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Kazerne Dossin

Text: Kleilein, Doris, Berlin

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Kazerne Dossin

Text: Kleilein, Doris, Berlin

Der Erweiterungsbau des Jüdischen Deportations- und Widerstandsmuseums in Mechelen markiert weithin sichtbar den Ort, von dem aus mehr als 25.000 Menschen nach Auschwitz deportiert wurden. awg architecten finden zu einer elaborierten architektonischen Sprache, die Symbole zulässt, sie aber nicht in den Vordergrund stellt.
Mechelen ist eine Kleinstadt auf halber Strecke zwischen Brüssel und Antwerpen. Nicht zuletzt wegen dieser verkehrsgünstigen Lage richtete die NS-Besatzungmacht dort 1942, in der ehemaligen General-Dossin-Kaserne am Rand der Innenstadt, ein Sammellager ein. Während des Zweiten Weltkriegs wurden vom „SS-Sammellager Mechelen“ aus mehr als 25.000 Juden, Roma und Sinti nach Auschwitz deportiert. Der deutsche Historiker Markus Meckl nannte die Kaserne den „Wartesaal vor Auschwitz.“ Nur 1249 der Deportieren überlebten.
Ein neues Entrée zur Innenstadt
In den siebziger Jahren wurde der Kasernenbau in Wohnungen umgewandelt. Erst 1995 konnte in einem kleinen Teil des Hauses das „Jüdische Deportations- und Widerstandsmuseum“ eingerichtet werden, initiiert von jüdischen Organisationen unter der Leitung des Auschwitz-Überlebenden Natan Ramet. Das Museum dokumentierte die Geschichte des Lagers und der Verfolgung der Juden in Belgien, und zählte bereits im ersten Jahr 35.000 Besucher. 2001 beschloss die flämische Regierung, das Museum zu vergrößern und die Ausstellung um andere Genozide und Menschenrechtsverletzungen zu erweitern.
Die Erweiterung ist kein Anbau an die Kaserne, wie man vermuten könnte. Die Stadtverwaltung entschied sich, gegenüber der Kaserne zu bauen, auf den Grundmauern des ehemaligen Stadtgefängnisses. Der zum Kanal hin offene Platz zwischen der Kaserne und dem Neubau wurde mit in die Gestaltung einbezogen und unterstreicht die Präsenz des Ensembles im Stadtraum. Heller Kieselstein und diagonal geführte Wege unterbrechen die Goswin de Stassartstraat und weisen auf das neue „Museumsquartier“ hin.
awg Architekten aus Antwerpen, die 2007 den Einladungswettbewerb gewonnen haben, ergänzen die Reste der Gefängniswände entlang der ehemaligen Stadtmauer und umgrenzen damit ein Fünfeck. Das Museum, ein viergeschossiger Turmbau, entsteht auf und über diesem ummauerten Pentagon. Der Eingang ist an den Rand gerückt und verweigert den Dialog mit dem gegenüberliegenden Haupteingang der Kaser-ne. Die Platzfassade ist – ebenso wie die beiden flankierenden Fassaden – bis auf das oberste Geschoss geschlossen, ein Relief deutet zugemauerte Fenster an. Es ist ein zeichenhafter Bau, der Fragen aufwirft. Wie konnte es geschehen, dass aus der Mitte eines Städtchens mit 60.000 Einwohnern über 25.000 Menschen aus ganz Belgien verschleppt worden sind?
Der belgische Fall
Die karge, an ein Mahnmal erinnerende Ausstrahlung des Museums im Stadtraum wird im Inneren konterkariert: Bei einem Besuch im Mai war das Museum voller Menschen, Gruppen von Senioren und Schulklassen drängten sich durch die Räume. Im Foyer werden die Besucher von der multimedialen Installation „Geef ze een gezicht“ (Gebt ihnen ein Gesicht) empfangen: Auf der bis ins Untergeschoss durchlaufenden Stirnwand sind Fotos von mehr als 19.000 aus Mechelen deportierten Menschen zu sehen, deren biographische Daten über Touchscreens recherchiert werden können. Die Installation, die auf mehr als 2 Millionen gescannte Dokumente zurückgreift, führt die Besucher unmittelbar in das Kernthema des Museums. Umso ärgerlicher ist das großflächig an die Wand geworfene, 15-minütige Einführungsvideo, das Bilder von NS-Einsatztruppen mit Szenen heutiger Diskriminierung im Alltag vermischt. Das Video, ebenso wie die Fotos aus dem Südafrika der Apartheid und von den Genoziden in Armenien und Ruanda, wirkt aus deutscher Perspektive relativierend und aus dem Kontext gerissen. Der Kern der Ausstellung, die sich auf jeder der drei Etagen einem großen Thema widmet („Masse“, „Angst“ und „Tod“), beeindruckt dafür umso mehr durch die Aufarbeitung des „belgischen Falls.“ Der Holocaust wird nicht als Ganzes dargestellt, sondern vielmehr die enge Zusammenarbeit zwischen der Besatzungsmacht und der belgischen Verwaltung nachgezeichnet, die systematische Ausgrenzung der belgischen Juden, auch der Überlebenden, die dem Land oft den Rücken kehrten.
Der Blick von oben auf die Kaserne
Das Haus ist ein offen bespielbarer, introvertierter Container für die zahlreichen Dokumente der Ausstellung: Entsprechend zurückhaltend sind die Innenräume mit weißen und schwarzen Oberflächen gestaltet und mit Kunstlicht beleuchtet. Lediglich der im Würfelmuster verlegte Parkettfußboden verbreitet eine leicht irritierende Salonatmosphäre. Die Besucherführung ist genau choreographiert: Das Foyer im Erdgeschoss hat keine Sichtbeziehung zur Stadt, ebenso wenig die drei darüber liegenden Ausstellungsgeschosse, die über zwei offene Treppen und einen Gruppenaufzug erschlossen werden. Dem Besucher wird empfohlen, mit dem Aufzug ganz nach oben zu fahren und dann durch die Ausstellung hinab zu steigen. Man wird also geradezu genötigt, zuerst von oben auf das pittoreske Städtchen und in den Innenhof der Kaserne zu blicken: Das letzte Geschoss hat große, glaslose Öffnungen nach oben und zu den Seiten. Ein schmaler Balkon führt an drei Seiten um das Gebäude herum. Dort oben war ursprünglich ein Café geplant – nach dem Besuch der Ausstellung versteht man, warum es in das wenig attraktive Untergeschoss zu den Garderoben verlegt wurde: Zu ungeheuerlich erscheint die Freizeitnutzung der Dachterrasse.
Nach Osten, zu einer mit Weiden bestandenen Grünfläche und zum Kanal hin, zeigt der Neubau eine weitere Seite: Raumhohe Fensteröffnungen markieren die Geschosse. In diesem „Bug“ sind Büros, dienende Funktionen und die Veran-staltungsräume der Museumspädagogik untergebracht. Aus dem kleinen Museum ist eine international ausgerichtete Bildungseinrichtung geworden, mit dem etwas langwierigen Na-men „Kazerne Dossin. Gedenkstätte, Museum und Dokumentationszentrum Holocaust und Menschenrechte“: Das Dokumentationszentrum und die Gedenkstätte befinden sich in der Kaserne, die zu diesem Zweck saniert und umgebaut wurde.
Signifikant, aber nicht laut
Den Architekten ist es gelungen, mit dem monolithischen Neubau eine entschiedene Haltung zum öffentlichen Raum zu formulieren. Die rationale Fassade wirkt an keiner Stelle banal und erklärt sich von selbst, die offenen Fenster verstärken die Wirkung der blinden. Die Mauer markiert ein geschütztes Territorium für die Vergangenheitsbewältigung. Die hell geschlemmte Klinkerfassade fällt in dem von Rot, Braun und Grau geprägten Stadtraum aus dem Rahmen. Die allzu direkte Symbolik, die sich dahinter verbirgt – die 25.267 Backsteine der blinden Fenster entsprechen der Zahl der Opfer, die 12 Betonsäulen im Foyer repräsentieren die 12 Stämme des Judentums – wäre nicht nötig gewesen. Sie steht sogar im Gegensatz zu der Haltung, die Bob Van Reeth, Partner von awg (und zudem 1998–2005 erster Flämischer Baudirektor) selbst formuliert: „Signifikanz“, so Van Reeth, „heißt nicht, dass ein Gebäude erzählerisch, lesbar und laut ist.“ 
Fakten
Architekten awg architecten, Antwerpen
aus Bauwelt 22.2013
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