Bauwelt

Hardt-Waltherr „Gustav“ Hämer (1922–2012)

Nachruf

Text: Eichstädt, Wulf, Berlin; Hellweg, Uli, Hamburg

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Hardt-Waltherr Hämer in Berlin-Kreuzberg, um 1986/87
Foto: S.T.E.R.N. GmbH

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Hardt-Waltherr Hämer in Berlin-Kreuzberg, um 1986/87

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Hardt-Waltherr „Gustav“ Hämer (1922–2012)

Nachruf

Text: Eichstädt, Wulf, Berlin; Hellweg, Uli, Hamburg

„Vater der behutsamen Stadterneuerung“ – kaum eine der vielen Würdigungen ließ diese Zuschreibung aus. Am 27. September ist Hardt-Waltherr Hämer 90-jährig in Ahrenshoop gestorben. Das Planungsprinzip, das er während seiner Zeit als Direktor der Berliner „IBA-Alt“ begründete, ist heute mindestens so aktuell wie vor 30 Jahren.
Er war Kopf, Herz und Seele der behutsamen Stadterneuerung in den achtziger Jahren in Berlin-Kreuzberg. Er war ein kompromissloser Kämpfer gegen die Zerstörung der Stadt. Weil er fest davon überzeugt war, dass der offiziellen Politik, die in den siebziger Jahren Verwahrlosung und Zerstörung forciert hatte, eine umfassende Wiedergutmachungsaufgabe oblag. Diese Überzeugung verband Hardt-Waltherr Hämer mit vielen Bürgerinitiativen und auch mit den Instandbesetzern.  Sein Engagement war keine Rhetorik. Das hatte der Architekt, H.d.K.-Professor und – gemeinsam mit Josef Paul Kleihues – IBA-Planungsdirektor bereits im Dezember 1979 unter Beweis gestellt, als er eine Gruppe von 30 Aktivisten anführte, um vier zum Abriss bestimmte Mietshäuser in der Manteuffelstraße winterfest zu machen: eine mutige Widerstandsgeste gegenüber seinem Auftraggeber, dem Berliner Bausenat. Seine IBA-Alt-Gruppe bestand nicht aus alten Profis, sondern jungen Leuten, die in Bürgerinitiativen, Planungsbüros oder Sozialplanungsteams ihre Erfahrung gesammelt hatten. Der Schnellkurs für die bauliche Erneuerung, den er seiner neuen Mannschaft vermittelte, konzentrierte sich auf die Methode, ein Haus gründlich zu sanieren, ohne die Lebenszusammenhänge der Bewohner durcheinanderzubringen: Das war die „behutsame Stadterneuerung“. Behutsam war sein Schlüsselwort.
Die IBA-Jahre, 1979 bis 1987, hatten Höhen und Tiefen, deren Druck zwischen Bürgerforderungen, Investoreninteressen und staatlichen Weisungen Hämer besonders ausgesetzt war. Schon früh wollte die Politik das konfliktreiche IBA-Projekt am liebsten loswerden. Mag sein, dass dies ohne die Instandbesetzung von über 150 für Sanierung und Abriss leergeräumten Häusern (Mai 1981) auch gelungen wäre. Erst der 1981 neu gewählte Senat mit Richard von Weizsäcker als Regierendem Bürgermeister schaffte es, mit den Grundsätzen „Sanierung geht vor Abriss“ und „Keine Räumung ohne ein abgestimmtes Konzept“ den Weg zum Erfolg der Altbau-IBA zu ebnen. Ihre Bilanz (über 7000 erneuerte Altbauwohnungen, zehn umgebaute Schulen, 1600 neue Kitaplätze u.v.m.) ist noch heute beeindruckend – auch vor dem Hintergrund nachfolgender Bauausstellungen. Dieser Erfolg der behutsamen Stadterneuerung veränderte das Selbstverständnis im Umgang mit der gebauten Stadt und ihren Bürgern grundlegend.
Hämers Widerstandsfähigkeit wurde auf die härteste Probe gestellt als man 1985 begann, administrativ die Auflösung der IBA-Organisation vorzubereiten. Er sah die Kreuzberger Erneuerung gefährdet, wenn der eingeleitete Prozess abrupt Ende 1987 beendet würde, und hat 1985 in zähen Verhandlungen der Berliner Bauverwaltung die Nachfolge-Gesellschaft S.T.E.R.N. abgerungen, die bis heute die Arbeit in Berlin und anderen Städten fortsetzt. In den folgenden Jahren brachte Hämer seine Ideen auch in den Konzeptionsprozess der IBA-Emscherpark ein und nach der Wiedervereinigung in die Plattenbausanierung, in den Neuaufbau des Bauhauses Dessau sowie in die Rettung des Studentendorfs Schlachtensee.
Hämer war Vorbild als Lehrer und genialer Prozessgestalter. Er gab nie auf. Er erfüllte die Parole „Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie!“ mit Leben und war präzise und zäh bei der Durchdringung von Problemen. Einfache Antworten wa­-ren ihm suspekt. Das ökologische Bauen und die energetische Stadterneuerung machten ihn ebenso neugierig wie die Möglichkeiten der EDV oder die Anregungen der Architektur- und Gesellschaftstheorie. Gern zitierte er Bruno Tauts Kunst der Proportion, eines seiner großen Vorbilder: „Nach Taut kommt zunächst alles darauf an, dass die Gebäude in einer guten Beziehung zu ihren Voraussetzungen stehen. Alles weitere, dazu gehört auch die Gestalt, ergibt sich erst danach.“
Hämer gehörte zu den wenigen Architekten seiner Generation, die ihre Heimat in der Moderne hatten und gleichzeitig der gewachsenen historischen Stadt mit größtem Respekt begegneten. Alle, die mit ihm zusammenarbeiteten, haben erlebt, wie er in Rage über die „Gottvaterplaner“ geraten konnte, wenn mal eben mit großer Geste über ein altes Gebäude oder ein ganzes Quartier hinweggeplant wurde. Sein energisches Eintreten für die Rettung der Altbauquartiere war alles andere als nostalgisch. Die alten Quartiere verkörperten für ihn die Stadt als zivilgesellschaftliches Modell, das nicht der Macht und Willkür einzelner Institutionen oder Personen unterliegen darf, sondern Gegenstand von Aushandlungsprozessen ist. Stadt war für ihn der Ort, wo sich individuelle Emanzipation mit sozialer Solidarität verbindet – dieses Ziel zu fördern, sollte für Planer und Architekten fachliche Aufgabe und ästhetischer Anspruch sein; Hämer ging es um ein Berufsbild für unsere Zunft, das in ganzheitlichen Zusammenhängen denkt, ohne die gestalterische Verantwortung zu vernachlässigen.
Begriffe wie Bürgerbeteiligung, Partizipation usw. gehören heute zum Grundwortschatz jedes Planers und Politikers – wie ernst sie im Einzelfall auch immer gemeint sein mögen. Jenseits bürgernaher Rhetorik aber sind die Kernaussagen der unter Hämer entwickelten „Zwölf Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung“ ein Orientierungsrahmen, der von richtungsweisender Bedeutung ist für die vor uns liegende Aufgabe ei­ner sozial und ökologisch verträglichen Entwicklung der Städte. Heute sind die Möglichkeitsräume der viel beschworenen Renaissance der Stadt aber nicht primär die Gründerzeitquartiere, sondern die urbanen Heterotopien, also die vernachlässigten Randbezirke, die untergenutzten Gewerbe- und Einzelhandelseinrichtungen, die überdimensionierten Magistralen und Parkplätze, die vergessenen Restflächen zwischen den Hinterlassen­schaften der Industriegesellschaft. Heute gilt es diese inneren Peripherien aufzuwerten – ohne zu verdrängen. Hier liegt die neue Herausforderung einer Planungsmethode der „Behutsamkeit“, wie Hämer sie vor mehr als einem Vierteljahrhundert begründet hat; Projekte wie die IBA Hamburg-Wilhelmsburg etwa versuchen, seine Grundgedanken auf neuem Terrain anzuwenden. In diesem Sinne war Hardt-Waltherr Hämer ein Pionier für die Zukunft unserer Städte.
Fakten
Architekten Hämer, Hardt-Waltherr (1922–2012)
aus Bauwelt 43.2012
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