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Im Rathaus Schönefeld

Text: Kasiske, Michael, Berlin

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Foto: Sebastian Redecke

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Im Rathaus Schönefeld

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Der Skandal Hauptstadtflughafen wird weggeredet. Kein Politiker fühlt sich bisher wirklich verantwortlich für die schlampige Aufsicht, die Vertuschung von Fakten und die Mehrkosten von 1,2 Milliarden Euro. Und Schönefeld selbst? Es will endlich kräftig wachsen. Ein neues Rathaus ist schon da. Den Dorfanger erreicht man über eine Holzbrücke.
BER lautet die Insignie für den Hauptstadtflughafen, dessen Verantwortliche offenkundig solange das „Gelb“ oder „Rot“ eines internen Warnsystems, das es vielleicht doch gab, ignorierten, bis die vorgeblich im Endspurt befindliche Baustelle jäh gestoppt wurde (Bauwelt 22.2012). Der avisierte Start im März 2013 ist schon wieder Makulatur, jetzt soll die Fliegerei Ende Oktober 2013 losgehen. Alle schweigen: Die Berliner, die ermattet von den Meldungen nur noch die Köpfe schütteln, und auch die Beteiligten, die stur nach vorn schauen. Außer dem neuen Termin der Eröffnung und den derzeit mit 1,2 Milliarden Euro bezifferten Mehrkosten gibt es vom Skandal nichts zu berichten. Zeit, das Dorf Schönefeld zu besuchen, auf dessen Gebiet der Großflughafen liegt. Ich radle im Südosten Berlins raus ins Brandenburgische. Vor 24 Jahren musste hier noch die innerdeutsche Grenze passiert werden. Wer günstig bei der „Interflug“ gebucht hatte, fuhr vom Übergang für fünf D-Mark in einem Barkas auf spärlich beleuchteten Betonstraßen durch die Grenzgebietssteppe zum „Zentralflughafen Berlin-Schönefeld“.

Fleischerei Palm

Dieses Bild fand ich zehn Jahre später kaum verändert vor, als ich im „Airportcenter“ für ein Planungsbüro der Deutschen Bahn an Stationen der Magnetbahnstrecke Hamburg-Berlin arbeitete. Die Bundesstraße 94 war eine holperige Piste, die gefühlt ins Nirgendwo führt. Heute ist sie breit ausgebaut. Auf ihrer südlichen Seite bilden der ehemalige Intershop, in dem der neue Flughafen BER vermarktet wird, das Airportcenter und ein weiteres Bürohaus die Vorhut flughafennahen Gewerbes. Auf der anderen Seite liegen die Veteranen des Ortes: die Fleischerei Palm und die Bäckerei Wolter, daneben, mit seinen roten Ziegeln, das „Albergo Hotel“ – Razionalismo Berlinese von Kreplin Duwensee Architekten aus den 90er Jahren. Den Mittagstisch gab es bei Palm, den Kuchen von Wolter. Über die Holzbrücke zum Dorfanger jenseits der Bahngleise zu gehen, gab es keine Veranlassung. Seit den 1950er Jahren wird er durch die Gleise des Außenrings, mit dem die DDR Westberlin umfuhr, durchschnitten. Die alte Brücke heilt nur notdürftig. Die Dorfkirche steht, auf dem kleineren Teil des Angers, der vom alten Flughafen umschlossen ist. An ihr rauscht der Verkehr der Bundesstraße vorbei. Den Schönefelder Friedhof trennen Mauern ab.

Bürgermeister Haase

Die Verkäuferin in der Bäckerei sagt, Schönefeld und der Flughafen seien seit jeher zwei unterschiedliche Dinge. Dass das Wohl der Gemeinde von dem Erfolg des Luftverkehrs abhängt, ist ihr keinen Gedanken wert. Wohl aber dem Bürgermeister Udo Haase, einem Asienwissenschaftler, dem Schönefeld nicht nur die Städtepartnerschaft mit Bayangol, einem Bezirk der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator, verdankt. Mannigfaltig engagiert versucht er seit 1997 aus dem Sog des Flughafens soviel Schub wie möglich für die Entwicklung des Ortes zu generieren. Mit einem der niedrigsten Gewerbesteuersätze in Deutschland überzeugt Haase zahlreiche Firmen vom Vorzug einer Ansiedlung in Schönefeld. Nicht nur Arbeitsplätze werden geschaffen, auch die Bevölkerung wächst: 1992 hatte Schönefeld 5500 Einwohner, 2012 bereits 14.000 und in fünfzehn Jahren wird mit rund 30.000 gerechnet. Wie ein Monolith steht das neue, fünfgeschossige Rathaus einsam dort, wo künftig das Zentrum des Ortes sein soll. Die „Rathausgasse“ ist nicht mehr als eine Asphaltfläche in der Wiese. Zwischen dem leeren Zentrum und den Bahngleisen liegt der nördliche Teil des Dorfangers. Noch 1998 sahen die Häuser dort so aus wie in jedem Dorf in Brandenburg, in dem sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen: eingeschossig mit großen Gärten dahinter. Vor ein paar Jahren stachen die Stadtplaner ihren Zirkel in den Dorfteich und legten die Neubauareale in Segmenten eines Viertelkreises fest. Eine Siedlung über einer Tiefgarage steht bereits, auch ein Hotel und einige Gewerbebetriebe am östlichen Rand.

Schönefelder Welle

Nach Westen ist die nach dem Flugzeugpionier benannte Hans-Grade-Allee, an der auch das Rathaus liegt, als Entwicklungsachse ausgelegt (Hans Grade flog 1909 den Eindecker „Libelle“). Bislang sind an der Allee nur noch das Schwimmbad „Schönefelder Welle“ und eine neue Feuer- und Rettungswache platziert, doch am anderen Ende, nahe der Autobahn, eröffnet schon bald ein Autokonzern seine Repräsentanz, weitere werden folgen. Bürgermeister Haase will rasch Baurecht schaffen, denn „Investoren haben alles, nur keine Zeit“ – und müssen nun doch noch lange warten. Die frühere Trostlosigkeit bewahren zu wollen wäre ebenso abwegig, wie ein liebliches Dorf zwischen Großstadt und Großflughafen vorzugeben. Mit dem Rathaus zeigt Schönefeld, welchen Maßstab es anstrebt. Der Eindruck eines Radausflugs aufs Land wird sich also verflüchtigen. Werde ich irgendwann am Airportcenter aus der Berliner U-Bahnlinie 7 steigen können? Eigentlich logisch, die U-Bahn ab Rudow zu verlängern, doch das Projekt war wohl zu Teuer für die Metropole, und das Land Brandenburg spielte sowieso nicht mit! Dies ist nicht zu begreifen.

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