Bauwelt

Menschen und Dinge

Tischkulturen im Bremer Wagenfeld-Haus

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Tanja Jürgensen

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Tanja Jürgensen


Menschen und Dinge

Tischkulturen im Bremer Wagenfeld-Haus

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

„Wo Geräte und Möbel derartig schön gestaltet sind, dass sie unbeachtet bleiben, wo sie derart gut und leicht ihren Zweck erfüllen, dass niemand fragt, wer sie erdacht hat oder von wem die Form sei, da ist jene Haltung als Wesensart erreicht, an die ich denke.“
Diesem Credo ist Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) in den Gebrauchsgegenständen, die er im Laufe seines Lebens entworfen hat, in der Regel gerecht geworden. Wagenfeld erreichte seine konzeptionelle und ästhetische Kontinuität durch langfristige Verträge, die er mit verlässlichen Unternehmen eingehen konnte, vorrangig aber durch seine geistige Unabhängigkeit. Aber wie stehen heute, angesichts globalisierter Märkte, kurzer Innovationszyklen und anonymisierter Herstellungsprozesse die Chancen für eine langlebige Produktkultur? Und wie reflektieren (jüngere) Designer die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ihres Arbeitens?
Ausgehend vom Werk dreier stilprägender Produktgestalter der Moderne – neben Wagenfeld sind dies seine finnischen Kollegen Tapio Wirkkala (1905–1985) und Timo Sarpaneva (1926–2006) – hat die Wilhelm Wagenfeld Stiftung in Bremen elf international anerkannte Gestalter eingeladen, ihrer Denkweise darzulegen. Ausgangspunkt ist die Ess- und Tischkultur. Alle Teilnehmer haben ihre Positionen in je einer Tischvitrine kompiliert.
Am klarsten registriert wohl der Japaner Naoto Fukasawa einen ideellen Verfall: Essen ist keine kulturelle Erfahrung mehr, während einer Mahlzeit gehen die Menschen in der Regel noch anderen Dingen nach. Fukasawa antwortet mit minimalistischem Design wie Drahtgestellen als Eierbecher oder Toastständer. Er tritt als Entwerfer hinter eine simple Produkterscheinung zurück. Das niederländische Duo Stefan Scholten & Carole Bajings kombiniert östliche und europäische Gebrauchsvorstellungen zu mehrdeutigen Produkten: Statt Zucker und Milch können ihre Gefäße ganz selbstverständlich auch Sojasoße und Ingwer aufnehmen. Offensichtlich verlangt der Markt aber auch nach schrilleren Entwurfstemperamenten. Der Niederländer Aldo Bakker erarbeitet mit 3D-Drucktechnik Skulpturen, die die Gebrauchstauglichkeit rituell überhöhen. Seine Gießgefäße sind erstarrte Bewegungen, seine Weingläser lagern auf übergroßen Füßen – ein ironischer Kommentar zu Wagenfelds standfesten Trinkgefäßen. Er erwarte durchaus, dass sich der Nutzer den Objekten anpasst, so Bakker, vielleicht nicht todernst gemeint.
Das deutsch-österreichische Team POLKA, Marie Rahm und Monica Singer, untersucht hingegen die „DNA eines Unternehmens“. Die beiden arbeiten u.a. für die ehrwürdige Manufaktur Lobmeyer in Wien, für die schon Adolf Loos und Oswald Haerdtl Glasserien schufen. Ihre hauchdünnen farbigen Vasen, ihre Trinkgläser und Karaffen sind Referenzen an die alte Eleganz österreichischer Tischkultur – und die zeitgemäße Ausstattung des mit Muße zelebrierten Essens, das die Gestalterinnen als Gegenpol zur schnellen Mahlzeit zunehmend beobachten. Barbara Schmidt wiederum, noch in der DDR ausgebildet, hat das bürgerliche Essservice entrümpelt. Ein Teller kann bei ihr auch Deckel einer Schale sein, die Auflaufform verfügt über einen Soßenausguss, erspart somit ein Hantieren mit der Kelle. Sie kocht selber gerne, hat geschaut, was wirklich gebraucht wird und sieht Produktgestaltung nicht als Geschmackserziehung. Schmidt spürt damit vielleicht Wagenfelds Anliegen eines ästhetisch hochwertigen, aus dem Material entwickelten, zudem preiswerten Grundbedarfs am deutlichsten nach.
Eine Fotoserie von Tanja Jürgensen begleitet die Vitrinen der Gestalter. Sie bat Menschen aus Bremen um Einblick in ihre persönliche Alltagskultur. Den Stolz einer gut ausgestatteten Küche, die Schublade mit ein wenig, vielleicht gar nicht erkanntem Wagenfeldbesteck, das Hantieren mit einem Gebrauchsgegenstand hat sie zu Sittenbildern eines ästhetischen Status quo intensiviert: von Menschen und ihren liebgewonnenen Dingen.

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