Bauwelt

Abrissblöcke in Venedig

Doris Kleilein über eine angesagte Präsentationsform, die Besucher zu Kuratoren ihrer eigenen Ausstellung macht

Text: Kleilein, Doris, Berlin

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Doris Kleilein über eine angesagte Präsentationsform, die Besucher zu Kuratoren ihrer eigenen Ausstellung macht


Abrissblöcke in Venedig

Doris Kleilein über eine angesagte Präsentationsform, die Besucher zu Kuratoren ihrer eigenen Ausstellung macht

Text: Kleilein, Doris, Berlin

Selbermachen! Auch auf der Architekturbiennale in Venedig ist „Hands On“ das Gebot der Stunde. Man könnte auch von Arbeitsverlagerung sprechen, und zwar von den Kuratoren auf die Besucher: Kataloge waren gestern, heute muss sich die geneigte Besucherin möglicherweise interessante Architekturprojekte schon selbst auf DIN-A4-Blättern zusammensammeln. Auch Fotos an den Wänden waren gestern, heute liegen sie als Plakate zum Mitnehmen bereit. Und so habe ich in Venedig geackert: Habe die Holzpyramide im Nordischen Pavillon erstiegen und gebückt nach Waschzetteln finnischer, schwedischer und norwegischer Architektur gesucht, habe im brasilianischen Pavillon vorsichtig bunte Ausdrucke mit Black-Community-Projekten von Abrissblöcken gezogen, habe bei den Österreichern Fotoplakate aus Flüchtlingsunterkünften im DIN-A0-Format zusammengerollt und versucht, in meine Fair-Building-Stofftasche zu stecken. Abrissblöcke sind das Ausstellungsmedium 2016: Man kann sie zu attraktiven tischhohen Volumina zusammenstellen, jeder läuft geschäftig darum herum und sucht sich was aus, keiner verlässt den Pavillon mit leeren Händen. Da kommen Sammel- und Jagdin­stinkte durch, es wird eingepackt, auch wenn die hochwertigen Druckerzeugnisse hinterher aussehen wie die Arbeitsblätter in der Schultasche meines Sohnes: wirr durcheinander, mit Eselsohren, nicht mehr zuordenbar, von Essensresten durchsetzt. Für Kuratoren sind die Abrissblöcke ein Gradmesser des Interesses, in ihrer Effizienz nur mit den Balkendiagrammen von Google Analytics vergleichbar: Welcher Stapel ist am meisten geschrumpft? Wie viele Zentimeter sind übrig geblieben? Soviel kann ich sagen: Im österreichischen Pavillon ging das Motiv eines zersplitterten iPhones auf orange-weißem Tupfenmuster weg wie warme Semmeln, wohingegen der tanzende Iraker ein Ladenhüter war. Der macht sich ja dann doch nicht so gut an der Flurwand zuhause, ein kaputtes Handy dagegen schon, das hat ja jeder, ein quasi integrativ-individuelles Motiv. Auch das ist eine Folge der Arbeitsverlagerung: Ich nehme mit, was ich kenne und was mir gefällt. Die passive Betrachtung einer (nicht von mir) ausgewählten Fotografie zwingt mich dagegen zur Auseinandersetzung – ich habe ja nichts anderes zu tun. Aber das ist ja noch anstrengender als Abreißen.

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