Bauwelt

„Innovative Architektur hat es schwer im Wettbewerbswesen“

Jörg Aldinger im Gespräch mit Friederike Meyer

Text: Meyer, Friederike, Berlin

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Foto: Robert Bauer

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„Innovative Architektur hat es schwer im Wettbewerbswesen“

Jörg Aldinger im Gespräch mit Friederike Meyer

Text: Meyer, Friederike, Berlin

Herr Aldinger, wie sind Sie Fachpreisrichter geworden?
Ich habe Anfang der Achtziger, nach dem Diplom, ein Büro gegründet, an Wettbewerben teilgenommen und gewonnen. Ich vermute, deshalb hat man mich damals in Preisgerichte geholt – für kleine Aufgaben im ländlichen Raum. Ich habe das sehr gerne gemacht und mich für Städtebau und Architektur engagiert. Aus der Eigenwahrnehmung habe ich oft auch gegen die Bauherren und für unseren Berufsstand oder die Sache argumentiert. Inzwischen werde ich so oft bundesweit gerufen, dass ich auch absagen muss.
Warum lehnen Sie ab?
Ich betreibe mit Partnern ein gemeinsames Architekturbüro, lehre an der Hochschule und engagiere mich im Wettbewerbswesen. Diese drei Arbeitsfelder finde ich für Preisrichter wichtig, weil das eine das andere immer anregt und  weiterbringt. Allerdings gibt es durch die drei Arbeitsfelder auch Terminkonflikte. Manchmal lehne ich Preisgerichte auch ab, wenn ich finde, die Aufgabe ist falsch gestellt oder die Fairness gegenüber den Teilnehmern ist nicht gewahrt.
Wie bereiten Sie sich vor?
Viele Wettbewerbsbetreuer schicken vor der Auslobung eine Zusammenfassung an potenzielle Jurymitglieder. Daran sieht man oft schon, ob die Aufgabe sinnvoll gestellt ist. Die Preisrichtervorbesprechung ist eine ganz entscheidende Veranstaltung, die von vielen leider nicht wahrgenommen wird. Sie können im Vorgespräch vieles auf den Weg bringen und im Sinne der Baukultur und der Berufsstands-Interessen verändern. Es findet in einer vertraulichen Atmosphäre mit Auslobern, Nutzern, Fach- und Sachpreisrichtern sowie dem betreuenden Büro statt. Dort kann man auf die Definition der Aufgabe sehr großen Einfluss nehmen. Besonders öffentliche Auslobungen sind ja oft politisch geprägt. Zum Beispiel neigen Auslober dazu, die Wirtschaftlichkeit unverhältnismäßig stark zu gewichten oder unrealistische wirtschaftliche Ziele in den Raum zu stellen.
Sehen Sie sich als Sprachrohr der Baukultur?
Als Sachwalter. Immer wenn ein Architektenwettbewerb stattfindet, wird die Realisierung eines Bauvorhabens auf ein anderes, besseres Niveau gehoben. Sie haben die Chance, über das Vorgespräch und die Preisgerichtssitzung eine Diskussionsplattform für die Baukultur zu schaffen, die sonst nicht möglich ist. Dieses kleine Stück Öffentlichkeit in der Nicht-Öffentlichkeit ist die Chance, für Architektur und Städtebau Verbesserungen zu erzielen.
Was charakterisiert gute Preisrichter?
Man muss selbst regelmäßig an Wettbewerben teilnehmen, aus einer spröden  Auslobung eine Idee entwickeln können, unabhängig vom Erfolg. Man braucht Sozialkompetenz, muss in der Lage sein, sein fachliches Wissen Laien zu vermitteln und sie zu begeistern. Wenn das Preisgericht abgeschlossen ist, kommen noch Jahre bis zur Einweihung des Gebäudes. Die müssen die Beteiligten inhaltlich und auch emotional durchstehen. Dafür ist ein guter Start, der Architektenwettbewerb, wichtig.
Was macht eine gute Jury aus?
Wenn am Ende nur die Addition von Privatpositionen übrig bleibt, ist das schlecht. Die Fachpreisrichter sollten unterschiedliche Standpunkte zur Architektur haben, sie sollen für ihre Sache einstehen aber keine Grundsatzdiskussion ausgehend von der eigenen Haltung erzeugen, sondern im Diskurs eine Synthese suchen. Wissen soll eingebracht und nach Qualität sortiert werden, nicht nach Haltung.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie von einem Entwurf begeistert sind?
Ich halte nichts vom strategischen Kaffeetrinken mit dem Oberbürgermeister. Es kommt auf die Situation an. Offenheit oder Diskretion, beides kann gut sein. Aber auch für mich gilt, wenn ich meinen Favoriten nicht durchsetzen kann, weil er qualitative Schwächen hat, dann lasse ich es.
Welche Rolle hat der oder die Juryvorsitzende?
Er oder sie steht für das Gelingen des Verfahrens, dafür, dass in der vorgesehenen Arbeitszeit eine konstruktive Lösung gefunden wird und alle Interessensgruppen eingebunden sind. Er oder sie haftet persönlich für das rechtlich korrekte Verfahren und steht unter dem Druck, dass das Verfahren nicht im Parlament eine Woche später scheitert. Er oder sie darf und soll aber auch aus der Rolle des Vorsitzenden heraus und als Architekt/in für oder gegen eine Arbeit sprechen.
Welche Aufgabe hat die Vorprüfung?
Im Informationsrundgang stellen die Vorprüfer alle zugelassenen Arbeiten wertneutral vor. Die Preisrichter können wertneutrale Fragen stellen. Gute Vorprüfer beschränken sich auf das Wesentliche. Sie sind die Anwälte der Teilnehmer und müssen falsche Wahrnehmungen der Preisrichter korrigieren.
Sind die Darstellungsmethoden heute Segen oder Fluch für die Preisrichter?
Die suggestive Kraft der Bilder ist groß. Wenn ich Einfluss nehmen kann, versuche ich, Renderings aus dem Verfahren fern zu halten. Wenn das nicht geht, hilft die Begrenzung auf Anzahl und Formate. Zwischen einem DIN A0 und DIN A4 Rendering ist ein großer Unterschied in der Wirkung auf das Preisgericht.
Im Juryprotokoll steht keine Begründung für die Platzierung, sondern eine Beschreibung der Entwürfe. Manchmal wird der dritte Platz euphorischer bewertet als der erste. Warum?
Wenn die engere Wahl gebildet wurde, schreiben Arbeitsgruppen aus Sach- und Fachpreisrichtern den Text für das Protokoll. Dadurch fallen die Texte sehr unterschiedlich aus. Die Gewinner stehen zu dem Zeitpunkt noch nicht fest. Die eigentliche Begründung ist das Abstimmungsergebnis. Man könnte das Protokoll um eine Begründung erweitern, aber dadurch macht sich eine Jury angreifbar. Wenn sie dort einen Satz zuviel oder zu wenig schreibt, kann das ganze Verfahren hinterfragt werden.
In der Pressemitteilung liest man oft eine Art Begründungssatz, der den Auslober zitiert.
Die Auslober, die auf eine gute Öffentlichkeitsarbeit bedacht sind, machen eine Veranstaltung nach Abschluss des Wettbewerbs und laden eine/n Fachpreisrichter/in, in der Regel den oder die Vorsitzenden, der Jury ein. Das, was dabei zum 1. Preis erläutert wird, ist die Begründung.
Immer öfter vergibt die Jury mehrere gleichrangige Preise. Wie kommt das?
Meine Grundhaltung bei einer Jurierung ist, dass es am Tag des Preisgerichts einen Sieger gibt. Manchmal gelingt das nicht. In ganz seltenen Fällen weil man der Meinung ist, dass das notwendige Niveau nicht erreicht worden ist. Dann gibt es noch eine Runde zur Weiterbearbeitung. Es kommt auch vor, dass zwei Interessensgruppen in der Jury nicht zusammenfinden, in der Regel Sachpreisrichter und Fachpreisrichter. Wenn das Ergebnis dann durch eine Kampfabstimmung zu Stande kommt, ist das katastrophal für die weitere Entwicklung des Projekts. Dann ist es klüger, vorher aufzuhören und eine Überarbeitung zu fordern. Die Ergebnisse einer Überarbeitung sollten unbedingt noch einmal von der Jury beurteilt werden und nicht der alleinigen Entscheidungsfindung des Auslobers überlassen werden.
Was ärgert Sie?
Wenn Architektenwettbewerbe veranstaltet werden, nur um eine politische Diskussion in Gang zu bringen oder noch schlimmer, als Alibi für Aktivität missbraucht werden. Sehr unangenehm ist es auch, wenn nach dem Wettbewerb das VOF-Verfahren kommt und der Wettbewerb keine Rolle mehr spielt.
Wie kann man das verhindern?
Wir versuchen, in der Auslobung immer die Bewertungsmatrix des Vergabe-Verfahrens festzulegen. Das oberste Ziel dabei ist, das Ergebnis des Wettbewerbs so hoch wie möglich zu bewerten. Wenn mehr als 50 Prozent in der Bewertungsmatrix dafür bestimmt werden, dann kommt am ersten Preis  eigentlich kaum einer vorbei.
Was hat sich am Wettbewerbswesen verändert?
Im Allgemeinen steht das Wettbewerbswesen für Innovation schlechthin. Doch das stimmt nicht. Innovative Architektur hat es schwer im Wettbewerbswesen. Was gut läuft, ist gut gemachter Mainstream. Sie können mit Wettbewerben die Qualität des öffentlichen Bauens erheblich steigern, im Sinne hervorragender Alltagsarchitektur. Aber das Olympiastadion in München oder den Flughafen Tegel wird es heute kaum mehr geben. Unsere sicherheitsorientierte Ausloberschaft, und leider auch viele Jurymitglieder, suchen nicht das Neue, Einzigartige. Kaum jemand ist bereit, in unserer sicherheitsbewussten Gesellschaft ein Risiko einzugehen.
Das Interview führte Friederike Meyer am 27. Juni in der Bauwelt-Redaktion
Jörg Aldinger Jahrgang 1955, Architekturstudium Universität Stuttgart und Technion in Haifa, seit 1983 Freier Architekt, seit 1984 Fachpreisrichter (ca. 200  Preisgerichte, Gutachten etc.), seit 1994 Professor für Energieoptimiertes Bauen und Entwerfen an der Hochschule Biberach, 1999–2000 Visiting Professor California State Polytechnic University in Los Angeles, 2005 Gründung Aldinger Architekten Planungsgesellschaft mit den Partnern Jörg Aldinger, Dirk Herker, Thomas Strähle, Mitglied im Gestaltungsbeirat in Kempten, Konstanz und Karlsruhe
Auszüge aus der Preisrichtertätigkeit 2014/15: Internat Schloss Gaienhofen am Bodensee, Poing Grundschule und Kita in München, Barockpalais Adelmann in Ellwangen, Vincentius Klinik Karlsruhe, Psychiatrische Kinik Ravensburg, Bischöfliche Grablege Rottenburg, Adidas „World of Office“ in Herzogenaurach, Adidas „Meet and Eat“ in Herzogenaurach, Wohnungsbau in Kempten, Hybrid M in München, Wohnungsbau Aubuckelsiedlung Mannheim, Verwaltungsbau KVBW in Karlsruhe, Neue Mitte Salem, Kulturbahnhof Aalen; Landesgartenschau Lahr, Sporthalle; Landesgartenschau Lahr, Kita; Nationalpark Schwarzwald, Verwaltungsbau BKK Scheufelen in Kirchheim, Gesamtschule Helios Gelände Köln, Neue Messe Köln, Lutherkirche Konstanz, Wohnungsbau Daxlanden in Karlsruhe, 3 Sporthallen an 3 Standorten, Stuttgart, Großklinik Südspidol in Luxembourg

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