Bauwelt

Hängepartie

Leipziger Paulinum

Text: Kowa, Günter, Berlin

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Rendering: Erick van Egeraat

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Hängepartie

Leipziger Paulinum

Text: Kowa, Günter, Berlin

Zurzeit wird mit der Fertigstellung des Leipziger Paulinums im nächsten Jahr gerechnet. Nach zahlreichen Verzögerungen und Veränderungen am Entwurf soll nun alles nach Plan laufen. Erick van Egeraats „hängende Säulen“, die mehr Platz bieten, bleiben umstritten. Auch die Diskussion hinsichtlich der Nutzung ist noch lange nicht abgeschlossen.
„Designed by Erick van Egeraat“: Mehr als ein Jahr lang prozessierte der Rotterdamer Architekt am Sächsischen Oberverwaltungsgericht, damit ihm niemand dieses stolze Etikett von seinem wohl bekanntesten Bauwerk reißt. So lange blieb das „Paulinum“ der Leipziger Universität im Zustand des Rohbaus stehen. Egeraats Siegerentwurf aus dem Wettbewerb von 2004 (Bauwelt 15–16.2004) um die künftige „Aula mit Andachtsraum“ der Universität, die ein Echo der gesprengten „Universitätskirche St. Pauli“ sein soll, war bis Anfang 2009 zu einer Hülle aus nacktem Beton gediehen, in der nur die schlanken Säulen und spitzbogigen Fensteröffnungen eine Ahnung von der angestrebten Gestalt vermittelten.
Gespachtelt oder aufgespritzt
Doch da geriet das zuletzt in Russland vielfach engagierte Architekturbüro in die Strudel der Finanzkrise und musste Insolvenz anmelden. Für Egeraat war das offenbar nur ein vorübergehendes Handicap – für den Bauherrn, den Freistaat Sachsen im Gewand des „Staatsbetriebs Immobilien- und Baumanagement“ aber eine Gelegenheit, den teuren und detailversessenen Architekten gegen gefügigere örtliche Architekten auszutauschen. Die künftigen Nutzer gerieten zwischen die Fronten und mussten die Schmach hinnehmen, die Feiern zum 600-jährigen Uni-Jubiläum, die mit der Eröffnung des Paulinums hätten Hand in Hand gehen sollen, größtenteils
abzusagen. Egeraat stritt um sein Urheberrecht und ließ Sparvarianten beim Materialkonzept untersagen, etwa Aluminium statt steinerner Dachdeckung oder die Verstärkung des Maßwerks des großen Ostfensters durch Querstreben. Der drohende, womöglich jahrelange Baustopp konnte aber im Frühjahr 2010 mit einer gütlichen Einigung abgewendet werden: Egeraat bekam die volle gestalterische Verantwortung über das Paulinum zurück und wirkt am Ausbau der Eingangshalle mit Audimax und Uni-Museum „beratend“ mit. Die „Feierliche Eröffnung“ für diese prominentesten Teile des Campus – die Trakte der Hörsäle und der Mensa sind bereits in Betrieb – ist jetzt ohne genaueres Datum für 2013 vorgesehen. Das Audimax soll aber schon im kommenden Wintersemester öffnen. Eben dort spielt sich aber derzeit auf niedrigerer Flamme einer jener Konflikte ab, die das Verhältnis von Architekt und Bauherr kennzeichnen: Ersterer will den Aufwand seiner freitragenden und an den Rändern gekrümmten Decke mit einem gespachtelten Putz krönen, Letzterer will sich mit billigerem aufgespritzten Putz begnügen. Während im „Kirchen“-Raum die Arbeit gerade erst wieder aufgenommen wird, läuft in den vier Obergeschossen unter dem hoch aufragenden spitzgiebeligen Dach der Ausbau schon lange auf Hochtouren weiter. Wie unter einer gläsernen Pyramide entstehen dort die Räume für die Institute der Mathematik und Informatik. Das ist von außen kaum zu erahnen, verbirgt sich doch hinter der großen, am Vorbild angelehnten Rosette schon nicht mehr der „Sakral“-Raum, sondern eben jene Institutsebene. Der Panoramablick aus den üppigen Fensterflächen ist atemberaubend, erscheint für die aneinandergereihten Computerarbeitsplätze aber reichlich verschwendet. Seitdem die Gerüste abgenommen sind, lässt sich nun Egeraats Konzept des „Erinnerungsbaus“ am Außenbau beurteilen. Unübersehbar zitiert er das Untergegangene, hält es dabei auf Abstand, übersetzt es in zeitgenössische Formen. Die zum Augustplatz gewendete klassizistische Fassade des Augusteums kehrt als rhythmische Gliederung von schmalen Fenstern und natursteinverschalten Wandstreifen wieder. Den Korpus der Kirche überhöht Egeraat anders als das Vorbild mit einem viel steiler aufragenden Dach und versetzt Rosette und Maßwerkfenster aus dem mittigen Zusammenhang. Dadurch hebt sich der Sakralbau im Ensemble ab. Die Leipziger Sehnsucht nach Wiedergutmachung für den Verlust ist gestillt, die Überhöhung setzt eine Geste des Gedenkens, der Bruch in der Symmetrie des Fenstermotivs deutet Sühne für die Sprengung an. Die erregte Leipziger Debatte um den Umgang mit dem Thema Paulinerkirche trug einiges dazu bei, dass Egeraats Paraphrase zum Zuge kam. Die ist ein Versuch, widerstreitende Positionen zu versöhnen, nach außen interpretiert er „Erinnnerung“ allegorisch, nach innen buchstäblich, wo der gotische Raum mitsamt Sterngewölben, Bündelpfeilern und Spitzbogenfenstern Auferstehung feiert. Dass unter den Befürwortern einer originalgetreuen Kopie die Kritik dennoch nicht verstummt, liegt weniger am Architekten als am Bauherrn, der auf einer vornehmlich weltlichen Bestimmung beharrt. Die Unbeirrbaren aus dem Paulinerverein, Kreisen der Theologie sowie der örtlichen Kirche wollen aber die Paulinerkirche als rein sakralen Ort wiedererstehen lassen, während die Uni ihr Bedürfnis nach einer Aula berücksichtigt sehen will.
Wohin mit den Epitaphien?
Die Pauliner hören nicht auf, den Traditionsnamen „Universitätskirche St. Pauli“ zurückzufordern und den Kompromiss eines „Paulinum“ abzulehnen, das heißt die räumliche Trennung in „Andachtsraum“ im Quasi-Chor und „Aula“ im Quasi-Langhaus. Es wird weiter gegen alles polemisiert, das diese Trennung zementiert. Die bewegliche und fast profillos eingefügte Glaswand zwischen Andachtsraum und Aula zum Beispiel, die die Kustodie der Universität zur Raumklimatisierung verlangt. Unter anderem sollen die barocken Epitaphien wieder am angestammten Ort präsentiert werden. Die Rückkehr von Kulturgut, das 1968 vor der Sprengung gerettet wurde, ist nicht nur eine weitere Geste der Wiedergutmachung, sondern rückt die Universitätsgeschichte in den Blick, wenn sie schon ihre historischen Bauten verloren hat. Für die Restaurierung kommt wiederum allein die öffentliche Hand auf. Aber die Uni will die Gewichtung ihres Kompromisses nicht verschieben. Symptomatisch ist der Streit um die historische Kanzel. Die kirchliche Seite fordert, das stark beschädigte Objekt im „Langhaus“ aufzustellen, während die Uni alles vermeiden will, was den Aula-Raum einengt. Die „Pauliner“ wähnen die Moral der Geschichte auf ihrer Seite, während Uni und Freistaat ein breiteres öffentliches Interesse verteidigen (Bauwelt 3.2009).
Gips wie Porzellan
Der ganze Zwiespalt ist denn auch in van Egeraats Position gespiegelt. Der Spagat zwischen Moderne und Kopie zeigt sich im Gegensatz von Außen und Innen: Das Verhältnis von Zitat zu Verfremdung ist jeweils diametral umgekehrt. Drinnen entsteht die gotische Kirche so nah am Vorbild, dass der Architekt seinen Anspruch auf Zeitgenossenschaft nur mit viel Materialzauber umsetzen kann. „Ich habe die Schönheit sozusagen übertrieben“, sagt Egeraat, damit trotz der Detailtreue „niemand sagen kann, so sah der alte Bau tatsächlich aus.“ Schönheit übersetzt sich für ihn in handwerkliche Finesse. Das Rippengewölbe etwa wird aus vorgefertigten Elementen zusammengesetzt, das Material aber, eine Art verstärkter, wie Porzellan glänzender Gipsguss, am Ort bearbeitet. Die Bündelpfeiler beginnen im Gewölbe aus dem gleichen Material, verwandeln sich aber in Richtung Boden zunehmend in Glas, das zudem hinterleuchtet wird. Dass Egeraat nichts aus der Hand gibt, zeigt sich auch in den geätzten Fenstern, die im Muster den Moderne-Touch von außen ins Innere hereinholen: Die Chance zu einer freien künstlerischen Umsetzung, die dem Raum noch eine andere Ebene an Bedeutung und Atmosphäre hätte geben können, ist nicht ergriffen worden.
Eiszapfen
Eine neue Computersimulation aus seinem Büro (Seite 10)zeigt deutlicher als zuvor die problematischste aller Lösungen, die Egeraat für die zweiseitige Nutzung fand. Die historische Pfeilerstellung hätte im „Langhaus“ die Sichtfreiheit für größere Veranstaltungen erheblich eingeschränkt, außerdem wünschte die Uni eine Möglichkeit zur Bestuhlung quer zur Längsachse, etwa für Disputationen. Den Freiraum dafür schafft Egeraat mit dem Kappen der drei mittleren Säulenpaare, die nun wie Eiszapfen über den Köpfen der Besucher hängen. Der Verweis auf hängende Schlusssteine der Gotik ist kein rechter Trost für ein offenkundig dem Kompromiss geschuldetes irritierendes Motiv, auch wenn Egeraats schimmernde Lichtsäulen an dieser Stelle zu exzentrischen Kronleuchtern mutieren.
Fakten
Architekten Egeraat, Erick van, Rotterdam
aus Bauwelt 18.2011
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