Bauwelt

„Mit Wettbewerben machen Architekten der Gesellschaft ein einzigartiges Angebot“

Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer und Mitinhaberin von ANP

Text: Meyer, Friederike, Berlin

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Barbara Ettinger-Brinckmann beim Gespräch in der Geschäftstelle der Bundesarchitektenkammer in Berlin
Foto: Paul Lichtenthäler

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Barbara Ettinger-Brinckmann beim Gespräch in der Geschäftstelle der Bundesarchitektenkammer in Berlin

Foto: Paul Lichtenthäler


„Mit Wettbewerben machen Architekten der Gesellschaft ein einzigartiges Angebot“

Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer und Mitinhaberin von ANP

Text: Meyer, Friederike, Berlin

Frau Ettinger-Brinckmann, warum betreuen Sie Wettbewerbe?
Ich finde das spannend, weil man in ganz viele verschiedene Bereiche Einblick bekommt und ein Wettbewerb im Interesse von Bauherren und Architekten einen optimalen Verlauf nehmen sollte. Mit Wettbewerben machen Architekten der Gesellschaft ein einzigartiges Angebot, und ich verstehe nicht, warum das nicht alle Bauherren nutzen und sich für vergleichsweise kleines Geld mehrere Entwürfe für ihr Vorhaben anfertigen lassen. Danach können sie doch erst sagen, welcher Entwurf der beste für sie ist. Anderenfalls kaufen sie die Katze im Sack.
Wie stehen Sie zu offenen Wettbewerben?
Ich sage immer: Der offene Wettbewerb bietet die meisten Ideen, die höchste Kreativität und die größte Verfahrenssicherheit, weil es nur auf den Entwurf ankommt, nicht aber auf die Zugangsbedingungen. Wir leisten uns in Deutschland teure Hochschulen, bilden den Nachwuchs erstklassig aus, sind in der ganzen Welt anerkannt. Die Politik will den breiten Mittelstand fördern, also brauchen die Bürogründer unter den Architekten auch eine Chance. Ich kläre auf, aber die meisten der von uns betreuten Wettbewerbe sind nicht offen. Der offene Wettbewerb bzw. die damit verbundenen Zeit- und Geldkosten sind für Auslober kaum vorhersehbar und auch für uns Architekten nicht ohne Nachteile: Mit wachsender Teilnehmerzahl verringert sich die Chance auf Preis und Auftrag. Wir haben an einem offenen Wettbewerb mit 350 Teilnehmern in der 1. Phase teilgenommen, die an einem Tag juriert wurde. Keiner kann mir erzählen, dass das angemessen möglich ist. Jurysitzungen über drei Tage zu organisieren, ist aber auch nahezu unmöglich. Aktiv im Beruf stehende Fachpreisrichter haben selten an drei aufeinander folgenden Tagen Zeit. Es ist ja schon schwierig, neben dem Preisgericht, einen gemeinsamen Termin für das aus meiner Sicht ganz wichtige Preisrichtervorgespräch zu finden. Ein 8- bis 10-stündiges Preisgericht mit 12 bis 24 Arbeiten ist gut machbar und wird jeder einzelnen Arbeit gerecht. Lieber so und dafür viele Wettbewerbe.
Wenn alle Wettbewerbe offen wären, würden die Teilnehmerzahlen sinken, sagen manche.
Das wurde schon vor dreißig Jahren gesagt. Lesen Sie mal die alten Fachzeitschriften. Man müsste alle Wettbewerbe anhalten und zeitgleich offen starten; dann würden sich die Teilnehmerzahlen relativieren. Aber das ist eine Illusion.
Was ist die Lösung?
Man kann auch einen begrenzten Wettbewerb so gestalten, dass alle, auch die Jüngeren und die Kleinen, eine Chance haben. Entweder per Losentscheid mit dem alleinigen Zugangskriterium der Berufszugehörigkeit als Voraussetzung. Oder aber, wenn der Auslober nicht allein auf den Zufall setzen will, mit geringen Zugangshürden.
Wie setzen Sie sich für niedrige Hürden ein?
Bei den Eignungskriterien sagen wir: Teilnehmer müssen ein Referenzprojekt in derselben Honorarzone nachweisen. Die Größenordnung interessiert nicht. Wenn ich ein 3000 Quadratmeter-Haus bauen kann, kann ich auch 30.000 m² planen. Ich darf zum Beispiel beim Wettbewerb für eine Schule nicht ausgeschlossen werden, weil ich noch keine Schule gebaut habe. Für junge Büros schlage ich die Klausel vor, dass sie sich mit dem Projekt, das sie in einem anderen Büro gemacht haben, bewerben dürfen, sofern der Ex-Chef zustimmt. Das wenden nur leider bislang sehr wenige an. Und dann wird mithilfe eines fachlich besetzten Auswahlgremiums nach der Qualität des Referenzprojektes, und nicht etwa nach Größe, Zahl der Mitarbeiter oder gar dem Umsatz, ausgewählt.
Wünschen Sie sich manchmal in die Zeit vor 1992 zurück, vor dem EU-Gesetz, als man noch regional offen ausschreiben durfte?
Ich bin eine absolute Befürworterin der Idee Europa. Aber warum muss ich Wirtschaftsteilnehmern aus aller Welt die Möglichkeit geben, zum Beispiel einen Kindergarten in einer Kleinstadt zu bauen? Das steht in keinem Verhältnis. Warum kann ich den Teilnehmerkreis nicht auf den Landkreis oder den Regierungsbezirk begrenzen? Jeder europäische Architekt hat ja die Möglichkeit, sich dort niederzulassen oder mit einem örtlichen Büro zu kooperieren.
Als Präsidentin der Bundesarchitektenkammer verhandeln Sie mit dem Bundeswirtschaftsministerium derzeit die Umsetzung der neuen EU-Dienstleistungsrichtlinie. Worum geht es?
Die EU-Dienstleistungsrichtlinie wurde im April 2014 novelliert; mit der Auflage an die EU-Mitgliedsstaaten, ihr Vergaberecht innerhalb von zwei Jahren anzupassen. Das ist derzeit in Arbeit. Wir haben heute drei Vergabeordnungen, wobei diese nur für öffentliche Aufträge über einem EU-weit festgelegten Schwellenwert gelten: die VOB/A für Bauleistungen, die VOL für beschreibbare Leistungen, wie Fenster putzen und Bleistifte liefern, und die VOF für nicht vorab beschreibbare, geistig-schöpferische, freiberufliche Leistungen; die gilt auch für Architekten. Der entscheidende Unterschied ist die Verhandlung. Bei VOB/A und VOL darf nicht verhandelt werden; hier gibt es das Angebot (man spricht auch von ‚one shot‘), den verschlossenen Umschlag, die Submission und den Zuschlag – ausschlaggebend ist, vereinfacht gesagt, der niedrigste Preis. Die VOF hingegen kennt nur eine Vergabeart, das Verhandlungsverfahren, das auf die Auswahl nach qualitativen Kriterien fokussiert, die u.a. in einer Verhandlung – deshalb Verhandlungsverfahren – erörtert werden. In dessen Rahmen kann und – wie ich meine – sollte unbedingt ein Planungswettbewerb integriert werden. Die novellierte EU-Richtlinie sagt nun, alle Verfahrensarten müssen für alle Vergaben zur Verfügung stehen. Das würde bedeuten, dass das momentan für Architekten und Ingenieure einzig zulässige Verfahren, das Verhandlungsverfahren, nur noch eines unter mehreren ist.
Das heißt, man könnte eine Architektenleistung künftig wie Büromaterial ausschreiben?
Das wäre das Horrorszenario. Architektenleistungen nach Preis zu vergeben, wäre aber auch für den Auftraggeber von Schaden.  
Mit welchem Ziel verhandeln Sie?
Wir wollen eine zugeschnittene Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen. Derzeit sieht es aber so aus, dass VOL und VOF in einer Vergabeordnung, der VGV, zusammengefasst werden. Wir wollen überzeugen, dass für geistig-schöpferische Leistungen nur das Verhandlungsverfahren in Frage kommt – wenn immer möglich mit einem Planungswettbewerb. Er sollte das Regelverfahren sein.
Das widerspricht ja dem eigentlichen Ziel der EU, die Chancengleichheit zu wahren.
Nein, das hat damit nichts zu tun. Das Thema ist, dass alle öffentlichen Aufträge über dem Schwellenwert von 206.000 Euro – das sind 2- bis 3-Millionen-Projekte, die von einem Drei-Frau/Mann-Büro gut zu bewältigen sind – GAP-weit ausgeschrieben werden müssen. Durch diese riesige Öffnung des Marktes entstehen die von uns leidvoll beobachteten Abwehrmechanismen, die Zahl der Bewerber niedrig zu halten, mit der Folge, dass für viele die Türen verschlossen bleiben und somit von der Chancengleichheit nicht mehr viel übrig ist. Chancengleichheit plus Planungsqualität, also Baukultur, beides ist unser Ziel. Hierfür gibt es das bewährte Verfahren, nur in der Praxis hapert es noch. Chancengleichheit erhalten wir durch offenen bzw. niedrigschwelligen Zugang. Planungsqualität – also auch Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit – gewährt der Planungswettbewerb. Aber die Politiker haben ein anderes Verständnis von Wettbewerb. Wir müssen vielen immer erst erklären, was ein Planungswettbewerb ist, eben nicht das niedrigste Angebot, sondern eine Auswahl von Lösungen.
Das Interview führte Friederike Meyer am 11. Juni in der Geschäftstelle der Bundesarchitektenkammer in Berlin
ANP Architektur- und Planungsgesellschaft mbH ist aus dem Büro ANF (Arbeitsgruppe Nutzungsforschung, 1970 von Peter Jockusch in Stuttgart gegründet) hervor gegangen. Seit 1994 wird es gemeinsam geführt von Michael Bergholter und Barbara Ettinger-Brinckmann. Mit derzeit 20 Mitarbeitern bearbeitet ANP Projekte im Bereich Stadtplanung, Hochbau, Verfahrensmanagement und Projektentwicklung. Im Jahr werden im Durchschnitt 10 Wettbewerbe betreut.
Barbara Ettinger-Brinckmann ist seit 2013 Präsidentin der Bundesarchitektenkammer.
Auswahl betreuter Wettbewerbe Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main, Internationaler Gerichtshof in Den Haag, Kindergarten in Grebenstein, Laces adidas Herzogenaurach, Uniklinikum Leipzig, IWES in Kassel, Kleyerquartier Frankfurt am Main, Klimagerechte Pilotsiedlung Marienhöhe Erfurt, Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt, Weiterentwicklung der Nordweststadt Frankfurt, Städelmuseum in Frankfurt am Main, Neustrukturierung und Weiterentwicklung der Fachhochschule Gießen-Friedberg, „Alte Ziegelei“ in Speyer, Blasiikirchplatz in Nordhausen, „Campus II“ Heidelberg

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