Bauwelt

Die Schönheit der großen Straße

Kulturhauptstadt Ruhr.2010

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Die Schönheit der großen Straße

Kulturhauptstadt Ruhr.2010

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Darum geht es bei dem Ausstellungsparcours entlang der B1/A40: Um das (Neu-)Entdecken eines stark frequentierten Verkehrsraums durch Wechsel der Perspektive: runter von der Autobahn, gucken, was rechts und links der Straße zu finden ist, und Un- und Resträume mit Bedeutung aufladen.
„Delikatfisch Braun“ ist eine Welt für sich. Sie liegt am Ende des Schwiesenkamp auf den Stadtgrenzen von Duisburg und Mühlheim. Die beiden großen Städte sind hier aber weit weg. Die drei Hektar große Fischfarm mit ihrem Blick in die Ruhrauen wirkt wie ein kleines „Wasserschloss à la Ruhrgebiet“: eine einzige ästhetische Übertreibung aus Anglerteichen, Klein- und Großarchitekturen und skurrilen Garten­elementen wie etwa jenen zu großen Kugeln mutierten Bodendeckern. „Alles von einer Hand zu betreiben“, kommentiert Fischzüchter und Räuchermeister Braun mit Stolz die errungene Autarkie der seiner Phantasie entsprungenen Anlage.
Es sind solche Analogien zu Ansätzen zeitgenössischer Künstler, die Kurator Markus Ambach bewogen haben, „Delikatfisch Braun“ und weitere rechts und links der Autobahn entdeckte Raumpioniere an seinem Kunstprojekt „B1/A40 – Die Schönheit der großen Straße“ zu beteiligen: das Besetzeneines schlecht verwertbaren Raums und seine Umdeutung in etwas Neues – „ohne das jetzt mit Kunst gleich setzen zu wollen“, wie Ambach einschränkt. Eben darum geht es bei diesem Projekt der „Kulturhauptstadt Ruhrgebiet“: Um das (Neu-)Entdecken eines stark frequentierten Verkehrsraums durch Wechsel der Perspektive: runter von der Autobahn, gucken, was rechts und links der Straße zu finden ist, und Un- und Resträume mit Bedeutung aufladen. Entschleunigung, Prozess, Metamorphose sind die Schlagworte, unter denen diese ungewöhnliche Schau steht. Das Ruhrgebiet, ist Ambach überzeugt, kann sich nur aus den Strategien der Menschen „vor Ort“ heraus neu erfinden.
Wie das gehen kann, lässt sich gleich in der Nachbarschaft der Fischfarm begutachten: auf dem „Wanderweg Kreuz Kaiserberg“. Der gut ausgeschil­derte Spaziergang führt durch die Resträume, die diese hypertrophe Verkehrsarchitektur produziert hat, und zu ihren dauerhaften und temporären Besiedlern. Die Frequenz der Schnittfolge und die Härte der Kontraste sind nichts für Empfindsame. Ohrenbetäubend ist der Lärm auf den Fußwegen, die unerwartet den Auto- und Eisenbahntrassen folgen, und durchaus ekelerregend deren zentimeterdicke Verschmutzung durch Taubenkot. Doch plötzlich steht der „Wanderer“ vor einer Idylle: dem Pumpwerk Kaiserberg. Das Frankfurter Künstlerduo Finger hat in diesem Biotop acht Bienenvölker angesiedelt, die Blütennektar aus dem Umkreis des Autobahnkreuzes sammeln. Die Analyse des Honigs hat nicht nur Aufschluss gegeben über den Pflanzenbestand der Umgebung, er ist auch von tadelloser Qualität – die Bienen nehmen die Schadstoffe des Verkehrs nicht auf. Im Rhein-Ruhr-Zentrum Mühlheim, eine der ersten großen Shopping Malls in NRW, wird der Honig nun angeboten.
Wer von hier nach Osten zu den weiteren Ausstellungsorten aufbricht, erlebt die Stadtlandschaft des Ruhrgebiets nur selten – die Gestaltung der Autobahn als Straßenraum mit geringer Reizdichte blendet die teilweise groteske Nähe von Verkehr und Wohnen, wie sie dem Autofahrer im Zentrum von Essen deutlich wird, meist aus. Dass die Menschen diese Nähe nicht nur aushalten, sondern auf ihre Weise zu überhöhen wissen, zeigte während der Fußball-WM der maßstäblich fernverkehrswirksame Einsatz der Nationalfarben ebenso wie der „Drift“ auf dem Hofdes zentralen Tuning-Ausstatters des Ruhrgebiets zur Eröffnung der Ausstellung.

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