Bauwelt

Luthers neue Häuser

Anbauten an Reformationsgedenkstätten in Eisleben und Wittenberg

Text: Kowa, Günter, Berlin

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Foto: Zooey Braun

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Luthers neue Häuser

Anbauten an Reformationsgedenkstätten in Eisleben und Wittenberg

Text: Kowa, Günter, Berlin

Neubauten im Weltkulturerbe: Es darf wieder lebhaft diskutiert werden. Anfang des Jahres feierte die „Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt“ gleich zweimal Einweihung grundlegend restaurierter Museen, des Luther-Sterbehauses in Eisleben und des Melanchthonhauses in Wittenberg.
Höchst unterschiedliche Reaktionen erntete die Stiftung auf die Erweiterungsbauten der beiden Häuser, die jeweils die Nutzfläche verdoppeln und die Servicefunktionen bündeln. Dabei tritt die Architektur in beiden Fällen entschieden modernistisch auf, vergleichbar bis hin zur anthrazitgrau verklinkerten Fassade. Vermutlich liegt es an der unterschiedlichen Sichtbarkeit im Straßenraum, dass über den hof­seitigen Bau in Eisleben eher wenig, über die Straßenfront des Wittenberger Gebäudes hingegen so viel gestritten wird wie einst in Dresden über die Waldschlösschenbrücke.
Was in der örtlichen Zeitung erst die Leserbriefspalten sprengte, trug der Theologe und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer weit darüber hinaus. Er veröffentlichte im gleichen Blatt eine Schmäh­kritik an den „Todsünden“ gleich sämtlicher Bauprojekte in Wittenberg. Die Stadt prägt die „Luther­dekade“, die der 500-Jahrfeier von Luthers Thesenanschlag 2017 vorausgeht, mit einem beispiellosen Bau- und Umbauprogramm. Ein Ringtausch von Liegenschaften zwischen der Stiftung Luthergedenkstätten, Evangelischem Predigerseminar und Stadtmuseum nebst Zusammenschluss von Bibliotheken und Archiven erlaubt, die museale und touristische Nutzung von Lutherhaus, Augusteum, Melanchthonhaus und Zeughaus massiv auszuweiten und bringt neue institutionelle Nutzer ins Schloss. Stiftung und Stadt argumentieren, das Bauprogramm verfolge ein Konzept sozusagen proaktiver Denkmalpflege. So dienen die jüngst eröffneten Anbauten explizit der „Entlastung“ der frisch sanierten Baudenkmale und deren Erschließung; gestalterisch wiederum sollen die Neubauten ihr geschichtsträchtiges Umfeld zeitgemäß bereichern.
Dass die Gebäude so unterschiedlich angenommen werden, liegt neben der erwähnten ungleichen Sichtbarkeit auch an den verschiedenartigen Voraussetzungen ihrer Umgebung. In Eisleben konnte das Stuttgarter Büro „Von M“ mit den verglasten Flügelbauten den ohnehin reizvollen, baumbestandenen Hof des Luther-Sterbehauses schließen und zugleich einen Ausblick auf den rückwärtig angelegten „Vikariatsgarten“ und „Lutherweg“ öffnen. Innen schaffen die glänzenden, scharfkantigen Sichtbetonwände ein passend düster-kahles Ambiente für das Thema des Hauses. Im Hof fasst das Grau-Spektrum der Klinker den Elfenbeinton des Putzes am Altbau und dessen Sockel aus rauen Sandsteinquadern.
Merklich dunkler fällt das vorgeblendete Ziegelmauerwerk am Anbau an das Melanchthonhaus in Wittenberg aus (Architekten: Dietzsch & Weber, Halle). Das erhöht den Kontrast, in dem der Kubus und seine unregelmäßig verteilten großen Fenster in der Häuserzeile stehen; zur Rechten ragt der preußische Klassizismus der Universität (eine einstige Kaserne) dreigeschossig auf; zur Linken schließt eine Tordurchfahrt nebst Melanchthons Renaissancehaus mit Treppengiebel an. Diese starken Charaktere hat das schlichte Bürgerhaus, das an der Stelle des Neubaus stand, ausgehalten, aber es war verschlissen und zigfach überformt. Der Neubau ist mit Abrissen erkauft, nicht nur des Bürgerhauses, sondern auch eines stadtgeschichtlich wertvollen Kellergewölbes aus dem 16. Jahrhundert. Schorlemmers Vergleich aber mit der berüchtigten Backstein-Spießigkeit des Wulff’schen Eigenheims in Großburgwedel liegt gänzlich daneben. Der Anbau trägt in seinen Details eine minimalistische Eleganz, die in der architektur- und kulturgeschichtlich aufgeladenen Nachbarschaft Zurückhaltung übt und im Stadtgefüge einen seltenen modernen Akzent setzt.
Für die beiden Museen sind die Anbauten in jedem Fall ein Gewinn; sie bilden in Eisleben wie in Wittenberg den Ausgangspunkt für den Rundgang; alle Dienste – Kartenschalter, Medienangebot, Garderobe, Toiletten, Haustechnik – sind aus den Alt- in die Neubauten verlagert; in Eisleben gibt es jetzt auch Räume für Veranstaltungen und Wechselausstellungen. In ihrem Drang, das gebaute Erbe der Reformation ins 21. Jahrhundert zu übertragen, hat es die Stiftung Luthergedenkstätten allerdings versäumt, ihre Projekte zeitig genug der öffentlichen und fachlichen Diskussion auszusetzen.
Fakten
Architekten Von M, Stuttgart; Dietzsch & Weber, Halle
aus Bauwelt 19.2013
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