Bauwelt

Entwurfsatlas Wohnen im Alter

Text: Haberle, Heiko, Berlin

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Entwurfsatlas Wohnen im Alter

Text: Haberle, Heiko, Berlin

Obwohl die Herausgeber Eckhard Feddersen und Insa Lüdtke ihren Lesern eine schweizlastige Publikation ankündigen, wagt ihr „Entwurfsatlas – Wohnen im Alter“ einen aufschlussreichen Blick über den Tellerrand in andere alternde Gesellschaften: Während man sich in Deutschland und der Schweiz langsam vom Altenheim verabschiedet und alternative, oft gemeinschaftliche Wohnformen forciert, konzen­triert man sich in Skandinavien auf die ambulante Pflege. So werden etwa in Dänemark bereits seit 1987 keine Sonderwohnformen mehr errichtet. In den USA dienen Universitätscampus oder Themenhotel als Vorbilder für neue Wohnanlagen. In Japan, das keine Arbeitsmigranten kennt, werden Pflege- und Gesellschaftsroboter die Zukunft bestimmen.
Die übrigen Texte beziehen sich auf medizinische (Demenz), soziale (Hospizwesen) und wirtschaftliche (Pflegewirtschaft, Projektsteuerung), genauso wie auf gestalterische Aspekte (Freiraum­gestaltung, Innenarchitektur). Leider fällt ausgerechnet die Betrachtung architektonischer Aspekte zu knapp und zu vage aus. Stattdessen werden die gravierenden „sozio-demografischen, kulturellen und organisatorischen Veränderungen“ deutlich.
Die Texte sind gut lesbar und haben mit zumeist vier Seiten eine angenehme Länge. Es dominieren Zahlen, Daten und Fakten sowie konkrete Handlungsvorschläge. Die 39 Projekte aus 15 Ländern, die in Kapiteln wie „Mehrgenerationen-Wohnen“ oder „Zielgruppenorientiertes Wohnen“ zusammengefasst werden, sind oft zu umfangreich dokumentiert. Die Beispiele aus den USA, darunter ein Heim für Angehörige der Amish mit Indoor-Dorfkulisse und ein Wohn­park für Homosexuelle im Stil mexikanischer Lehmputzbauten, sind kurios, zeigen aber einerseits, dass der Markt für Wohnatmosphären auch hier Fuß gefasst hat, und demonstrieren andererseits, dass be- stimmte Wohnformen, etwa für Demenzpatienten,ganz spezielle Umgebungen verlangen, die sich architektonischer Betrachtung scheinbar völlig entziehen.
Architektonisch beeindruckend sind vor allem Beispiele aus Spanien und Japan, etwa das klösterlich streng geführte Wohnheim in Alcázar de San Juan oder das Haus für Fischer und Landwirte an der Südspitze des „japanischen Festlands“. Leider hat die schwierige, international angelegte Suche nachbisher wenig publizierten Projekten aber auch einige durchschnittliche Bauten auf die Buchseiten gebracht. Dessen waren sich wohl auch die Herausgeber bewusst, denn während das Gros der Projekte mit eher lieblosen Schwarz-Weiß-Fotos dokumentiert ist, sind die überzeugenderen Gebäude mit guten Farbaufnahmen illustriert.
Deutlich wird, dass die aus früheren Publikationen bekannte, geradezu chronische Durchschnittlichkeit vieler alten- oder behindertengerechter Projekte weder Fehlgriffe der jeweiligen Herausgeber waren, noch der Unfähigkeit oder dem Unwillen bekannter „guter“ Architekten geschuldet sind, barrierefrei zu bauen. Vielmehr wird ein grundsätzliches Problem der Architektur deutlich: Alter, Krankheit und Behinderung sind als alleinige Gestaltungsthemen kaum tragfähig. Wir brauchen gute Architektur, die für einen möglichst großen Personenkreis nutzbar ist, so wie es unter den Schlagworten „Universal-“ oder „Inclusive-Design“ gefordert wird. Die Herausgeber sind hierbei absolut auf der Höhe der Zeit. Doch leider wählen sie als Dokumentationsform einen „Atlas“, der auf der überholten Vorstellung von nachschlagbaren spezifischen Typologien für Alte und Behinderte beruht. An diese Handbücher erinnert die vorliegende Publikation dann auch im Erscheinungsbild sowie im Aufbau aus Theorieteil und Projektbeispielen immer noch entfernt. Lediglich der sonst obligatorische Planungsratgeber fehlt. Obwohl oder gerade weil ihr Buch im Hinblick auf Vielschichtigkeit und Ernsthaftigkeit geglückt ist, demonstrieren Eckhard Feddersen und Insa Lüdtke unfreiwillig die Grenzen des Genres: Mehr geht bei diesem Format nicht! Die „Buchtypologie“ des universellen Nachschlagewerks zum Wohnen im Alter wird vermutlich noch vor den entsprechenden architektonischen Typologien verschwinden, in verschiedenen Themenfeldern aufgehen und sich auf Teilaspekte konzentrieren, wie es bereits einige Publikationen überzeugend tun.
Fakten
Autor / Herausgeber Eckhard Feddersen und Insa Lüdtke
Verlag Birkhäuser, Basel Boston Berlin 2009
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aus Bauwelt 26-27.2010

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