Bauwelt

Otto Neurath

Städtebau von unten?

Text: Escher, Cornelia, Zürich

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Otto Neurath

Städtebau von unten?

Text: Escher, Cornelia, Zürich

Als Otto Neurath 1903 zum Studium nach Berlin zog, wurde er sofort von sämtlichen Leiden befallen, die Soziologen und Mediziner seiner Zeit als Schäden des Großstadtlebens identifizierten.
Der gelernte Ökonom und spätere Graphiker, Kurator und Philosoph erholte sich jedoch bald von der Großstadtmaladie, 1907 wurde er hier promoviert, und kam zu äußerst produktiven Kontakten mit Städtebau und Architektur. Das Buch von Nader Vossoughian widmet sich diesen Kontakten: Der Rolle Neuraths im Wohnungsbau im Wien der frühen zwanziger Jahre – 1920 wurde er Generalsekretär des Österreichischen Siedlungs- und Kleingartenverbands, 1924 Direktor des Wiener Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums –, der Kooperation mit dem Mundaneum-Projekt Paul Otlets, entworfen von Le Corbusier, und schließlich Neuraths Teilnahme am vierten CIAM Kongress (Athen).
„Painstaiking archival work“, so der Autor, sei die Basis seines Werks. Tatsächlich gelingt es Nader Voussoughian, sofern er nahe an den Quellen bleibt, neue Erkenntnisse zu bergen und etwa das Scheitern der Kooperation mit den CIAM inklusive der Differenzen mit Cornelis van Esteren, Sigfried Giedion und Laslo Moholy Nagy detailliert nachzuzeichnen. Die großzügigen Illustrationen mit den Graphiken Neuraths allein, mit deren Eingängigkeit er beim einfachen Arbeiter des einsetzenden massenmedialen Zeitalters anstrengungslos Wissen über das Funktionieren der Gesellschaft vermitteln wollte sind von ungebrochener Anziehungskraft und lassen den Wunsch wachsen, das Buch zu besitzen.
Leider ist die Gliederung des Buches weniger geglückt; der thematische Ordnungsversuch ist über eine biographisch-chronologische Erzählweise gezogen wie ein Kleidungsstück, das nicht so recht passen will. Dabei erscheinen die jeweils gewählten Kontextualisierungen teils ungerechtfertigt – wenn etwa im Kapitel „Community“ das „Zigeuner-Siedeln“ als selbstermächtigende Siedlungsstrategie in Wien seitenlang aus dem geistigen Werdegang Neuraths als Schüler des Nationalökonomen Ferdinand Tönnies abgeleitet wird und mögliche Wurzeln wie die Gartenstadtbewegung oder Bezüge zum Roten Wien eher am Rande erwähnt und nicht recht verständlich werden.
Auch die Kapitelüberschriften sind nicht eben glücklich gewählt: Das Kapitel „Democracy“ etwa schildert Neuraths Aktivitäten als Leiter des Kriegswirtschaftsmuseums zu Leipzig seit 1917, ernannt durch das Kriegsministerium des Deutschen Kaiserreichs, ohne sich eines möglichen Widerspruchs
bewusst zu werden. Ein Jahr zuvor war er in die Wirtschaftsabteilung des österreichischen Kriegsmi­nis­teriums berufen worden. Die politischen und administrativen Rahmenbedingungen von Neuraths Projekten werden generell zu wenig belichtet, da der Autor seinen „Helden“ partout als Vorläufer eines partizipativen Städtebaus „von unten“ sehen will. Mit Enttäuschung muss er am Ende feststellen, dass Neurath diesem impliziten Anspruch immer weniger entsprach, was dem Kapitel „Globalism“ zu einem eigenartigen Twist mit tadelndem Unterton verhilft.
Hilfreich wäre es gewesen, eingangs statt Aussagen über Neuraths Verdienst und Aktualität eine klare Ansage über die inhaltliche und methodische Struktur zu platzieren und das Buch statt des anachronistischen Epilogs über „Neurath heute“– die Neurath ins Internetzeitalter katapultiert – mit einer Bibliographie zu beenden.
Fakten
Autor / Herausgeber Nader Vossoughian
Verlag Nai Publishers, Rotterdam 2011
Zum Verlag
aus Bauwelt 18.2012
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