Bauwelt

„Meist kommt die ganze Familie zu Besuch.“

Interview mit Winfried Schmidbauer von Heinle, Wischer und Partner

Text: Buschbeck, Tobias, Berlin; Redecke, Sebastian, Berlin; Schmidbauer, Winfried, Stuttgart

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„Meist kommt die ganze Familie zu Besuch.“

Interview mit Winfried Schmidbauer von Heinle, Wischer und Partner

Text: Buschbeck, Tobias, Berlin; Redecke, Sebastian, Berlin; Schmidbauer, Winfried, Stuttgart

Wie war der Empfang, als Sie in den siebziger Jahren erstmals in Sana'a ankamen?

Winfried Schmidbauer| Ich habe selten ein herzlicheres Volk getroffen als die Jemeniten. Man saß oft außerhalb der Planungsbesprechungen bei Tee oder Kaffee zusammen – sie sind uns äußerst freundlich entgegengekommen. Im Verlaufe des Projekts, nachdem ein bestimmtes Vertrauen vorhanden war, haben wir immer wie­der Ersatzteile oder Medikamente aus Deutschland mitgebracht. Wir lieferten das Material ab und bekamen unser Geld – cash. Einmal bin ich mit fast 120.000 DM in lauter Zwanzigern aus dem Jemen nach Deutschland eingereist. Sie können sich vorstellen, was für ein Packen Papier das war. Eine Summe, die ich den Kollegen im Büro als Vorkasse erst einmal vermitteln musste. Ohne harte Währung konnte so gut wie nichts bestellt werden. Wenn bei einem Röntgengerät oder Laser ein Teil kaputtgegangen war, dann stand das Gerät monatelang herum, bis wir mit den Ersatzteilen kamen.
 
Wie kam es dazu, dass das Büro Heinle, Wischer und Partner im Jemen tätig wurde?
Zwei Kollegen, einer davon aus unserem Büro, arbeiteten an einer Studie über das Gesundheitssystem im Jemen. Die hatte ein Bekannter initiiert, der bei der FAO (Food and Agriculture Organization der UN) in Rom arbeitete und dessen Frau Ärztin war. Aufgrund dieser Beziehung wur­den wir eingeladen, ein Angebot und Skizzen für die Erweiterung des Al Thawra Hospitals abzuliefern. Es folgten monatelange Verhandlun­gen mit den Ministerien, bis der Vertrag unterschriftsreif war. Damals gab es noch nicht einmal stabile Telefonleitungen.
 
Das Krankenhaus heißt übersetzt „Krankenhaus der Revolution“. Wie kam es dazu?

Nach der Revolution im Jemen im September 1962 hat die UdSSR dieses Krankenhaus finanziert, gebaut und mit Ärzten aus Ländern des Warschauer Paktes ausgestattet. Dies ist der Grund, weshalb die Revolution in den Namen eingeflossen ist. Es gibt dort in jeder größeren Stadt ein Al Thawra Krankenhaus, um den Fortschritt zu dokumentieren.


Was waren die wesentlichen Unterschiede bei der Planung im Vergleich zu Deutschland?

Es gab damals im Jemen keine Planung, wenn ich das so sagen darf. Wir haben ein Verständnis dafür eingeführt – maßstäblich, mit Raumbezeichnungen, Quadratmeter-Angaben sowie ei­ner detaillierten Ausführungsplanung. Auch die Entwicklung des Raumprogramms war für uns ungewohnt. So wurde z.B. ursprünglich dreigeschossig geplant, bei einem Besuch der Ärzte in Deutschland teilten sie uns dann mit: „Now, order by the president, you have to build an additional floor.“ So entstand das vierte Geschoss auf Anweisung der Regierung. Wir haben das protokolliert und gegenzeichnen lassen, was wichtig war, da sich bei der Abrechnung später niemand mehr daran erinnern wollte.
 
Was waren die größten Herausforderungen?

Die Projektbeteiligten im Land bei der Stange zu halten und ihre fachlichen und privaten Interessen unter einen Hut zu bringen. Man will sich profilieren und erwartet auch Geld. Zumindest war das damals so. Wir hatten es immerhin mit dem Finanz- und dem Gesundheitsminister zu tun und dazu mit den Ärzten im Krankenhaus.
 
Wie entstand das Konzept der Patientenzimmer-Loggien?

Im Bettenhaus, dem zweigeschossigen Haus, das zur Pathologie hinüberführt, gab es diesen Vorraum schon. Damals eigentlich mehr, um frische Luft zuzuführen. Wir haben das Motiv aufgenommen und das Patientenzimmer um diese Loggia erweitert, weil jemenitische Patien­ten meist von ihrer ganzen Familie besucht werden. So konnten sich Angehörige nach draußen setzen. Außerdem diente die Loggia als Sonnenschutz, vor allem im Sommer. Im Wintersteht die Sonne tiefer, leuchtet das Zimmer aus und erwärmt es. Eine Heizung im Patientenzimmer wurde damals kategorisch abgelehnt.
 
Man sieht deutlich, dass dies keine Standard- Architektur ist, sondern eine Kombination aus jemenitischen und europäischen Formelemen­ten. Wie wurden die Fassaden entwickelt?

Wir haben uns möglichst nah an die Architektur des Landes angelehnt, deshalb gibt es außen den Ziegel und die Holzfenster. Auch die seitli­chen Holzgitter zwischen den Loggien stellen eine Bezug zur lokalen Architekturtradition her.
 
Was beim Besuch beeindruckt, ist die große Anzahl von Patienten und Besuchern. Wie war dies damals?
Die Eröffnung unseres Krankenhauses lief im Fernsehen. Dadurch wurde es zu einem Magneten. Die Patienten kamen aus 300 Kilometer Entfernung angereist, um hier behandelt zu werden. Ursprünglich war die Poliklinik für 600, dann für 800 Personen ausgelegt, am Ende waren es bis zu 2000. Das hat zu einer starken Verdichtung geführt. Damit die Ärzte und Schwestern in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen können, wurden an den Zugängen Guard Houses errichtet, die den Zustrom regulierten und an de­nen die Waffen abgegeben werden mussten.
 
Seit 1985 ist das Krankenhaus stark gewachsen und erweitert worden. Wie waren die Erweiterungen ursprünglich gedacht?

In der Planung waren Erweiterungsflächen vor dem Gebäude vorgesehen. Der Gartenhof sollte als Ort mit hoher Aufenthaltsqualität erhalten bleiben. Im aktuellen Zustand wurde er jedoch, entgegen unserer Empfehlung, bebaut.
 
Wenn man vor Ort ist, erscheint es zwingend, dass Solaranlagen verwendet werden. Dennoch sind sie nicht weit verbreitet. Wie erklären Sie sich das?

Das hängt im Wesentlichen wohl damit zusammen, dass die Solaranlagen aus dem Ausland kommen, was die Sache zu teuer macht. Außerdem legen die Jemeniten auf warmes Wasser keinen großen Wert. Der Strom war bisher relativ billig, und viele besitzen einen kleinen Generator – früher war es ein VW-Motor –, mit dem sie ihren Strom erzeugen. Was darüber hinausgeht, interessiert nur eine wohlhabende Minderheit. Unsere Anlage, die 1983 in Betrieb ging, war damals eine absolute Novität. Schwierig war es auch, die Wartung zu organisieren. Wir haben die Mitarbeiter geschult und eine ständige Bauleitung vor Ort gehabt. Die Schulung und Fortbildung an den Geräten führte leider auch dazu, dass die Mitarbeiter, die etwas von der Technik verstanden, von Banken und anderen Unternehmen abgeworben wurden, da sie dort mehr verdienten als im Krankenhaus. Das war ein ständiger Kampf. Wir haben das Krankenhaus noch fünf Jahre nach der Übergabe betreut.
 
Was würden Sie im Nachhinein anders machen?

Wir hatten nicht ausreichend Platz. Heute würde ich die Wartezonen größer machen, weil der Publikumsandrang derartig stark ist, und ich nicht sehe, wie sich das ändern soll. Außerdem würde ich keine verdeckt liegenden Be- und Entwässerungsleitungen mehr planen, sonderneinen begehbaren Schacht. Es ist oft nötig, ein Fallrohr zu reinigen, weil jemand den Rest eines Qat-Strauchs in die Toilette geschoben hat und der an der nächsten Krümmung hängenbleibt.
 
Was meinen Sie, wie man fortfahren sollte?

Ich würde mir die Krankenhäuser dort genau an­sehen, um zu analysieren, was im Jemen heute angemessen ist. Wie weit hat sich das Gesundheitswesen weiterentwickelt? Reicht die Medizinische Fakultät, die damals aufgebaut worden ist, aus, um eine Klinik mit qualifizierten Ärzten zu versorgen? Die dort tätigen Ärzte waren meist im Ostblock ausgebildet, weil das jeminitische Abitur in Westdeutschland nicht anerkannt war. So wurde die geistige Elite auf den Kommunismus eingeschworen. Irgendwann hatte sich Saudi-Arabien um zehntausend Stipen­diaten gekümmert, die in westlichen Ländern studierten, um ein Gegengewicht zu erzeugen.
 
Wurden Sie in dieser Hinsicht tätig?

Am Ende unserer Tätigkeit hatten wir Mediziner aus Heidelberg und Tübingen in den Jemen gebracht, um dort Untersuchungen, Behandlun­gen, Operationen und Fortbildungen zu machen. Wir haben auch jemenitische Ärzte aus dem Krankenhaus für die weitere Ausbildung nach Tübingen gebracht. Das ist alles irgendwann eingeschlafen, leider.
 
Sie haben eine große Spannbreite an Auslands­projekten bearbeitet. Welche Quintessenz würden Sie in der Gegenüberstellung des Projektes in Saan'a mit etwa dem Generalsekretariat des europäischen Parlaments in Luxemburg als ei­nem Ihrer aktuellen Auslandsprojekte ziehen?

Planen in Sana'a bedeutet, auf Grundlage eigener Regeln vorwärtszukommen, und Planen in Luxemburg bedeutet, sich mit vielen bürokrati­schen Hürden auseinanderzusetzen.
Fakten
Architekten Heinle, Wischer und Partner, Stuttgart
aus Bauwelt 26-27.2010

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