Bauwelt

Wie soll Städtebau gelehrt werden?

Zwei Positionspapiere fordern eine Neuausrichtung der Städtebauausbildung an deutschen Hochschulen. Auf die "Kölner Erklärung" folgte "100 % Stadt". Die Sorge um den Zustand der Europäischen Stadt treibt beide Lager um.

Text: Doris Kleilein

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Wie soll Städtebau gelehrt werden?

Zwei Positionspapiere fordern eine Neuausrichtung der Städtebauausbildung an deutschen Hochschulen. Auf die "Kölner Erklärung" folgte "100 % Stadt". Die Sorge um den Zustand der Europäischen Stadt treibt beide Lager um.

Text: Doris Kleilein

Im Mai diesen Jahres initiierte Christoph Mäckler gemeinsam mit einer Reihe von Stadtplanern die "Kölner Erklärung", ein Positionspapier, in dem eine Neuausrichtung der Städtebauausbildung an deutschen Hochschulen gefordert wird. Nach einer Beschreibung des Status Quo ("Deutschland war noch nie so wohlhabend, seine Stadträume waren aber noch nie so armselig") fordern die Unterzeichner, dass in Zukunft nicht nur einzelne Teildisziplinen, sondern "umfassender Städtebau" gelehrt werden soll.
Seit kurzem gibt es ein weiteres Positionspapier, das sich als Gegenentwurf zu der von Mäckler skizzierten Haltung versteht: "100 % STADT" fordert ebenfalls eine neue Städtebauausbildung und darüber hinaus ein offenes Verständnis von Stadt. "Stadt ist nicht auf Traufhöhe und Fassadenmaterial und -farbe zu reduzieren", so die Initiatoren um Frauke Burgdorff, Andreas Fritzen und Christa Reicher. Architekturstudierende sollten vielmehr lernen, dass sie ein "ein lebendiger und kenntnisreicher Teil der Aushandlungsprozesse um Stadt" seien.
Die Bauwelt veröffentlicht an dieser Stelle beide Positionspapiere erstmals in der vollständigen Fassung:
Die Stadt zuerst!
Kölner Erklärung zur Städtebauausbildung

100 % STADT
Positionspapier zum Städtebau und zur Stadtentwicklung
Was meinen Sie? Wie kann die Städtebauausbildung verbessert werden? Durch mehr Partizipation und die Auseinandersetzung mit der Komplexität der Stadt? Oder durch die intensive Vermittlung des "Einmaleins des Städtebaus"mit konkretem Handwerkszeug für Straße, Platz, Block und Haus? Sollen sich angehende Architektinnen und Architekten verstärkt mit Verkehrsplanung oder dem Klimawandel beschäftigen? Und wie wird das unser Bild der Stadt verändern? Wir freuen uns auf Ihre Beiträge.


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Rubriken Die Stadt zuerst!
Rubriken 100% STADT

18 Kommentare


Hartwig Schultheiß, Stadtdirektor der Stadt Münster

Mich beschäftigt der Gedanke, warum ich die beiden Positionspapiere getrost unterschreiben könnte – es aber auch lassen kann. Die Oberflächlichkeit und Allgemeingültigkeit kann zu dem Schluss führen: schadet nicht. Die Analyse „die Stadträume in Deutschland waren noch nie so armselig“ würde mich allerdings von einer Paraphierung abhalten. Für derartige Zeugnisse empfehle ich die Auseinandersetzung mit dem erbärmlichen Leben in der mittelalterlichen Stadt, den Lebensverhältnissen hinter Gründerzeitfassaden, die Analyse der Großwohnsiedlungen der 70er Jahre vor den Toren unserer Städte – die Unterzeichner wissen all das. Ich akzeptiere jedenfalls nicht ein solches Armutszeugnis unserer Städte. Zweifelsohne gibt es Defizite in der Umsetzung erstrebenswerter Ziele des Städtebaus. Doch können die Hochschulen da überhaupt signifikant Einfluss nehmen? Die Sicht derjenigen, die in unseren Städten die konkrete fachliche Verantwortung tragen für die Stadtentwicklung und Stadtplanung sollte die Diskussion bereichern. Positionspapiere sollen Positionen beziehen, Erkenntnisse bringen, Perspektiven entwickeln. Die schlichte Feststellung, es sei immerhin eine Diskussion angestoßen worden, ist ein Minimalziel, das der Kompetenz der Unterzeichner wenig adäquat ist. Die Diskussion scheint mir ferner geprägt vom Abstecken akademischer Frontlinien zwischen den Disziplinen. Mir stellt sich die Frage, ob sich der Streit der Protagonisten überhaupt lohnt. Mein Fazit: Die Papiere helfen wegen ihrer Oberflächlichkeit und Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten nicht weiter. Wie lange reden wir schon über „neue Herausforderungen“ und „veränderte Rahmenbedingungen“. Sind die Inhalte einer Neujustierung noch nicht an den Hochschulen angekommen? Dann empfehle ich Lehrenden wie Lernenden das Positionspapier der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) in seiner fortgeschriebenen Fassung aus Mai 2014. Hier werden die „Herausforderungen und Chancen für Stadtentwicklung und Städtebau“ konkret beim Namen genannt. Dort ist fast alles gesagt und bedarf an dieser Stelle keiner Wiederholung. Es ist legitim, dass ich als Stadtdirektor und Planungsdezernent eine weitere Facette, die praxisorientierte Sichtweise einfordere – fachliche Kompetenz, Qualitäten im Bereich Architektur und Städtebau setze ich ohnehin voraus. Die jungen Studierenden sind interessiert und wissenshungrig. Sie können allerdings nur das aufnehmen, was ihnen an den Hochschulen vermittelt wird. Eine kompetente Vermittlung von „Kernkompetenzen“ schafft allerdings längst keine hinreichende Voraussetzung, den Praxistest zu überstehen (und unsere Stadträume zu verbessern). Wollte man an den Hochschulen tatsächlich hierzu beitragen, wären aus meiner Sicht mindestens zwei Praxisjahre der Lehrenden in Führungspositionen kommunaler Planungsämter erforderlich, um die Mechanismen kennenzulernen und diese vermitteln zu können. Zur Diskussion stelle ich die Frage, ob die Architektur- und Städtebaufakultäten dieses leisten können oder ob sie es überhaupt wollen und müssen. Wie tief in den Planungsalltag müssten sie dann eintauchen? Zu Recht wird – über die Fachdisziplinen hinaus- die Kompetenz eines Zugangs und der Austausch mit Politik, Wirtschaft, Handel und Gesellschaft (als Voraussetzung für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung) eingefordert. Hierzu bedarf es Persönlichkeiten, die das leisten können und das auch wollen mit großem Kraft- und Zeitaufwand... Akteure, die unpopulär entscheiden können, nicht per se den Mainstream bedienen wollen und schon gar nicht den Wunsch in sich tragen, stets geliebt und gelobt zu werden. Hierzu gehört auch, den nicht selten reflexhaft vorgetragenen Forderungen der Kommunalpolitik fachlich und weitsichtig begegnen zu können. Trotz eines stetigen und unmittelbaren Handlungsdrucks Strategien und planerische Ziele nicht aus den Augen zu verlieren, zu differenzieren zwischen Individualinteressen und Gemeinwohlinteressen – ein hohes Maß an Dialogfähigkeit vorausgesetzt, um Dialogprozesse zu organisieren. Diese Fähigkeiten vermögen die Hochschulen nicht zu vermitteln. Es gibt zahlreiche weitere Gründe, warum die Ausbildung an den Hochschulen nicht Garant für „bessere Stadträume“ sein kann. Selbstkritisch blicke ich auch auf eine selektive, immer weiter auseinander driftende Aufgabenwahrnehmung innerhalb der Kommunalverwaltungen. Ganzheitliche Betrachtungen werden konterkariert durch kontrovers artikulierte Zuständigkeitsregelungen sowie kompromisslos vorgetragenes Fachspartendenken - Verfahren vernebeln zunehmend die Inhalte. Gefahrenabwehrstrategien ersetzen Umsetzungsstrategien guter Ideen. Die Bereitschaft, Verantwortung zu tragen, schwindet; das „große Ganze“ und die gute Lösung bleiben dabei zu oft auf der Strecke. Planungskultur heißt jedoch auch Verantwortungskultur! Zusammenfassend darf ich feststellen: - Die Herausforderungen für den Städtebau in Deutschland werden in den Texten zur Bau- und Planungskultur der DASL umfassend beschrieben. Die Forderungen an den Bund und die Länder möchte ich ergänzen um den Auftrag, gemeinsam mit den Verantwortlichen in den Kommunen die Problematik der nicht-kompatiblen Regelungen des Bauplanungsrechts und des Bundesimmissionsschutzrechts aufzulösen, damit gewünschte Innenentwicklungen bauleitplanerisch wieder steuerbar werden. - Die Hochschulen vermitteln den Studierenden der einschlägigen Studiengänge fundiertes Grundlagenwissen. Der Anspruch, die Absolventen mit dem Rüstzeug auszustatten, „lebenswerte Stadträume“ dann auch wirklich zu bauen, werden die Hochschulen nicht erfüllen können. - Ein Gestaltungsanspruch in den Kommunen setzt die bedingungslose Bereitschaft und Fähigkeit der Akteure voraus, in langwierige Diskussionen mit der Stadtgesellschaft einzutreten, um die jeweils möglichst beste Lösung zu finden. Einzelinteressen haben dabei ggf. zurück zu stehen. - Städtebau und Stadtplanung sehen sich mit „vielfältigen urbanen Szenarien“ (Prof. Pesch) konfrontiert. Jede/r Planer/in muss für seine Stadt den „richtigen Weg“ finden und diesen überzeugend vertreten. Er/Sie muss „die eigene Stadt“ verstehen, um zwischen einer eher konservativen, kompromisslerischen Herangehensweise und einer innovativen, akzentuierten Baupolitik zu differenzieren. Klar muss dabei sein: Die Summe aller Einzelwünsche kann niemals die Lösung sein.


Kein richtiges Leben in der falschen StadtAnne Kockelkorn, Berlin

Die Akteure der Kölner Erklärung schreiben ein Plädoyer für eine aktivere, bewußtere Gestaltung des Stadtraums seitens der öffentlichen Hand und erheben das Wissen um architektonische Morphologie und Stadtgeschichte zur Richtgröße, um die Verhandlungsspielräume stadtplanender Verwaltungsbeamten zu stärken. Das ist vorbildlich, denn jenseits von Prestigeprojekten steht insbesondere die Gestaltung des öffentlichen Raumes oft genug am Schlußlicht der stadtplanerischen Nahrungskette. Man denke an diverse Bahnhofsvorplätze in Deutschland, wo auch in den zentralsten urbanen Lagen der Faktor „Aufenthaltsqualität“ und eine Gestaltung, die diese vermitteln könnte wie blinde Flecken urbaner Entwicklungsprozesse erscheinen. Unklar ist jedoch, weshalb dieses Wissen zwangsläufig dazu dienen muß, ein festgelegtes Einmaleins der Form zu lernen und zu reproduzieren, so als gäbe es anthropologische Konstanten der städtebaulichen Form, und als seien Architektur und Stadt eine Sprache, die nur auf eine Weise gesprochen werden darf, um das Glück ihrer (Innenstadt-)Bewohner zu garantieren. Es gibt auch andere Lösungen um Stadtraum anders als mit Raumschachteln adäquat zu gestalten. Das einseitige Plädoyer für die Formen der vorindustriellen Stadt und die Stadt der Gründerzeit ist ahistorisch: es schließt die Moderne als elementaren Teil der Stadtgeschichte aus, es verneint die Brüche und Entwicklungen, durch die sich die kompakte Stadt seit der Industrialisierung um 1800 geöffnet hat – und es projiziert auf die Menschen, die das Unglück haben, in der falschen, nicht lebenswerten Stadt leben, die Selbstverantwortung des falschen Lebens. Ein Wissen über Stadtgestalt hat einen genaueren Blick für das Vorhandene und schließt viele Möglichkeiten ein.


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