Bauwelt

„Mein Favorit im Formen­entwickeln ist immer noch Brancusi“

Vor der EZB in Frankfurt am Main eröffnet im Dezember das Musée des Confluences in Lyon von Coop Himmelb(l)au. Wolf D. Prix gab bei einem Rundgang etwas Auskunft

Text: Kabisch, Wolfgang, Paris

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Besuch der Baustelle im Oktober. Ein offener Durchgang führt unter dem Museum zur Rhône. Am 20. Dezember ist die Eröffnung, die Bauwelt wird berichten.

Fotos: Wolfgang Kabisch

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Besuch der Baustelle im Oktober. Ein offener Durchgang führt unter dem Museum zur Rhône. Am 20. Dezember ist die Eröffnung, die Bauwelt wird berichten.

Fotos: Wolfgang Kabisch


„Mein Favorit im Formen­entwickeln ist immer noch Brancusi“

Vor der EZB in Frankfurt am Main eröffnet im Dezember das Musée des Confluences in Lyon von Coop Himmelb(l)au. Wolf D. Prix gab bei einem Rundgang etwas Auskunft

Text: Kabisch, Wolfgang, Paris

Herr Prix, heutzutage werden Wolken, Kristalle, Ufos und Segelschiffe gebaut. Warum benutzen Sie metaphorische Namen?
In den ersten Jahren nach der Gründung von Coop Himmelb(l)au haben wir wenig gebaut. Die Projekte hatten aber immer einen Namen. Poetische Namen, wie eben „Wolke“. Weil wir durch die Texte, mit denen wir sie beschrieben, Assoziationen wecken wollten, die die Besucher der Gebäude, wenn sie gebaut worden wären, gehabt hätten.
Brauchen wir solche Landmarken?
Ja! Ich denke, dass wir wieder Identifikationspunkte in Städten brauchen, die zunehmend anonymer werden. Diese Punkte, früher waren es Kirchen, Schlösser oder Rathäuser, dienen dazu, dass der Bewohner die Gebäude in seine mentale Landkarte aufnimmt. Der neudeutsche, hässliche Architekturbegriff wäre „verorten“.
Den Auftraggebern geht es aber um Repräsentation. Für sie ist wichtig, dass etwas Einzigartiges entsteht, dass sich mit ihrem Namen oder dem ihrer Stadt verbindet. Das ist etwas anderes!
Das war immer so! Heute geht es auch oder hauptsächlich um den öffentlichen Raum, denn wir sind dabei, diesen öffentlichen Raum zu verlieren. Früher haben die Kirche, die Adeligen und das reiche Bürgertum die „maintenance“ dieser öffentlichen Plätze finanziell übernommen. Inzwischen haben die Städte kein Geld mehr und verkaufen den öffentlichen Raum an Investoren. Die machen, was sie machen müssen: nämlich aus jedem Quadratzentimeter Geld.
Was passiert, wenn die Sprache dieser Architektur durch die weltweit arbeitenden Büros weiter vereinheitlicht wird? Jeder bekommt dann seinen Gehry?
Nein! Nein! Die Ähnlichkeit mit Gehry besteht nur darin, dass wir beide Kunst sehr schätzen. Als intellektuelles Erfindungstool für neue Architektur.
Da hört die Ähnlichkeit dann aber schon auf. Mein Favorit im Formenentwickeln ist immer noch Brancusi. Er entwickelt sich von Plastik zu Plastik weiter. Keine Plastik gleicht der anderen.
Welches war ihr Grundgedanke im Wettbewerb für das Naturkundemuseum Musée des Confluences in Lyon?
Den Zugang zur Spitze der Halbinsel zwischen Rhône und Saône nicht zu verbauen! Und das Museum nicht als Produktausstellungsraum zu sehen, sondern als Wissensvermittlungsmaschine und -raum. Es hat uns schon immer interessiert, dass man Kunst oder auch Ausstellungen von mehreren Blickpunkten aus betrachten kann. Man muss Ausstellungen durchwandern, um sie zu begreifen. Der Weg durch das Museum ist entscheidend. Grundgedanke bei Lyon war, dass wir das Museum in die Höhe heben, damit man darunter durchgehen kann. Außerdem kann man durch das Gebäude gehen ohne eine Ausstellung besuchen zu müssen. Es gibt diesen sogenannten „Espace liant“. Das ist ein Boulevard durch das Museum wie der durch eine Stadt, nur dass rechts und links nicht Häuser stehen, sondern Ausstellungsräume liegen.
Warum hat es bis zur Fertigstellung des Gebäudes so lange gedauert?
Ich weiß, dass Architekten immer die Schuld der anderen zugeschoben wird, aber in diesem Fall hat es einen politischen Hintergrund. Ich kann nur sagen, dass die Planungszeit exakt zwei Jahre und die Bauzeit exakt vier Jahre betragen haben – gedehnt über 15 Jahre. Das doppelt so große BMW-Gebäude in München, dessen Wettbewerb wir zur gleichen Zeit wie Lyon gewonnen hatten, wurde 2008 eröffnet.
Als Besucher ist man erstaunt, dass es im Gebäude so wenige Ausblicke gibt. So geht das Gefühl dafür verloren, dass man an der Spitze einer Halbinsel steht. Warum sind die Ausstellungssäle völlig geschlossen?
Eine gute Frage, die Sie aber dem Auftraggeber stellen müssen. Die Blackboxen waren vorgegeben. Es gibt trotzdem noch genügend Ausblicke.
Als Sie mit Coop Himmelb(l)au starteten, haben Sie behauptet, Architek-tur müsse brennen, und Sie haben sich gegen die etablierte Architektur gewandt. Müsste man das heute nicht wieder tun?
Ja! Architektur muss allerdings nicht im wirklichen Sinn brennen. Ihre Lebendigkeit ist nach wie vor gefordert! Denn mit den toten Kisten schafft man nur Anonymität. Die Identifikation ist das wichtigste. Wenn man mit einem markanten Bauwerk beschreiben kann, in welchem Bezirk oder Stadtteil man wohnt, wie zuletzt mit dem neuen Ausstellungsgebäude der Fondation Louis Vuitton von Gehry in Paris, ist das toll.
Wenn ich jetzt behaupte, Ihr Museum in Lyon ist doch nur Show-Architektur, würden Sie mir auch den gestreckten Mittelfinger zeigen? Das war die wütende Reaktion von Gehry auf die gleiche „dumme“ Behauptung eines Journalisten während der Pressekonferenz am 24. Oktober in Orviedo, nachdem der 85-Jährige den Prinz-von-Asturien-Preis bekommen hatte.
Ja! Ich trete dem Club der gestreckten Mittelfinger mit dem Präsidenten Gehry bei. Sofort!

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