob wir machen können, was wir machen wollten. Die Idee, eine Ebene einzuziehen, gab es von Anfang an, das war immer die Vision von Arno, aber ich bin da ziemlich blauäugig rangegangen. Allerdings – wenn es den Denkmalschutz nicht gegeben hätte, dann gäbe es Kirche und Gemeindezentrum heute nicht mehr, dann wäre alles abgerissen. In der Hinsicht bin ich total dankbar. Für uns war im Vorfeld damals auch das Interview mit Arno in der Bauwelt sehr wichtig – das war ein entscheidender Zug.
AB Der Artikel kam genau zum richtigen Zeitpunkt – keine achtundvierzig Stunden nach Erscheinen hat sich der Landesdenkmalrat bei uns gemeldet und wollte das Konzept noch einmal ganz ausführlich erläutert bekommen. So kam es dann zu einer guten Zusammenarbeit mit der obersten Ebene. Die haben viel mitgetragen und auch verstanden.
JK Auf der anderen Seite wurden dann Punkte, die eigentlich schon geklärt waren, auf Sach-bearbeiterebene wieder aufgerollt und haben für schlaflose Nächte gesorgt. Beispielsweise beim Originalboden: Entweder ich pflastere alles mit Heizkörpern voll und verliere die Raumwirkung oder ich muss den ohnehin schon kaputten Originalboden opfern, weil ich acht Zentimeter dickes Stirnholzparkett nicht auf die Fußbodenheizung kleben kann.
AB Es ist aber auch so, dass die Denkmalbehörde weiß, dass die eigentlichen Änderungen oft durch die Hintertür kommen. Deshalb sind Vorgaben so restriktiv. Problematisch wurde es nur, wenn die Entscheidungen in der Hierarchie wei-ter nach unten rutschten und man sich dann an einem unbedeutenden Detail aufhielt.
Könnte vielleicht eine neue Programmatik im Denkmalschutz Veränderungen jenseits des vorgegebenen Rahmens ermöglichen?
AB Eine der Prämissen der Charta von Venedig ist, dass es nicht nur darum geht, das Denkmal als Substanz zu erhalten, sondern dass es um neue Nutzungen, um „der Gesellschaft nützliche Funktionen“ geht und es ohnehin Zeitschichten und Adaptionen gibt. Somit könnte eine kulturelle Nutzung für mehr Beweglichkeit an anderer Stelle sorgen. Solche Abwägungsprozesse sind schwierig. Da fehlt im Grunde genommen eine die Restriktionen überwindende Kultur des Mitgestaltens. Das ist eine systemische Frage die im Nahbereich ein Problem wird.
Wie kamen Riegler Riewe Architekten als ausführendes Büro mit ins Team?
Roger Riewe Das lief über private Kontakte zu Johann.
JK Arno war für den Entwurf zuständig, wollte aber von Anfang an ein weiteres Büro mit der Ausführung betrauen.
AB Wir arbeiten hauptsächlich im Wohnungsbau und an Sonderbauten, sind zwar gut im Konzipieren, aber wenig erfahren mit Sanierungsfragen. Für ein solches Projekt fehlte uns im Büro einfach die Bauleitungskompetenz.
Welches waren die Kernelemente des Entwurfs im Bezug auf das Davor und das Danach, also auf Kirche und Kunstraum. Wo lässt sich eine Abkehr, eine Entsakralisierung lesen, wo möglicherweise eine Kontinuität, eine Verbindung?
AB Der wichtigste Punkt für mich war, nur eine einzige Maßnahme zu planen. Nicht zu sagen: da ein paar Heizkörper, da eine neue Oberfläche, da ein neuer Eingang. Es ging um ein einziges Element, das alles bewerkstelligen kann – einen Tisch reinstellen, der alles mitbringt. Das ist sozusagen die Kontinuität im Minimalen. Das zweite war, das Material beizubehalten. Düttmann hat einen Bau entworfen, dem diese Eigenschaft, diese Fähigkeit zum Ausstellungsraum eingelagert ist. Unser Part war es, dieses Potenzial mit einem einzigen Schnitt aufzudecken. Der Blick ging vorher automatisch nach oben zum Licht. Weil das Oberlicht so hoch war, wusste man – das ist eine Kirche. Der Blick ist jetzt ein radikal anderer, ein horizontaler, aber die Lichtqualität bleibt die gleiche.
RR Es war wichtig, diesen Tisch reinzustellen, dadurch ist der obere Bereich nicht mehr so sakral wie vorher, das Sakrale kam durch diese Nebenschiffe, die jetzt mit dem ehemaligen Hauptraum zu einem geschichteten Raumgefüge im Erdgeschoss geworden sind. Interessant in Erscheinung getreten sind jetzt die drei Stufen zur Ebene, wodurch die gesamte Ausstellung im Bereich des Erhabenen liegt. Die Kunst als moderner Priester – fast ein messianisches Thema.
Konzeptionell betrachtet ist der Tisch sicher ein sauberer Schnitt, aber bei aller Einfach-heit, steckt in der Ausführung doch ein enormer Aufwand.
RR Das Einfache ist nie einfach. Schwierig ist, es so hinzubekommen, dass die ganze Mühe nicht mehr zu erkennen ist. All die Gedanken, die da drin sind, die müssen einfach weg sein.
AB Und jede blöde Schlaufe der Betonkernaktivierung muss man möglichst unsichtbar irgendwo durch die Seite einführen, das erfordert im Bauprozess eine ungeheure Präzision.
RR Wenn du dann noch mit einer Bestandsaufnahme arbeitest und nicht weißt, wie genau die eigentlich ist – am Ende stehst du mit Zollstock und Laser daneben, um das überhaupt hinzubekommen. Dazu kommen unglaubliche Normen und Richtlinien – das sind praktisch immer Stolpersteine. Aber man findet auch immer eine Lösung. Wenn nur Bedenkenträger im Team sind, dann wird es schwierig, aber da waren wir gut aufgestellt. Mich würde eher stören, wenn da keiner irgendwas sagt, weil dann gar keine Reibung mehr da ist, kein Dialog. Dann glaubt man die ganze Zeit, man macht etwas falsch.
JK Diese ganzen Vorgaben sind teilweise schon reformierungsbedürftig, die Honorare geben gar nicht her, was da an Gedanken rein fließt. Wir zerbrechen uns zwei Wochen lang den Kopf, wie man ein Problem lösen könnte, mit einer Firma, und dann noch einer, und noch einer.
AB Aber noch mal: Der Tisch kann ja alles. Der bringt die Statik und die Heizung mit, da sind Strom und Medien drin, um alle Defizite des Übergangs von der Kirche zur Ausstellungsnutzung zu beheben. Das war fast wie eine Entdeckung, dass die Kirche als Ausstellungsraum wirklich funktioniert. Man sieht Modelle, hat Zeichnungen, aber man weiß es erst sicher, wenn es eins zu eins gebaut ist.
RR Wie wir da vorher auf der Empore standen, wir haben uns auf einen Stuhl gestellt und immer wieder geschaut, wie das denn in etwa wird. Erst als die Schalung reingekommen ist, hat man zum ersten Mal so eine annähernd richtige Vorstellung von den Proportionen bekommen.
JK Ich hatte ja schon überlegt, mit einem Gerüst eine Ebene einzubauen, aber auch das ist nicht dasselbe, es muss schon Beton sein. Die Unsicherheiten waren tatsächlich bis zuletzt groß. Das ist ja wie bei einem Kunstwerk – was da ist und was man sieht, erfährt man. Und das kann man ja erst jetzt erfahren, wo es gebaut ist.
Noch mal zum Bild des Schnitts. Ein Schnitt erzeugt ja immer eine Spalte, eine Fuge. Wie wurde mit der Fuge zwischen Tisch und der bestehenden Rabitzwand umgegangen?
AB Es gibt ein von Düttmann angelegtes Fugendetail beim rückwärtigen Anschluss der Orgelempore. Diese Fuge ist so breit, dass gerade noch ein Streifen Licht durchfällt. Das wäre sozusagen der richtige Umgang gewesen, genau diese Fuge ringsum. Jetzt kommt aber noch die Kinderfußproblematik hinzu. So eine Fuge darf nämlich nur vier Zentimeter breit sein, damit ein Kinderfuß nicht durchrutschen kann. Wenn du die zehn Zentimeter breit machst, wie Düttmann es beim Original gemacht hat, brauchst du ein Geländer. Jetzt haben wir umlaufend eine vier Zentimeter breite Fuge zwischen Tisch und Rabitzwand. Es muss noch ein Stück Licht durchfallen, man muss es noch erkennen. Aber am liebsten hätte ich gesagt: Kinder werden an die Hand genommen.
JK Dann bekommen wir aber auch keine Abnahme.
AB Diese gesamte Rabitzwand ist ja nicht statisch – Düttmann erzeugt eine riesige Leinwand, um diese extrem raue Fläche darzustellen, aber dann merkt man, es ist eigentlich ein Bild.
JK Wir waren ja alle total überrascht: Wegen eines Wassereinbruchs krachte plötzlich alles zusammen und auf einmal guckte man da hoch. Alle dachten ja, das sei wie eine Außenwand, also Mauerwerk mit Putz. Und auf einmal guckte man da in einen Schacht, mit großem Abstand und nur Draht, der diese Wand zusammenhält.
AB Das passt natürlich zu deinem Programm – die gesamte Rabitzwand ist eigentlich eine bildgebende Oberfläche. Die größte Arbeit in der Galerie ist tatsächlich von Düttmann.
RR Das ist ja auch interessant beim Brutalismus, dass der oft so manieriert ist und oft nur so tut als ob.
AB Jetzt muss man diesen Zwischenraum aus Brandschutzgründen schließen. Auf der einen Seite haben wir dieses extrem saubere Konzept mit dem Tisch, und hier brauchen wir jetzt noch so ein Stückchen Brandschutzboard. Wir hätten es auch mit einer Sprühnebelanlage machen können, aber die Preisdifferenz ist so enorm, da konnten wir Johann leider nicht überzeugen.
War die Entscheidung für St.Agnes als Kunstraum denn in erster Linie eine visuelle oder konzeptuelle?
JK Ich habe ja einen Schwerpunkt in der konzeptuellen Kunst und es ist eine konzeptuelle Architektur, aber das lässt sich nicht trennen – Raum und Material, das gehört zusammen. Das eine begleitet immer das andere. Die Ästhetik folgt ja einer Logik. Das Abweisende, das Grobe nach außen hin, nach innen das weiche Licht, das Offene, das sind ja ästhetische Aspekte. Es ist aber auch ein bisschen eine Liebeserklärung an Berlin. Wir sind hier ja im Mittelpunkt der Stadt. Rund dreißig Meter von hier gibt es diesen Stein „Zentrum von Berlin“.
Inwieweit ist die Sakralität des Raumes für die neue Nutzung hinderlich?
JK Ich finde ihn für eine Kirche gar nicht so sakral. Er hat eher die Qualität von einem Kaisersaal im Museum, den Mittelpunkt aufs Werk gelegt, keine Fenster. Das ist ja auch typisch, die Hauptsäle der Museen sind ja meist monumentale Räume, die fünfzehn, zwanzig Meter hoch sind, keinen Ausblick zulassen und nur Oberlicht haben.
Der Raum strahlt aber, vor allem durch dieses Seitenlicht schon noch eine ziemlich unmittelbare Sakralität aus.
JK Stimmt. Ich bin aber nur mit Museumsräumen sozialisiert. Ich war als Kind in allen Museen, aber nie in Kirchen. Deshalb war es für mich wichtig, dass es keine Kirche mehr ist. Dass es zu sehr Kirche sein könnte, habe ich eigentlich nie gesehen.
AB Du hast es von Anfang an als Museum gelesen.
JK Ich kannte Kirchen nur wie man sich eine Kirche vorstellt, mit Giebel, aus Backstein. Erst später habe ich eine Leidenschaft für die Nachkriegsmoderne entwickelt, gerade der Kirchenbau der Nachkriegsmoderne hat ja Unglaubliches hervorgebracht. Formal habe ich bei St.Agnes eher Museumsräume wiedererkannt.
AB Es gibt einen Hinweis, dass auch Düttmann das Gebäude als Bildausstellungsraum gedacht hat: Als die Kirche fast fertig war, ging das Geld aus, es fehlte aber noch die Ausstattung. Da hat er selbst ein Marienbildnis gemalt, das dann in der Kapelle hing. Dieses Bild hat die Kirche in Besitz genommen. Eigentlich gehört aber die Ausstattung immer mit zum Denkmal. Es wäre also wirklich wünschenswert, schon aus denkmalpflegerischer Sicht, dieses Bild wieder an seinem angestammten Platz zu sehen.
Ein Element, das allerdings nach wie vor Zeichen für eine Kirche ist, ist der Turm. Was passiert mit dem?
JK Auch den Turm habe ich nie als Kirchenelement gelesen. Ganz oben wird es eine Nasszelle geben.
Eine Nasszelle?
AB Oberhalb der Hochhausgrenze sind nur Nebenräume genehmigungsfähig und ein Bad zählt nicht als dauerhafter Aufenthaltsraum.
JK Aber natürlich kommt da auch Kunst rein, und eine Einliegerwohnung für die Galerie, für Kunden, Künstler und auch Büro und Besprechungsraum.
Wie werden die Räume belichtet?
JK Oben ist eine Lichtkuppel und es gibt die Turmfenster, die erstaunlicherweise immer so passen, dass sie genau auf einer Ebene sind. Das funktioniert alles sehr gut, nur im Winter wird’s kalt.
Der Beton des Turms musste auch saniert werden.
RR Es wurden alle schadhaften Stellen rausgenommen, dann gespachtelt und beschichtet, das war sehr umfangreich. Der Beton ist permanent dem Wetter ausgesetzt und war, nicht zuletzt wegen der Höhe, extrem verwittert.
JK Ich vermute in 25 Jahren wird man wieder sanieren müssen.
AB Du hast die Kirche jetzt für hundert Jahre, das heißt, du darfst noch viermal sanieren.



Fakten
Architekten Riegler Riewe, Berlin; Brandlhuber+ Emde, Schneider, Berlin
Adresse Alexandrinenstraße 118-121, 10969 Berlin


aus Bauwelt 19.2015
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