Bauwelt

Abschreibungsvorteil Baudenkmal

Wohnanlage Kdf-Bad Prora

Text: Landes, Josepha, Dresden

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Foto: Josepha Landes

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Abschreibungsvorteil Baudenkmal

Wohnanlage Kdf-Bad Prora

Text: Landes, Josepha, Dresden

Die Neunutzung von Prora schreitet voran. Nachdem vor zwei Jahren in Block 5 eine Jugendherberge eröffnete, werden nun die Blöcke 1 und 2 als Eigentumswohnanlagen und Hotels revitalisiert. Neue Fenster in der alten Fassade zeigen: Eine Musterwohnung wartet bereits auf Interessenten. Wie stellen sich die Projektentwickler das Leben im einstigen KdF-Seebad vor?
Was ist eine Ruine wert? Dass der Ruinenhandel sehr lukrativ sein kann, beweist der Werdegang des ab 1936 vom Kölner Architekten Clemens Klotz (1886–1969) geplanten KdF-Seebads Prora bei Binz auf der Insel Rügen. Hinter einem Kiefernwäldchen zeichnen heute noch fünf Blöcke in leichtem Schwung knapp fünf Kilometer Küstenlinie nach. In traumhafter Sandstrandlage steht eines der gewaltigsten Baudenkmale Deutschlands. Es ist weitgehend verfallen.
Auf dem Papier bestand der Komplex aus acht identischen Baublöcken. Die jeweils vier Blöcke im Norden und im Süden des zentralen Paradeplatzes mit Seebrücke waren durch eingeschobene Speisehallen miteinander verbunden. Jeder Block hatte eine Länge von ca. 450 Metern, zählte sechs Geschosse und wurde durch neun Treppenhäuser erschlossen, die kammförmig auf der Landseite andockten. Von einem die gesamte Blocklänge durchlaufenden Flur – einer „inneren Straße“ – auf der meerabgewandten Seite gingen die Zimmer ab. Zwei-Bettzimmer, die alle auf die See blickten, sollten, im 10-Tages-Rhythmus belegt, auf einen Schlag 20.000 Urlauber beherbergen. Niemals jedoch kam die Anlage ihrer Bestimmung nach. Mit Kriegsbeginn wurden die Arbeiten eingestellt. Sieben Blöcke waren zu der Zeit rohbaufertig. Teilweise wurden sie in den Folgejahren provisorisch zu Lazaretts und Flüchtlingsunterkünften ausgebaut. Nach Kriegsende bezog die Rote Armee Quartier und nahm Sprengungen an drei Blöcken vor. In der DDR fungierten einige der verbliebenen Blöcke als Ferienheim für Offiziere und als Kaserne der Fallschirmjägerbrigade, andere als Kinderferienlager oder Unterkunft für Bausoldaten, die am benachbarten Fährhafen Mukran eingesetzt waren. Mit der Wende ging die Liegenschaft in Bundesbesitz über und war bis 1992 Bundeswehr-Standort. Noch Ende des gleichen Jahres erhielt Prora Denkmalschutz-Status (Bauwelt 30.1992). Ein Entwicklungskonzept für die Zeit nach der militärischen Nutzung wollte sich nicht finden oder doch zumindest nicht realisieren lassen – kurzzeitig schwebte die Idee einer Ostseeuniversität im Raum (Bauwelt 26.1994). Nach Einholen einer Bedarfs- und Wirtschaftlichkeits-Studie beschloss der Bund 2004, die Blöcke einzeln zu verkaufen. Der Gesamterlös aus den Versteigerungen belief sich auf 3,45 Millionen Euro. So weit die Geschichte.
Die Denkmal-Ausweisung führt in gewisser Weise dazu, den Ruinenwert, wie ihn die Nazis postuliert haben, zu stützen. Das Attribut „Nazi-Architektur“ lässt sich nicht abschütteln. Wie aber können Politiker, Planer und Architekten besonnen damit umgehen? Selbst bei nüchterner Betrachtung der Anlage, in Hinblick auf ihre Funktionalität, lässt sich die nationalsozialistische Ideologie nicht übersehen. Schließlich war die moderne Formsprache des Funktionalismus im „Dritten Reich“ keineswegs vollends verpönt. Im Gegenteil galten Funktionalität und Rationalität für den Industriebau gar als adäquater Stil. Und nichts anderes als eine „Urlaubsmaschine“ sollte das Ostseebad Prora verkörpern. Nun aber die „Ursprungs-Idee“ aufzunehmen, Urlauber in den Gebäuden unterzubringen, scheint nicht nur aus historischer Sicht fragwürdig. Obwohl Lage und Ausmaß der Anlage geradezu nach touristischer Nutzung schreien, läuft Rügen in puncto Fremdenverkehr Gefahr zu implodieren. Die Ressourcen der Insel sind endlich, was schon hier und da ersichtlich wird. Zum einen zeigt sich dies an der Bundesstraße B96, deren Ausbau zwischen Altefähr und Bergen so viele Gegner wie Befürworter findet. Die Straße gleicht einem Flickenteppich. Auf bislang zwei Streifen kommen weder Urlauber noch Anwohner in der Hochsaison zufrieden an ihr Ziel. Der vierstreifige Ausbau soll innerhalb der nächsten zwei Jahre beendet sein, zusätzliche Anschlussstellen den Verkehrsfluss entspannen und zudem den Südwesten der Insel besser anbinden. Von Urlaubern überrannt werden nämlich hauptsächlich die Ostseebäder Binz, Sellin, Babe und Göhren im Osten. Wenngleich die Wirtschaft Rügens sich auf den Fremdenverkehr stützt – vom Beherbergungsbetrieb bis zum Sanddorn-Bonbon-Hersteller –, es bleibt das Bedenken, wie viele Urlauber Platz finden können. Dabei gilt es nicht nur, Bettenangebot und Auslastung abzustimmen und das Verhältnis von Sommer- und Winterbelegung der Quartiere zu betrachten, sondern auch die natürlichen Reserven zu hegen; denn eben in seiner Natur liegt Rügens Anziehungskraft: Meer, Kreidefelsen, Wald und Wiesen mitsamt der dazugehörigen Flora und Fauna. Das seit Juni geöffnete Naturerbe-Zentrum in unmittelbarer Nachbarschaft der Ruinen von Prora zeigt das Bemühen um umweltbewussten Tourismus.
Nur, können die Pläne für die Blöcke in Prora diese Entwicklung voranbringen, oder wird, was dort entsteht, den Organismus der Insel stören? Nachdem 2011 im nördlichsten Block, Block 5, der dem Landkreis Rügen gehört, eine Jugendherberge eröffnet wurde (Bauwelt 32.2011) sind nun – endlich, meinen viele auf der Insel – konkrete Pläne für zwei weitere Blöcke auf dem Tisch. 2006 hatte ein Investor die Blöcke 1 und 2 ganz im Süden des Geländes für 455.000 Euro vom Bund ersteigert. Durch das Aufstellen rechtskräftiger Bebauungspläne konnte er im vergangenen Jahr beide Blöcke gewinnträchtig weiterverkaufen. Der Preis allein von Block 1 betrug 2,75 Millionen Euro. Entstehen sollen Hotels und Eigentumswohnungen. Der B-Plan sieht auf dem Gesamtgelände 3000 Ferienbetten und 600 Wohneinheiten vor. 400 Gäste können allein schon in der Jugendherberge unterkommen.
Große Pläne für Block 1
Der Investor von Block 1, die Firma Irisgerd aus Berlin, setzt auf ein Gesamtkonzept und beauftragte dafür das ebenfalls in Berlin ansässige Architekturbüro Stuke. Drei Aufgänge werden ein Wellness-Hotel, sechs Aufgänge Eigentumswohnungen verschiedener Größe und Zimmerzahl enthalten. Seit Mai ist eine Musterwohnung begehbar. Schon mehr als 2000 Besucher haben einen Blick in die gute Stube geworfen. Die Architekten distanzieren sich davon, Nazi-Architektur zu interpretieren. Es sei ihnen vor allem wichtig, ein funktionsfähiges Modell für das Gebäude in seiner Umgebung zu entwickeln. So sollen Gewerbeeinheiten und Freizeiteinrichtungen in den Erdgeschossen über die „innere Straße“, die im ersten Obergeschoss beibehalten wird, ein ganzjähriges Funktionieren gewährleisten. Die vergangenen Zeitschichten werden nicht präpariert, lediglich die Treppenhäuser, mit Fahrstühlen aufgerüstet wie ursprünglich geplant, restauriert. Zudem erteilte die Denkmalschutzbehörde 2009 die Genehmigung, Balkone anzubauen und den Wärmeschutz mittels WDVS an aktuelle Standards anzupassen. Die vorgesehenen Autostellplätze könnten, um Bus-Shuttles Richtung Binzer Zentrum ergänzt, helfen, den Autoverkehr in Binz stark zu reduzieren. Mit dem Ausbau soll begonnen werden, sobald neben Teil 1 der Baugenehmigung für die Wohnungstrakte auch Teil 2 für das Hotel erteilt ist, was die Gemeinde wie die Projektentwickler für August in Aussicht stellen. Die Wohnungen werden über dem ortsüblichen Quadratmeterpreis von 2500 Euro verkauft, doch soll die steuerliche Vergünstigung der Denkmalschutz-Abschreibung (AfA) die Kaufpreise aufwiegen. Idealerweise, so Architekt Ulrich Stuke, könne der Binzer Wohnungsmangel gemindert werden, indem die Eigentümer zu ortsüblichem Preis vermieten und also ihre Vorteile weitergeben. Die Abwägung der Eigentümer, ihre Immobilie saisonal als Dienst- oder Ferienwohnung oder ganzjährig als Hauptwohnung zu vermieten, wird vermutlich von finanziellen Argumenten entschieden werden. So soll der Dämon Mammon den Dämon Nazi-Vergangenheit in Schach halten – der Denkmalwert wird zum Abschreibungsvorteil für Traumwohnungen heruntergerechnet.
Anders läuft der Hase auch in den übrigen Blöcken nicht. Block 2 gehört seit 2012 der Firma Bering Consulting, ebenfalls mit Sitz in Berlin. Seine einzelnen Aufgänge werden von unabhängigen Subunternehmen entwickelt. Im Ganzen als „Meersinfonie“ angepriesen, soll der Block zehn Häuser mit so wohlklingenden Namen wie Lido und Aurum aneinanderreihen, die wie Block 1 Hotellerie und Eigentumswohnungen beinhalten werden. Zwei der Häuser können bereits besichtigt werden. Um Block 3, der 2004 von der Inselbogen GmbH erworben wurde, ist es hingegen ruhig geworden. 2006 hatten die Wellen hochgeschlagen, weil der Investor das eingemietete Prora-Dokumentationszentrum vor die Tür setzen wollte. Das Vorhaben ist damals durch den Bundestag gestoppt worden. Das Geschichtsmuseum sowie eine Diskothek und die sogenannte KulturKunststatt mit KdF- und DDR-Museum befinden sich im Gebäude, ein Hochseilgarten, Würstchenbude und Eisstand auf dem Gelände. Auch für Block 4 sind bereits Investoren gefunden. Das Projekt der Leipziger Firma Bauart befindet sich noch in der Entwicklung. Wie Block 1-Architekt Ulrich Stuke hofft auch der Binzer Bürgermeister Karsten Schneider, dass die Investoren zusammenarbeiten. Es werde Zeit, dass dem Verfall Einhalt geboten wird. Bestenfalls könnte Prora vom Koloss zum Modellstadtteil werden. 
Fakten
Architekten Klotz, Clemens (1886–1969); Stuke Architekten, Berlin
aus Bauwelt 31.2013
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