Bauwelt

Wüstung Duisburg?

Text: Günter, Roland, Oberhausen

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Katrin Gems

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Katrin Gems


Wüstung Duisburg?

Text: Günter, Roland, Oberhausen

Nach dem gründerzeitlichen Bruckhausen soll nun ein Stadtquartier der fünfziger Jahre verschwinden. Geplant von keinem Geringeren als Max Taut, steht es den wirtschaftlich optimalen Voraussetzungen eines niederländischen Investors im Weg, der hier gern mit einem Factory-Outlet-Center Geld verdienen möchte.
Die Stadt ist dumm genug, darin einen probaten Weg hin zu einer nachhaltigen Entwicklung zu sehen. Die Duisburger Skandalchronik wird lang und länger.

In der Metropole Ruhr, die den „Wandel von der Industrie zur Kultur“ als Motto ausgegeben hat, ereignen sich Skandale, die diesem Anspruch Hohn sprechen. Nachdem Städtebauminister Christoph Zöpel und Karl Ganser 1980 Schluss machten mit der bis dahin gängigen Flächensanierung, verschreibt sich die Stadt Duisburg nun erneut dem damals unfassbaren Abrisswahn. Erster Fall: Bruckhausen. Das industriekulturelle Quartier im Norden der Stadt, das beispielhaft die Stadtentwicklung vor den Toren eines großen Werkes um 1900 zeigt, soll abgerissen werden. Besonders grotesk: mit Finanzen aus dem Landesprojekt „Soziale Stadt“. In einigen Straßen haben die Bagger bereits gewütet (Bauwelt 38.2008). Zweiter Fall: Das Zinkhütten-Quartier. 1957–63 von einem der berühmten Architekten des 20. Jahrhunderts, Max Taut (1884–1967), re­alisiert. Die Ratsvorlagen nennen nicht einmal seinen Namen. Dritter Fall: Die Stadt kündigt den Abriss von drei weiteren Vierteln an – dies würde sie, tief in Schulden stehend, über vier Milliarden Euro kosten. Vierter Fall: Nach einem Geheimpapier sollen im Norden der Stadt 40 Prozent „rückgebaut“ werden – für Industrien, die schlicht phantasiert werden. Menschenverachtende Wahnsinnstaten wie in den siebziger Jahren. Nichts gelernt.

Entsetzt darüber ist Karl Ganser und hält – in der Sprache der Nibelungen – den im letzten Jahr in den Ruhestand verabschiedeten Baudezernenten Jürgen Dressler, der all dies einfädelte, für einen „Unhold“. Christoph Zöpel spricht von „Sozialverbrechen“. Dazu gibt es inzwischen viel Publizität. Stefan Klein schrieb eine Seite in der „Süddeutschen“. Dankwart Gu­ratzsch bezeichnete die Pläne in der „Welt“ als „Stadtmassaker“. Die Intellektuellen der Region regen sich darüber auf. Inzwischen hat der Zorn der Bürger personelle Konsequenzen gezeitigt. Er führte zur Abwahl des Oberbürgermeisters Adolf Sauerland, der all dies zu verantworten hatte, sich dieser Verantwortung aber auf dem Gebiet der Stadtentwicklung eben­­so wenig stellte wie bei der „Love Parade“ mit ihren 21 Toten. Sein angeblich grüner Nachfolge-Resident, Stadtdirektor Pe­­ter Greulich, macht genau so weiter. Der neue Baudezernent Carsten Tum findet die Hinterlassenschaft seines Vorgängers richtig, offenbar ohne die Folgen zu erkennen: Duisburg steht inzwischen weit über die Grenzen der Region hinaus im Ruf, die „Skandalstadt“ an Rhein und Ruhr zu sein. Die Offiziellen reden ganze Stadtbereiche schlecht – und damit letztlich die Stadt selbst. Als Opposition gegen dieses beispiellose „Stadtmassaker“ wenden sich Bürgerinitiativen, die Piraten und der aussichtsreiche parteilose Oberbürgermeister-Kandidat Mi­cha­­el Rubinstein. Ihr Wunsch: Kein nächster Oberbürgermeister aus der alten Parteien-Struktur mit ihrem sprichwörtlichen Filz.

Skandalfall Zinkhütten-Quartier

Auch das Zinkhütten-Quartier liegt im Norden der Stadt, angren­zend an den Ortsteil Alt-Hamborn, in Obermarxloh. 400 Wohnungen entstanden hier Ende der fünfziger Jahre für Hüttenarbeiter von Thyssen. Heute leben 1000 Menschen hier. Damals wurden die Leute als „tüchtig“ gelobt – heute lauten Zuschreibungen im Kontext der Abrisspläne „unwichtig“, „überaltert“, „bloß Rentner“, „viel zu viele“. Warum sollen diese 1000 Menschen von hier verschwinden, überall hin zerstreut werden? Ein Investor will in der Nachbarschaft, auf dem Gelände der geschlossenen Rhein-Ruhr-Halle und des gleichfalls geschlossenen, denkmalgeschützten Stadtbads Hamborn an der Duisburger Straße, ein Outlet-Center bauen. Die 1000 Menschen im Zinkhütten-Viertel sollen Platz machen für – festhalten! – den Parkplatz. Nur dies böte dem niederländischen Investor, der Douvil GmbH, eine wirtschaftlich optimale Basis für die Realisierung des Projekts, schreibt die Stadt, außerdem entspreche dies einer „nachhaltigen und an die Zukunft aus­gerichteten Stadtentwicklungsstrategie“, schließlich stünden allein in Hamborn 2766 Wohnungen leer – wenn auch nicht im Zinkhütten-Quartier. Liest man die Vorteile, die die Stadt für sich zu sehen meint, kann man nur den Kopfschütteln: Da ist die Rede von einer Aufwertung der Stadtteilzentren von Hamborn und Marxloh durch das Outlet-Center, was den Zielen des Einzelhandels- und Zentrenkonzepts der Stadt Duisburg entspreche, von einer Bewahrung des bauhistorischen Charakters des Ortes aufgrund der Fassadengestaltung und der Rückgewinnung von Funktionen eines Oberzentrums, die der Stadt Duisburg gut zu Gesicht stünden. Kaum überraschend stimmte der Stadtrat im letzten Oktober mit quasi chinesischen Abstimmungszahlen für die Aufstellung des entsprechenden Bebauungsplans: 68 von 69 Stimmen dafür. Die Stadt spricht euphemistisch von „sozialverträglicher Umsiedlung“. Helmut Mattern, Kopf der widerständigen Bürgerini­tiative, spottet: „Sozialverträglich nannte man einst auch die Guillotine.“

Hier taucht der nächste Skandal auf: ThyssenKrupp hatte seinen gesamten Wohnungsbestand – allein im Ruhrgebiet rund 48.000 Wohnungen – Ende September 2004 für rund 2,1 Milliarden Euro an ein Konsortium aus der US-amerikanischen Investment-Bank Morgan Stanley und der Kölner Immobiliengruppe Corpus verkauft. Dieses reichte ihn im Oktober 2006 weiter an die französische Immobiliengruppe Foncière des Régions. Seither scheinen soziale Selbstverständlichkeiten, Zusagen, Garantien nicht mehr viel wert. Nun aber funktioniert das Geschäftsmodell dieser und weiterer „Heuschrecken“ nicht mehr: Sie können Wohnungsverkäufe nur noch tröpfelnd re­alisieren, weil der Markt erschöpft ist. Am verbleibenden Rest besteht kein Interesse mehr.

Nächster Skandal: Politik und Verwaltung sind in tiefe Gläubigkeit an den niederländischen Investor versunken. Dieser weist ein Geflecht von undurchsichtigen Firmen vor, die größte hat ein Grundkapital von nur 18.000 Euro. Nicht einmal an einer Bonitätsprüfung sind die Parteien im Rathaus interessiert. Dabei würde ein Anruf in einer Zenrale des kaufmän­nischen Sachverstands genügen, um sich von diesem Irrglauben heilen zu lassen: Die Handelskammer etwa beurteilt das Outlet-Center in einem Gutachten als stadtschädlich.

Ein weiterer Skandal bettet sich in diese Kette ein. Das Datum weist ihn nach. Im Dezember 2011, als die Auseinandersetzung auf dem Höhepunkt war und Denkmalschutz für das Zinkhütten-Viertel gefordert wurde, behauptete Claudia Euskirchen, Leiterin der Unteren Denkmalbehörde Duisburg, das Taut-Quartier sei kein Denkmal, es sei durch Wärmedämmung verändert. Dies ist aber keineswegs der Fall. Reicht ihre Analysefähigkeit nicht mal hin, die Gebäude von Max Taut angemessen zu beurteilen? Die Inkompetenz dieses Urteils schreit derart zum Himmel, dass sich der Verdacht aufdrängt, es hier mit einem Deal zwischen Verwaltung und Politik zu­-tun zu haben, der den Abriss ermöglicht. Andererseits: In­kompetenz wie diese ist nicht nur kein Einzelfall, sie ist geradezu symptomatisch. Ein erheblicher Teil der Denkmalpflege steht immer noch auf Kriegsfuß mit dem Gebauten des 19. und 20. Jahrhunderts. Noch in den siebziger Jahren galten als akzeptable Baudenkmäler nur Kirche, Burg und Schloss. Inzwischen ist die Baugeschichte der letzten beiden Jahrhunderte zwar ins Gesichtsfeld der Denkmalpflege gerückt – von einem adäquaten Verarbeiten kann zumindest im Ruhrgebiet aber höchstens partiell die Rede sein.

Baudenkmal Zinkhütten-Quartier

Um die Qualitäten des Taut-Quartiers zu erkennen, genügt ein Spaziergang mit offenen Augen. Wer sich diesem Vergnügen hingibt, sieht sich einem unverfälschten Dokument für den mentalen und wirtschaftlichen Aufbau Deutschlands in der Nachkriegszeit gegenüber. Damals neu in dieser Gegend war der Massenwohnungsbau mit großstädtischer Prägung, um der Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg und der Zuwanderung aus den Ostgebieten zu begegnen. Gesucht war Reform-Orientierung – sowohl für Nutzen wie für Schönheit. In der Nachkriegszeit konnte es dafür kaum einen Planer mit mehr Erfahrungen geben als Max Taut. Taut legte hier einen umfangreichen Versuch vor, den Massenwohnungsbau so menschlich wie möglich, differenziert und interessant zu gestalten. Gesucht: Licht, Luft und Sonne. Weitergeführt bedeutet dies: Natur. Kern-Idee des Quartiers: Landschaft. Sie wird am Rand umstanden von Gebäuden. Die Mitte ist Raum. De­ren Qualität heißt Natur. Ein weiter Atem-Raum. Die grüne Fläche ist leicht gewellt. Sie wirkt schwebend. Landschaft ist intensiviert durch Baumgruppen. Die Bauten rundherum ge­ben ihr einen platzartigen Charakter.

Hans Scharoun und Walter Rossow propagierten: Landschaft quer durch die Großstadt. So stellten sie sich den Wiederaufbau von Berlin vor. Kurz nach dem Zinkhütten-Quartier erstand dort mit demselben Konzept das Hansaviertel neu im Zuge der Interbau. Ebenfalls beteiligt: Max Taut. In Duisburg hatte der Architekt eine einzigartige Formulierung des Grundgedankens realisiert, der von Rossow so formuliert wurde: „Die Landschaft muß das Gesetz werden.“ Dies hatte weitreichende Wirkung für den Siedlungsbau. Allerdings wurde das Thema nach und nach so banalisiert, dass es verschwand.

Die Bebauung an den Seiten ist variabel: mit unterschied­li­chen Höhen, meist fünf, teils drei und zwei Geschossen, gesteigert als Abschluss im Osten und Westen. Variabel sind auch die Fassaden. Scheibenflächen. Optische Koppelungen. Lineare Akzente. Es wechseln Flächen und Räume sowie weiße vertikale Linien. Dies erinnert an die Kunst von Wassily Kandinsky und an Paul Klees Grundkurs am Bauhaus. Die dort vorgestellten Mittel, Punkt, Linie und Fläche, werden auf den Fassaden des Zinkhütten-Quartiers konsequent genutzt. Hin­zu kommt eine Dimension, der sich die Brüder Max und Bruno Taut mehr als alle anderen Zeitgenossen widmeten: den Materialien als Trägern von Farbe. Bruno Taut entwickelte in den zwanziger Jahren in Magdeburg die „farbigen Siedlungen“. Max Taut nimmt den Impuls erneut auf. Fassaden-Kompositionen mit Farben: gelbe und rote Ziegel-Flächen zu blauen Brüstungen. Weiße vertikale Streifen gliedern und setzen Akzente. Ich kenne keine Gestaltung im Massenwohnungsbau, die derart mit Farbe arbeitet.

Auffallend: die Einfachheit der Details. Der Hintergrund ist Werkbund-Denken. Die Einfachheit kehrt sich ab von der Repräsentations-Kultur. Ausdrücklich – auch als gesellschaftliches Programm formuliert – wendet sie sich dem Alltag zu. Sie will das Alltagsleben veredeln, es kulturell entwickeln. Im Kontext der neuen Verhältnisse erhält die wiederaufgenommene Moderne zusätzliche Bedeutungen. Die demonstrative Einfachheit zeigt eine ähnliche Philosophie wie der deutsche Beitrag zur Weltausstellung Brüssel 1957. Er hatte größten internationalen Erfolg. Kein Auftrumpfen, sondern: Bescheidenheit, Menschlichkeit, Vernünftigkeit. Und Schönheit, die nicht aus Luxus und Repräsentation entsteht, sondern aus den Möglichkeiten des Einfachen – als „Einfachheit mit Geist“.

Man sieht, die Denkmalpflege hat keinen Grund, dem Abriss des Taut-Quartiers zuzustimmen. Sämtliche Details sind vorzüglich erhalten. Die Wohnungen sind gut gepflegt. Und städtisches Handeln sollte Werte sichern – durch Abweisen der Veränderung des Flächennutzungsplans und durch Denkmalschutz. Dieser Klassiker muss vor einem sozialen und kulturellen Verbrechen bewahrt werden.  
Fakten
Architekten Taut, Bruno, (1880-1938)
aus Bauwelt 21.2012
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