Bauwelt

Münchner Trumpf

Ob in Finnland oder Spanien, in den Niederlanden oder Österreich – vielerorts in Europa werden Bahnhöfe saniert, erweitert oder neu errichtet. Die Ergebnisse können sich häufig sehen lassen. In Bezug auf deren Architektur kann die Deutsche Bahn bislang nicht mithalten. Mit dem Entwurf für den neuen Münchener Hauptbahnhof hat sie allerdings einen Trumpf in der Schublade

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

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Die aktuelle Planung für den neuen Münchner Hauptbahnhof wurde kürzlich dem Stadtrat vorgestellt
Abbildung: DB Station &Service AG/Auer Weber Architekten

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Die aktuelle Planung für den neuen Münchner Hauptbahnhof wurde kürzlich dem Stadtrat vorgestellt

Abbildung: DB Station &Service AG/Auer Weber Architekten


Münchner Trumpf

Ob in Finnland oder Spanien, in den Niederlanden oder Österreich – vielerorts in Europa werden Bahnhöfe saniert, erweitert oder neu errichtet. Die Ergebnisse können sich häufig sehen lassen. In Bezug auf deren Architektur kann die Deutsche Bahn bislang nicht mithalten. Mit dem Entwurf für den neuen Münchener Hauptbahnhof hat sie allerdings einen Trumpf in der Schublade

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

Diesen Text schreibt ein leidenschaftlicher Bahnfahrer. Nicht zuletzt aus ökologischen Gründen sucht er Flugreisen zu vermeiden. Er kennt aber auch die Schattenseiten: Züge, die nicht fahren, weil Lokomotivführer streiken, ICE-Abteile mit Temperaturen zwischen Eisschrank und Sauna, Stillstand auf der Strecke oder Verspätungen – wegen brennender Böschungen oder defekter Stellwerke. Wer die Bahn liebt, der liebt auch Bahnhöfe, freilich nur solche, die Baukultur aufweisen. Und da hapert es in Deutschland (Bauwelt 23.12). Die Defizite reichen vom kupierten Hauptbahnhof in der Hauptstadt bis nach Aschaffenburg in Unterfranken, wo ein Denkmal der fünfziger Jahre durch einen groben Klotz mit angedocktem Parkhaus ersetzt wurde.
Von Flickwerk zu Flickwerk
Auch am Münchener Hauptbahnhof bietet sich derzeit ein Bild des Jammers. Es ist das Ergebnis einer wechselvollen Baugeschichte. Im Zweiten Weltkrieg war der Kopfbahnhof, von 1847 bis 1849 nach Entwürfen von Friedrich Bürklein errichtet und dann mehrfach erweitert, weitgehend zerstört worden. Erhalten blieb im Wesentlichen die Fassade des Mitteltrakts. Nachdem die beschädigten Hallen demontiert worden waren, wurden bis 1957 die letzten historischen Reste gesprengt. Der neue Hauptbahnhof entstand in mehreren Schritten: zunächst die – leider unwirtliche – Schalterhalle, dann das Empfangsgebäude (beides bundesbahninterne Entwürfe von Heinrich Gerbel, denn der Wettbewerb von 1956 für das Gebäude verlief im Sande), schließlich, von 1958 bis 1960, die beeindruckende Gleishalle von Franz Hart. Immerhin zwanzig Jahre später wurde der Bundesbahn das Flickwerk bewusst. Ohne Wettbewerb ging 1980 der Auftrag zur Umgestaltung des Hauptbahnhofs an die Architekten Fahr und Partner, die durch den Einsatz von poliertem Stahl und großen Glasflächen eine „Kathedrale des Fortschritts“ schaffen wollten (Bauwelt 30–31.1986). Zwar wurden ganze Bauteile, wie die Durchgangshalle und das Reisezentrum, umgestaltet und der Querbahnsteig mit neuartigen Kiosken bestückt, doch auch dieses Projekt blieb Stückwerk: 1994 wurden die Arbeiten eingestellt.
Ein neuer Anfang
Nachdem aus der Deutschen Bundesbahn die Deutsche Bahn AG geworden war, nahm diese in München einen weiteren Anlauf. Der Hauptbahnhof sollte nun durch einen weitgehenden Neubau ersetzt werden. Im Jahr 2003 wurde ein Wettbewerb ausgelobt, der 2006, nach mehreren Überarbeitungen der Entwürfe, zu einem Ergebnis führte: Den 1. Preis erhielten die Architekten Auer und Weber. Von Anfang an gab es zwei wichtige Vorgaben – zum einen war die zu Recht als Denkmal geschützte Gleishalle von Franz Hart zu integrieren, zum anderen der Neubau auf die geplante zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn abzustimmen. Dies bedeutete schließlich ein gigantisches, „Nukleus“ genanntes Zugangsbauwerk, das unter der Empfangshalle rund 40 Meter tief in die Erde reicht. Weil sich aber Stadt, Land und Bund über die Finanzierung der zweiten Stammstrecke bis heute nicht einigen konnten, liegt die Planung des Bahnhofs noch immer auf Eis. Um auch von Seiten der Deutschen Bahn den Prozess zu beschleunigen, wurde vor wenigen Wochen im Münchner Stadtrat, der ebenfalls ungeduldig wird, der aktuelle Stand der Planung vorgestellt. Dabei gab die Deutsche Bahn bekannt, dass sie den neuen Bahnhof auch dann errichten werde, wenn die zweite Stammstrecke scheitern sollte. „Wir wollen einen der attraktivsten Bahnhöfe Europas bauen“, bekundete DB-Manager André Zeug.
Überarbeitung mit Überraschung
An Gestalt, Gliederung und Struktur des Empfangsgebäudes hat sich im Vergleich zum Wettbewerbsentwurf von 2006 nur wenig geändert. Das horizontal gelagerte Bauwerk öffnet sich mit fünfgeschossigen Glasfassaden zur Umgebung, während die beiden obersten Geschosse wie ein mächtiger Bügel sowohl das Gebäude als auch Teile der Gleishalle rahmen. Im Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss sind bahnspezifische Nutzungen, Handel und Gastronomie vorgesehen, in den weiteren Obergeschossen Büro- und Konferenzräume. Erfreulicher Weise gibt es auf der Galerie der Empfangshalle auch kommerzfreie Ruhezonen wie Lounges und Warteräume. Nach wie vor prägen konstruktive Klarheit und hohe Transparenz das Gebäude. Für Überraschung bei der Präsentation sorgte ein zusätzliches Bauwerk der Bahn, etwa 75 Meter hoch, in umittelbarer Nähe. Es soll anstelle des 1950 fertiggestellten, im Stil des vergröberten Neoklassizismus der Nazizeit entworfenen Starnberger Flügelbahnhofs errichtet werden. Mit diesem als Bürohaus oder Hotel nutzbaren „Hochpunkt“ möchte die DB einen Teil der Neubaukosten kompensieren, die sie auf einen „hohen dreistelligen Millionenbetrag“ schätzt.
Ein Gewinn für Bahn und Stadt
Dieser Hochpunkt, im Stadtrat zwar einhellig begrüßt, wird sicherlich noch zu Diskussionen führen, vor allem in der traditionell kritischen Stadtgestaltungskommission, die Empfehlungen aussprechen kann. Seine auf den ersten Blick fremdartig wirkenden, prismatisch gefalteten Fassaden erklärt der Architekt Moritz Auer mit der Rücksicht auf Blickachsen aus der näheren und weiteren Umgebung. Aber nicht zuletzt, weil der Neubau des Empfangsgebäudes endlich zu einem autofreien Bahnhofsplatz führen würde, ist die Planung von Auer und Weber ein großer Gewinn, für die DB wie auch für München. Für eine Stadt, die architektonisch so häufig zwischen biederer Allerweltsmoderne und modischen Projekten wie dem neuen Hotel Königshof von Nieto Sobejano pendelt.
Fakten
Architekten Auer Weber Architekten, Stuttgart/München
aus Bauwelt 19.2015
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