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Aussichten am Mahnmal

Sebastian Redecke macht sich seine Gedanken zu den Veränderungen am Holocaust-Mahnmal in Berlin

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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Aussichten am Mahnmal

Sebastian Redecke macht sich seine Gedanken zu den Veränderungen am Holocaust-Mahnmal in Berlin

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Beklemmend wird es, wenn man in einem der mittleren schmalen Gänge immer tiefer in das Mahnmal hineingeht, wo die Stelen über sechs Meter empor ragen. Hier, in der Enge zwischen den leicht geneigten, grauen und abweisenden Wänden, wird man der Dimension, der Bedeutung und der Kraft der gesamten Gedenkanlage gewahr. Anfang Mai wurde das während der Planungszeit heftig umstrittene Berliner Holocaust-Mahnmal zehn Jahre alt. Der inzwischen 83-jährige Peter Eisenman kam für die Feierlichkeiten nach Berlin und reagierte gelassen auf die vielen Risse im Beton der Stelen. Das gehöre nun mal zu einem Alterungsprozess. Dennoch ist es schade, dass schon über 40 Stelen mit Manschetten gesichert werden müssen. Mit der Sanierung wurde begonnen.
Ich bleibe bei meiner Meinung, das Mahnmal hätte an einem weit prominenteren Ort in der Hauptstadt seinen Platz finden müssen: auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude. Das ausgewählte Terrain liegt zwar prominent aber dennoch im Abseits. Beim Blick aus den schmalen „Gassen“ schaut man im Süden auf zwei Landesvertretungen, im Norden auf eine Moore-Ruble-Yudell- oder eine Frank-Gehry-Rückfassade und im Westen in die Bäume entlang der Ebertstraße. Beschämend bleibt der Blick nach Osten, auf Holzbuden mit Fastfood-Stationen und Souvenir-Shops mit breiter Veranda, die, an Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten, wohl auch „Holo-Terrassen“ genannt werden. Gleich dahinter beginnt ein Vorzeige-Wohnquartier für Regimetreue aus den letzten Jahren der DDR. Die Bauten mit Deko-Platten sollen weg. Einen an der Wilhelmstraße liegenden Block will eine Bürgerinitiative mit den übrig gebliebenen Mietern retten. Man befürchtet Schlimmes, denn der Eigentümer greift durch: „Die willkürliche Zerstörung geht weiter und dient wohl der Einschüchterung und Vertreibung.“ In unmittelbarer Nachbarschaft soll das „Palais Berlin“ in Patzschke-Retro-Pracht entstehen. Wenn die Holzbuden abgerissen sind und hier ein weiteres, seit Jahren geplantes Luxusobjekt entsteht, wird der Besucher des Mahnmals für die sechs Millionen ermordeten Juden in Europa statt auf Terrassen mit Fastfood auf die Terrassen der Erfolgreichen in Champagnerlaune blicken.

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