Bauwelt

Improving Mies in a Miesian way

Eine Bibliothek in Washington DC soll renoviert werden – und vielleicht aufgestockt

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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1.Preis: Mecanoo

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Improving Mies in a Miesian way

Eine Bibliothek in Washington DC soll renoviert werden – und vielleicht aufgestockt

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Die Martin Luther King Jr. Memorial Library in Washington DC ist ein Spätwerk von Mies van der Rohe. Inzwischen bedarf das denkmalgeschützte Gebäude der Erneuerung. Im Wettbewerb, der dafür ausgelobt wurde, ging es auch um die Frage, ob sich die zentral gelegene Einrichtung vielleicht um private Nutzungen aufstocken lässt, um die Arbeiten zu finanzieren.
Eine Bibliothek von Mies in Washington DC? Für so manchen Architekturinteressierten dürfte die Existenz des Gebäudes eine Überraschung sein. In keiner der einschlägigen Monographien jedenfalls spielt die Martin Luther King Jr. Memorial Library an der Ecke G Street Northwest/9th Street eine Rolle – im Katalog der letzten großen Ausstellung „Mies in America“ im MoMA 2001 etwa findet das Projekt le­diglich in einer Fußnote Erwähnung. Mit dem Wettbewerb für ihre Erneuerung, dessen Ergebnis im Februar bekannt gegeben wurde, wird der 1972, drei Jahre nach dem Tod des Architekten, fertiggestellten Bibliothek nun neue Aufmerksamkeit zuteil.
Die Sanierung ist Teil eines Programms, mit dem bereits 15 Standorte der Stadtbibliothek modernisiert wurden. Für die MLK Library veranschlagt die Institution rund 250 Millionen US-Dollar – ein Betrag, der erst noch zusammenkommen muss; gut 100 Millionen sind im städtischen Haushalt vorgesehen. Eine Aufstockung um Apartments erscheint freilich ebenso verlockend wie provokativ. Denkmal­pfleger und Architekturinteressierte dürfte die Vorstellung, dieses Spätwerk von Mies so drastisch zu verändern, erschrecken; Kommentare auf der Website der Institution wiesen darauf hin, dass Luxusapartments auf dem Dach der öffentlichen Einrichtung in einer so stark von Segregation geprägten Stadt wie Washington wie eine „feindliche Übernahme“ der Bibliothek durch die Oberschicht wirken könnten.
Grundsätzlich interessant ist die Frage, die dieser Wettbewerb aufgeworfen hat, über das Gebäude und seine lokalen Rahmenbedingungen hin­aus. Die Aufgabe, ein Bibliotheksgebäude der Nachkriegs­moderne heutigen Bedürfnisse anzupassen, stellt sich schließlich auch anderswo – in Birmingham etwa realisierten Mecanoo eine neue Stadtbibliothek in Sichtweite des brutalistischen Vorgängerbaus, der abgerissen wird (Bauwelt 41–42.2013).
Die Delfter Architekten konnten sich zusammen mit ihren lokalen Partnern Martinez+Johnson nun auch im Wettbewerb für die Bibliothek in Washington durchsetzen, mit einem Entwurf, der dem prominenten Bestand durchaus mit dem nötigen Respekt begegnet, auch wenn sich die Ansprüche des Publikums an eine solche Einrichtung gewandelt haben: Einst standen Bücherregale hinter der Fassade, heute wollen dort die Menschen lesen und arbeiten, beschreibt Architektin Francine Houben den Wandel. Andererseits – wo, wenn nicht in einem Mies-Bau, sollte sich eine Nutzung architekturverträglich neu arrangieren lassen?
Mecanoos Entwurf respektiert die klaren Linien, die horizontale Gliederung und die symmetrische Ordnung des Gebäudes, will das Transparenz-Versprechen der Architektur sogar noch stärker als bislang einlösen – „to improve Mies in a contemporary Miesian way“, formulieren es die Architekten. So wollen sie die dem Haupteingang nächstgelegenen beiden Kerne zu den Geschossebenen hin öffnen, um Sichtverbindungen zu schaffen und die Orientierung zu verbessern; die Wände der Kerne aus gelben Ziegeln sollen durch gläserne Elemente – mit aufgedruckter Marmorierung „in Mies’scher Manier“ – ersetzt werden. Das erste Untergeschoss wird mit Deckenöffnun­gen und einer teilweise neuen, publikumsorientierten Nutzung zum öffentlichen „lower ground floor“; in den Obergeschossen sollen blickdichte Trennwände verschwinden, und auch die Verbindung zur Stadt soll verstärkt werden, indem die als Sichtbar­rieren wirkenden Backsteinmauern im Außenraum abgeräumt werden. Restauriert werden soll hingegen die Fassade, deren ursprüngliche Flächigkeit Mecanoo zurückgewinnen wollen; zum Innenraum hin soll sie um eine neue Thermoverglasung aufgedoppelt werden, damit heutigen bauphysikalischen Ansprüchen Genüge getan wird.
Und die Aufstockung? Die Vorstellung, dort oben eine private Wohnwelt zu inszenieren, sorgte in Internetforen für Wirbel. In der Tat können die Vorschläge der weiteren in die engere Wahl gelangten Entwürfe kaum überzeugen – weder der „behutsame“, den Duktus der Bibliothek aufgreifende Vorschlag von Patkau, der als neue Zutat nicht identifizierbar ist, noch der den Bestand ignorierende Aufsatz von Studios Architecture. Mecanoo platzieren einen langgestreckten Riegel, der aus dem Raster von Architektur und Stadtgrundriss ausschert und sich an der diagonal verlaufenden New York Avenue ausrichtet – so bliebe das ursprüngliche Volumen lesbar, gleichzeitig entstünden nutzbare Dachterrassen. Wer am 24. April in Washington DC ist, kann mit den Mitarbeitern der Bibliothek, mit Nutzern und mit den Architekten über das weitere Vorgehen diskutieren, und zwar ab 17.30 Uhr im Mies-Bau. Mehr unter ▸

Eingeladener Wettbewerb

1. Rang Mecanoo, Delft, mit Martinez+Johnson, Washington DC
2. Rang Patkau Architects, Vancouver, mit Ayers Saint Gross, Washington DC
3. Rang Studios Architecture, Washington DC, mit Freelon, Durham
Fakten
Architekten Mecanoo, Delft; Martinez+Johnson, Washington DC; Patkau Architects, Vancouver; Ayers Saint Gross, Washington DC; Studios Architecture, Washington DC; Freelon, Durham
aus Bauwelt 15.2014
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