Bauwelt

Konsens der Bescheidenheit

Košice 2013

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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Konsens der Bescheidenheit

Košice 2013

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Wärmetauscher zu Nachbarschaftstreffs – in den Satelliten von Košice wird das Kulturhauptstadtjahr mit architektonisch eher sparsamen Eingriffen begangen, die sich auf den Alltag der Bewohner aber spürbar auswirken könnten.
Wie in einem riesigen Strahlenkranz ist die Košicer Altstadt von hellfarbigen Großsiedlungen umgeben. In diesen urbanen Satelliten, deren neun westliche Bauabschnitte bis heute „Luniks“ heißen (ein Tribut an die Sputnik-Euphorie der sechziger Jahre), lebt der weitaus größte Teil der Einwohnerschaft. Und er lebt hier sichtlich zufrieden: In den frühen 1990er Jahren waren die Wohnungen an ihre Mieter privatisiert worden, dann gelang es einem professionellen Management, gemeinschaftliche Interessen zu organisieren und Fördergelder mit Umsicht in eine Modernisierung der Bestände zu lenken. Da-her sind es unter den acht- bis dreizehngeschossigen Panelaks, wie man die Typenbauten hier nennt, nun gerade die älteren, deren frische Thermofassaden um die kräftigsten Pastelltöne wetteifern: So kann das aussehen, wenn Mieter zu Bauherren werden.
Etwas schwieriger lassen sich die Zwischenräume beherrschen. Überkommene Infrastrukturen wie Schulen und Kindergärten sind nicht selten in einem traurigen Zustand. Bescheidene, aber alltagstaugliche Handelseinrichtungen mussten neuzeitlichen Mammutkauftempeln weichen. Und dann gibt es da noch einen Gebäudetypus, den hatte zuvor nie jemand wirklich wahrgenommen: die „Wärmetauscher“ (Vymeniki); kleine, eingeschossige Kisten ohne jeden architektonischen Anspruch, rein technische Hüllen, in denen die zentral gelieferte Fernwärme auf die einzelnen Wohnblocks verteilt wird. Weil im Zuge der Modernisierung die alten Heizwärmepumpen durch sehr viel kleinere ersetzt wurden, standen diese Gehäuse auf einmal zu Dreivierteln leer.
Eine Gruppe von Sozialarbeitern, die bereits in den östlichen Vorstädten Jugend- und Sozialprojekte betrieb, kam auf die Idee, diese „Wärmetauscher“ zu Basisstationen einer dezentralen, von den Anwohnern selbst getragenen Kulturarbeit zu entwickeln. Zum einen sollten sich zwischen den renovierten Wohnbauten wieder Kristallisationskerne für aktive Nachbarschaften bilden, zugleich ging es um sinnvolle Nachnutzungen für die großenteils leeren Gebäudehüllen. In Haustürbefragungen wurden Bedürfnisse der Anwohner ermittelt und praktische Mitstreiter vor Ort gesucht.
Diese aufwendigen Vorbereitungen liefen bereits, als die Kulturstadt-Kommission nach Košice kam, und zu vermuten ist, dass sie zum endlichen Zuschlag beigetragen haben. Einmal in der Bewerbung festgeschrieben, wurde das gezielt auf die Peripherien der Stadt ausgerichtete Nachbarschaftskonzept unter dem Titel SPOTS zu einem der Leitprojekte von Košice 2013.
Inzwischen hatten sich den Sozialarbeitern auch Architekten angeschlossen. Deren Analyse ergab, dass von den circa 175 Stationen in allen Košicer Neubaugebieten etwa 45 zum Umbau geeignet seien. Mit den Stadtwerken, für die als Eigentümer und Hauptnutzer der technischen Anlagen ohnehin Investitionen anstanden, wurde über Projektanpassungen und Kofinanzierung verhandelt. Mit Blick auf die Sondersituation Kulturhauptstadtjahr einigte man sich auf sechs Beispielobjekte. Für zwei Projekte kam die Stadt auf, vier weitere bekamen Geld aus europäischen Fonds. Ein Architektenwettbewerb erbrachte 35 Einreichungen, eine erfrischende Parade origineller Ideen, von denen man sich gern noch ein paar mehr Realisierungen gewünscht hätte. Aber es ging ja darum, erst einmal Impulse zu setzen, Erfahrungen zu sammeln.
Sechs Pilotprojekte
Die inzwischen realisierten sechs Varianten von „Wärmetauschern“ zeigen, wie verschieden sich die eigentlich rein technischen Bauwerke interpretieren und verwandeln lassen. Jedes Projekt wurde von einem anderen Architekten für jeweils ein Thema ausgelegt. Da gibt es eine von Jugendlichen selbstverwaltete Indoor-Skatebahn, ein Ausstellungshaus mit Lesebühne im Souterrain, ein Theaterhaus mit Bühne auf dem Dach, das multifunktionale Kleinkulturhaus für wechselnde Zwecke, das elektronisch hochgerüstete Medienzentrum und schließlich das Aushängeschild der ganzen Projektreihe – je-nes spektakelhafte Raumschiff, das im Süden der Stadt, zwischen Meteorová und Galaktická ulica, gelandet ist und die Freunde von Mode und Design anziehen soll.
Allerdings – was Raumstruktur wie auch Fassadenbild betrifft, hatten die Architekten nur geringe Spielräume. Schmerzhafte Grenzen für alle Umbauten waren durch einen äußerst knappen Kostenrahmen gesetzt, der nur niedrige Ausbaustandards, gelegentlich fast auf Baumarktniveau, zuließ. Deutlich heben sich davon die beiden zuletzt fertiggestellten Objekte ab, die beweisen, dass bei kluger Auswahl und sorgfältiger Verarbeitung auch mit einfachen Materialien und Halbzeugen akzeptable Raumqualitäten erreichbar sind. Auch hatten die drückenden Sparzwänge zur Folge, dass jeder aufwendigere Innenausbau – etwa die Halfpipe für die Skater oder die abgesenkte Lesebühne im Galeriehaus – prompt zulasten der äu-ßeren Erscheinung ging; an den meisten der schlicht glatt geputzten Außenwände reichte es dann nur noch für eine Be-malung als optischen Akzent. Zum Glück verfügt Košice über eine versierte und künstlerisch ernstzunehmende Graffitiszene, die sich dieser Aufgabe gerne widmete. Es spricht übrigens für den Realitätssinn der beteiligten Architekten, dass sie – nach all diesen Beschwernissen befragt – sich keinesfalls beklagten, sondern stets auf den sozialen Grundgedanken dieses kleinen Bauprogramms verwiesen, dem bescheidene Mittel durchaus angemessen seien. Der rätselhafte Ausreißer des Programms, das Ufo mit seiner exaltierten Zackenfassade, scheint jenen Konsens der Bescheidenheit ex negativo noch zu bestätigen.
„Kreativindustrie von unten“
Blanka Berkyová, die unermüdliche Kuratorin und eigentliche Anstifterin des Vymeniki-Programms, gibt sich mit der ästhetischen Aufwertung der schlichten Funktionsbausteine nicht zufrieden. Selbst der rege Publikumszuspruch zu den vielen Ausstellungen, Theaterperformances oder Sportevents reicht ihr nicht: „Wir wollen die Leute von den Soap Operas weglocken.“ Am liebsten wäre der studierten Landschaftsplanerin, wenn aus den Zuschauern selbst Produzenten würden, weshalb sie immer wieder mit ihren (meist ehrenamtlichen) Kollegen die Besucher zum Selbermachen anstiftet: „Da erkennt man am besten, was in den Leuten steckt, welche Begeisterung, welche Neigung. Wir sind auf der Suche nach verschütteten Fähigkeiten, alten Techniken, vergessenen Kulturspuren. Das alles versuchen wir dann in die Öffentlichkeit zu transportieren.“ Dafür haben sie sich einen der gläsernen Pavillons auf dem Kasarne-Gelände (s. Seite 18) gesichert – sozusagen als innerstädtisches Schaufenster für ihre Arbeit draußen in den Wohngebieten. Und vielleicht findet das eine oder andere Freizeitkunstwerk sogar gegen einen kleinen Obolus einen Käufer. Hinter dem Ganzen, gibt Berkyová unumwunden zu, steckt eine utopische Hoffnung: „Überall auf der Welt zerbrechen sich Kreative den Kopf, um Produkte zu erfinden, die eigentlich keiner braucht. Wir wollen mit unseren Leuten Dinge herstellen, die in erster Linie Spaß machen, die uns selber gefallen. Wenn die dann auch noch für jemand anderen irgendwie nützlich sind, umso besser. Wenn man so will: eine Art Kreativindustrie von unten.“
Einschwenken in die Umlaufbahn
Die sechs Wärmetauscher, die im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms umgebaut worden sind, können – so die Hoffnung des dreiköpfigen Projektteams – auch in Zukunft als Beispiele und Impulsgeber für andere „Kulturplätze“ inmitten der Wohngebiete wirken. Das Team könnte sich noch mehr Unterkünfte für „Artists in residence“ vorstellen, denn diese internationalen Austauschprogramme bilden im Kulturangebot der Siedlungen stets eine besondere Attraktion. Zudem dürfte so ein Atelierquartier draußen zwischen den Panelaks für einen realistischeren Blick auf die Gastgeberstadt sorgen. Sobald erst einmal das fünfjährige „Kommerz-Verbot“ für alle Kulturhauptstadtprojekte ausgelaufen ist, rechnet Blanka Berkyová auch mit dem einen oder anderen gastronomischen Angebot. Inzwischen gilt alle Kraft der „Nachwuchsförderung“, denn womöglich schon im kommenden Jahr wird sich das Regieteam von SPOTS zurückziehen. Dann müssen vor Ort Anwohner bereit und befähigt sein, ihren jeweiligen „Laden“ zu übernehmen. Dann will die jetzige Programmleiterin „einfach mal nur als Gast vorbeischauen“. Letztlich hängt aber alles von den Stadtwerken ab. Wenn die weiterhin bereit sind, entsprechende Umbauten zu finanzieren, könnte das Programm Fortsetzung finden. In ihren Nachbarschaften sind die dezentralen Kulturobjekte jedenfalls gut angekommen. Es gibt sogar schon Nachfragen aus dem Ausland.

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