Bauwelt

Welche Rolle spielen die Bilder der Revolution?

Die Ausstellung „Kairo. Offene Stadt“ in Braunschweig und Berlin

Text: Brosowski, Bettina Maria, Braunschweig

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„Tahrir Cinema“: Der Schauspieler Khalid Abdalla präsentiert Fotos und Videos junger Aktivisten (2. Dezember 2011).

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„Tahrir Cinema“: Der Schauspieler Khalid Abdalla präsentiert Fotos und Videos junger Aktivisten (2. Dezember 2011).


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Mubarak-Anhänger flüchten über die „Brücke des 6. Oktober“, nachdem Muba­rak-Gegner sie vom Tahrir-Platz verjagt ha­ben (3. Februar 2011).
Peter van Agtmael/Magnum Photos

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Mubarak-Anhänger flüchten über die „Brücke des 6. Oktober“, nachdem Muba­rak-Gegner sie vom Tahrir-Platz verjagt ha­ben (3. Februar 2011).

Peter van Agtmael/Magnum Photos


Welche Rolle spielen die Bilder der Revolution?

Die Ausstellung „Kairo. Offene Stadt“ in Braunschweig und Berlin

Text: Brosowski, Bettina Maria, Braunschweig

Ein großer Leuchtkasten weist den Weg zur Ausstellung „Kairo. Offene Stadt“, in die „Quartiere für zeitgenössische Kunst und Fotografie“ in Braunschweig.
Der Kasten ist der Nachbau eines Displays, das derzeit die Passagiere am Flughafen von Kairo begrüßt. Es zeigt demonstrierende Massen am Tahrir-Platz Anfang 2011, dazu das Lob des österreichischen Bundespräsidenten, dass diesen Menschen und ihrem Mut der Friedensnobelpreis gebühre. Betreiber des Kairoer Leuchtkastens ist die Telekommunikationsfirma Mobinil. Während der Aufstände folgte Mobinil stets dem Mubarak-Regime, wenn dies die Abschaltung der Netze anwies, um die Proteste zu unterdrücken. Die kommerzielle Ausbeutung des Bildmaterials zu Werbezwecken für Mobinil wirft exemplarisch die Frage nach Wirkmacht und Funktion solcher Do­ku­mente auf, nach ihren neuen, kaum steuerbaren digitalen Vertriebswegen und Gebrauchsformen sowie nach ihrer Rolle in gesellschaftlichen Umwälzungsprozessen.

Als Experiment versteht sich die Ausstellung des Museums für Photographie Braunschweig, die im Titel eine Anspielung auf Roberto Rossellinis Film „Rom. Offene Stadt“ über den Widerstand im Rom des Zweiten Weltkriegs verwendet. „Offene Stadt“ bedeutet im Kriegsrecht auch, dass der Zivilbevölkerung einer Stadt, die nicht verteidigt wird, besonderer Schutz zuzukommen habe. So sind die thesenhaften Beiträge konnotiert, die Fotografen, Künstler und Kuratoren, überwiegend aus Kairo, zusammengestellt haben. Allein dieser Ausstellungsteil beschert eine gewaltige Fülle an Fotos und Videos – viele davon sind klassischer, distanzierter Bildjournalismus von internationalen Agenturen wie Magnum. Diese Bilder werden mit jenen neuartigen und unmittelbar parteiergreifenden Dokumenten konfrontiert, die die Aktivisten selbst erstellt haben. Die Arbeit des Fotoreporters hat in Ägypten geradezu eine Renaissance erfahren; das omnipräsente Handy lieferte die Bilder, die sich in Sekundenschnelle ins Internet stellen ließen. „Wir schauen zurück!“, lautete die Parole der Aktivisten, gerichtet gegen den staatlichen Rundfunk Maspero und seine Propaganda.

Die Ausstellung zeigt ferner aktuelle freie Aus­einandersetzungen internationaler Künstler mit diesem Bildkonvolut. Außerdem erhellen historische Alben die dominante gesellschaftliche Rolle des Militärs in Ägypten – einst mythisiert als Befreier von der englische Kolonialmacht, zuletzt bekämpft als nicht minder despotischer Nachfolger des entmachteten Mubarak.

In dem seit Jahrzehnten unter rechtlichen Ausnahmezustand gestellten Land entlud sich allerdings nicht nur der Zorn gegen einen diktatorischen Herrscher und sein kleptokratisches Regime. Ob intellektuell durchdrungen oder aus der eigenen Armut motiviert – der Protest der Menschen, die ab 25. Januar 2011 auf die Straße gingen, richtete sich auch gegen das globale Wirtschaftssystem. Dies betonte Philip Rizk, ein junger deutsch-ägyptischer Journalist, Blogger und Filmemacher bei der Ausstellungseröffnung. Und Rizk geht, anders als jene, die vorrangig die Tagesereignisse festhielten, den Ursachen nach. In seinem Video „Sturm“ zeigte er bereits 2010 die wachsende Armut im Land. Kleinbauern beispielsweise werden durch großflächige Agrarbetriebe systematisch in ihrer traditionellen Wirtschaftsform behindert. Im Fayyum-Becken südwestlich von Kairo, einst der fruchtbare „Garten“ der Hauptstadt, gehen 50 Prozent des notwendigen Wassers verloren. Heute ernährt die Gegend nicht einmal mehr ihre eigenen Bauern. Oder die Ahmonseto-Fabrik, ein amerikanischer Textilhersteller: Sie schloss 2002 nach einer verlorenen Schadensersatzklage wegen angeblicher Benachtei­ligung im ägyptischen Subventionssystem. Eine Wiederinbetriebnahme interessierte die staatlichen Stellen nicht.

Mittlerweile verstehen sich unabhängige, nicht kommerzielle Medienkollektive wie „Mosireen“ oder „Thawra Media“, die sich während der Aufstände gründeten, als Sachwalter der Bilder der Revolution. „Aber wem gehören die Geschichten und die Wahrheit“, fragt der britisch-ägyptische Aktivist und Schauspieler Khalid Abdalla; er organisiert in Kairo ein Straßenkino, das die kursierenden Fotos und Videos der jungen Aktivisten vorführt. Philip Rizk bleibt skeptisch, was die Rolle der Bilder angeht: 5000 politische Gefangene unter Mubarak, Tausende Tote während der Aufstände allein in Ägypten – Bilder könnten nicht ansatzweise vermitteln, was wirklich in der Welt geschieht.  

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