Bauwelt

„Was japanische Architektur auszeichnet? Ich weiß es nicht“

Interview mit Shigeru Ban

Text: Czaja, Wojciech, Wien

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Shigeru Ban auf dem Stuhl aus seinem „10 Unit System“, das er für Artek entwickelte
Shigeru Ban Architects/Artek

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Shigeru Ban auf dem Stuhl aus seinem „10 Unit System“, das er für Artek entwickelte

Shigeru Ban Architects/Artek


„Was japanische Architektur auszeichnet? Ich weiß es nicht“

Interview mit Shigeru Ban

Text: Czaja, Wojciech, Wien

Shigeru Ban, der Pritzker-Preisträger 2014, über Bauen für Arme und Reiche, veraltete Normen und Gesetze, seine Liebe zu Flugreisen und – natürlich – über Papier und Pappe
Was war Ihre erste Reaktion, als Sie erfahren haben, dass Sie der Pritzker-Preisträger 2014 sind?
Shigeru Ban |
Ich war überrascht. Diesen Preis zu gewinnen ist eine große Ehre! Wissen Sie, von 2006 bis 2009 saß ich selbst in der Pritzker-Jury, und ich kenne die komplizierten Prozesse und ewig langen Diskussionen, die hinter der Entscheidung stecken.
Warum ausgerechnet Sie?
Mir wurde gesagt, ein wesentlicher Grund sei die Kontinuität meiner Arbeit. Seit mehr als zwanzig Jahren arbeite ich daran, temporäre Konstruktionen in Krisenregionen und Katastrophengebieten zu errichten und die beiden scheinbaren Widersprüche Effizienz und Ästhetik zu vereinen.
Eine Ihrer Besonderheiten ist das Bauen mit Papier und Pappkarton. Wann hat das begonnen?
Das erste Projekt aus Pappe war eine Ausstellungsgestaltung über Alvar Aalto 1986. Das war in der Nähe von Tokio. Ich wusste nur: Ich will nicht schon wieder mit Holz bauen. Also habe ich mich dafür entschieden, mit Papier und Pappe zu bauen. Das war das allererste Mal, dass ein Architekt mit diesen Materialien gearbeitet hat.
Seit damals arbeiten Sie regelmäßig damit. Was ist das Faszinierende an diesem Baustoff?
Nichts ist faszinierend daran. Es ist ein Baustoff wie jeder andere auch. Nur hatte vor mir noch niemand daran gedacht, damit zu arbeiten. Das ist alles.
Das klingt sehr pragmatisch. Das glaube ich Ihnen nicht.
Ich kann es auch anders sagen: Ich bin ein Freund des Erfindens. Immer nur Trends und Modeströmungen zu folgen, ist mir zu wenig. Schauen Sie sich einmal Buckminster Fuller oder Frei Otto an! Die sind auch nicht irgendwelchen Trends gefolgt, sondern haben ihre ganz eigene Sprache und Konstruktionsästhetik entwickelt. Sie haben sich von niemandem beeinflussen lassen, sondern haben ihren eigenen Stil kreiert.
Eigener Stil also, … Welcher Motor steckt da dahinter?
Als ich vor mehr als dreißig Jahren begann, als Architekt zu arbeiten, waren Umweltschutz und ökologisches Bauen Fremdwörter. Darüber hat niemand gesprochen. Für mich jedoch war das etwas ganz Natürliches, etwas ganz Selbstverständliches. Ich war immer schon daran interessiert, mit billigen, regionalen und wiederverwendbaren Materialien zu arbeiten. Daher der – wenn Sie so wollen – eigene Stil.
Woher nehmen Sie das Material?
Die Pappröhren sind ganz normale Produkte, die für die Papierindustrie hergestellt werden. Keine Sonderanfertigungen. Wir beziehen uns auf das, was es schon auf dem Markt gibt. Und das Gute daran ist: Papierfabriken gibt es überall auf der Welt.
Wie bestimmen Sie die Festigkeit?
Solche Röhren halten sehr viel aus. Wenn Sie schon einmal gesehen haben, wie viel Tonnen Papier auf eine Röhre gewickelt werden, dann wissen Sie das. Im Laufe der Jahre haben wir die unterschiedlichen Produkte genauen Festigkeitsprüfungen unterzogen und können uns auf bereits bestehende Daten stützen. Wenn ein neues Produkt dazu kommt, müssen wir einen neuen Test machen.
Was muss man alles berücksichtigen, wenn man mit Papier baut?
Sie meinen Feuer und Wasser?
Zum Beispiel.
Trinken Sie manchmal Orangensaft?
Sie meinen aus dem Tetrapak?
Genau. Es gibt schon viele Methoden, wie man Papierprodukte wasserdicht und wasserfest machen kann. Das Gleiche trifft auch auf die Brandfestigkeit zu.
Wie lange halten Ihre Papierkonstruktionen?
Wie lange hält eine Betonkonstruktion?
Glaubt man der Betonlobby, ewig.
Ja. Aber wir wissen alle, dass das nicht stimmt. Ein Gebäude aus Beton kann durch ein Erdbeben oder bei Überschwemmungen leicht zerstört werden und ist schwierig zu reparieren. Beton hält keine hundert Jahre. Was die meisten Leute nicht wissen: Ein Haus aus Papier kann, wenn es gut gebaut ist, das stärkste Erdbeben überstehen, weil es sehr leicht konstruiert ist. Ein schweres Gebäude wird zusammenbrechen.
Papier hält also länger als Beton?
Mitunter ja. Wie gesagt: Die Technik ist nicht das Problem.
Sondern?
Die Vorschriften! Die Behörden haben keinerlei Erfahrung mit Papier- und Pappkonstruktionen und wollen sich damit auch nicht auseinandersetzen. Die Normen und Gesetze diesbezüglich sind veraltet und zwar überall auf der Welt. Der Bewilligungsprozess ist extrem kompliziert.
Sie haben schon oft genug mit Papier gebaut. Erfahrungswerte sind da. Könnte man diesen Prozess vereinfachen?
Ich glaube nicht, dass man den Prozess vereinfachen kann. Es wird schwierig bleiben.
Lieben Sie Herausforderungen?
Warum würde ich sonst das tun, was ich tue?
Sie bauen einerseits für reiche, privilegierte Bauherren und weltbekannte Unternehmen und Institutionen, und andererseits für Menschen in Not.
Wir Architekten arbeiten fast immer nur für die Privilegierten. Sie haben Geld, Macht oder beides zusammen und beauftragen uns, ihnen Denkmäler zu bauen, die diese Macht symbolisieren. Das war schon immer so. Das ist die historische Rolle von Architekten ...
... die sie nun aufbrechen?
Wenn eine Naturkatastrophe passiert und in kurzer Zeit Notunterkünfte benötigt werden, ist meistens weit und breit kein Architekt zu sehen. Dabei könnten wir hier Vieles verbessern, wenn wir helfen. Also sollten wir das tun.
In welcher Rolle fühlen Sie sich wohler? Als Architekt der Reichen oder als Architekt der Menschen in Not?
In gewisser Weise gibt es da keinen Unterschied.
Keinen Unterschied?
Der einzige Unterschied ist: Bei den Reichen werde ich bezahlt und bei den Armen nicht.
In einem Interview haben Sie einmal gesagt, Sie seien nicht daran interessiert, Geld zu verdienen.
Das stimmt. Aber ich habe nun mal ein Büro, und dieses Büro muss überleben. Ich spreche nicht gerne über Geld. Ich hasse es, mich um geschäftliche Dinge und Honorare zu kümmern. Das macht alles mein Partner.
1995 haben Sie den Verein Voluntary Architects’ Network (VAN) gegründet. Was genau passiert da?
Genau das! Bauen für Menschen in Not. Wir arbeiten überall auf der Welt. Überall, wo es Krisen und Naturkatastrophen gibt, also nach Kriegen, Erdbeben, Bränden, Hurricans und Tsunamis, und wo man in kürzester Zeit Behausungen für viele Tausend Menschen schaffen muss.
Wo und wie finden Sie Ihre freiwilligen Helfer?
Die Freiwilligen finden wir vor Ort. Helfer aus dem Ausland müssten wir einfliegen lassen, und das können wir uns nicht leisten.
Sie sind nun der siebte japanische Architekt, der mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wird. Was macht japanische Architektur so attraktiv für die Pritzker Foundation?
Was japanische Architektur auszeichnet? Ich weiß es nicht. Aber Nationalitäten sind in der Pritzker-Jury kein Thema. Das weiß ich noch aus der Zeit, als ich selbst in der Jury saß.
Würden Sie sich denn als japanischen Architekten bezeichnen?
Nein. Ich bin nicht in Japan ausgebildet worden. Ich habe in Kalifornien und in New York studiert. So gesehen bin ich ein internationaler Architekt.
Und wo fühlen Sie sich zu Hause?
Im Flugzeug. Da bin ich privat. Kein Scherz! Da kann ich all das machen, wozu ich sonst nie Zeit habe: Skizzen anfertigen, Filme schauen und schlafen. Und ich liebe es, zwischen den Zeitzonen unterwegs zu sein.
Wissen Sie schon, was Sie mit den 100.000 Dollar Preisgeld machen werden?
Ich werde weiterhin das tun, was ich bisher getan habe. Daran wird sich nichts ändern. Die Arbeit wird bestenfalls wachsen.
Also?
Ach, Sie meinen die 100.000 Dollar?
Genau.
Ich werde das Geld in meine NGO-Aktivitäten investieren. Da gibt es genug zu tun.

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