Bauwelt

Die Zunft in der Sinnkrise

Der dritte „Architektur-Bildungsgipfel“ tagte in Berlin

Text: Kowa, Günter, Berlin

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Die Zunft in der Sinnkrise

Der dritte „Architektur-Bildungsgipfel“ tagte in Berlin

Text: Kowa, Günter, Berlin

Ja, die Teilnehmer des 3rd International Architectural Education Summit, der Mitte September bei Aedes Network Campus Berlin stattfand, seien durchaus „unterwegs zum Gipfel. Aber jeder zu einem anderen“.
Mit dieser Bemerkung brachte Michael Mönninger, der einzige Architekturhistoriker unter den gut 200 versammelten Koryphäen von Architekturschulen weltweit, die Lacher auf seine Seite, als er zur Moderation der Schlussrunde ansetzte.
Mit Fragen nach dem Stellenwert der Geschichte in der Lehre wollte er die Gedankenflüge, die auf den Podien wie im Plenum zwei Tage lang zur Weltverbesserung gestrebt hatten, wohl wieder auf akademischem Boden verankern. Aber die Inhaber der hochspezialisierten Lehrstühle wichen hier ähnlich aus wie bei der Frage, welchen Begriff sie wohl von einem „guten Lehrer“ hätten. Von Geschichte also wenig, von Pädagogik auch, und die Diskussion über die Zukunft der Architektulehre handelte kaum noch vom Schüler-Lehrer-Verhältnis, sondern von beidseitig durchlässiger Offenheit und den „richtigen Fragen“, die zu stellen seien.
Aber was sind die richtigen Fragen? Bei den elf Eingangsstatements des ersten Vormittags schien es einigen Vertretern der eingeladenen akademischen Institutionen auszureichen, deren Struktur und Ansatz zu erläutern, wenn nicht gar die eigene Praxis vorzustellen. Joachim Declerck vom Brüsseler „Architecture Workroom“ war einer der wenigen, der (nicht zuletzt anhand schlagkräftiger Bilder) verdeutlichte, dass Qualität im Entwurf wirkungslos bleiben oder gar zu unerwünschten Resultaten führen kann, wenn sie nicht durch Qualität in den Entscheidungsprozessen begleitet wird. „A design practice that does not build“ sei wertlos: Tolle Entwürfe für Hochglanzmagazine änderten nichts an der Misere der Alltagsarchitektur, und Architektenhäuser im Grünen seien Symptom für die immer noch ungebremste Zersiedelung. Das Gegenmittel? Architektur Hand in Hand mit Stadt- und Raumplanung – und das schon eingebettet in die Architekturlehre.
Neelkanth Chhaya aus dem indischen Ahmedabad demonstrierte, dass unter den Bedingungen der sogenannten Entwicklungsländer ein solcher Gestaltungsprozess besser außerhalb der Mauern akademischer Institutionen zu leisten ist, um das „Wissen der Spezialisten“ mit der „Lebenserfahrung der Vielen“ zu verbinden. Seine Workshops etwa zur Entwicklung eines Flusstals beziehen die Bevölkerung ein, die Ergebnisse stellt er auf örtlichen Märkten aus. Winka Dubbeldam von der Pennsylvania School of Design will der „Neuen Normalität“ von Umweltkatastrophen mit vorausschauendem Design begegnen, Yoshiharu Tsukamoto hat am Tokioter Institute of Technology mit „Archi Aid“ gar eine Hilfsorganisation ins Leben gerufen, die Tsunamiopfern beim Wiederaufbau beisteht.
Die Rolle des Architekten bleibt in all diesen Sichtweisen eine zentrale – gar von „Leadership“ war die Rede. Doch die Zunft nährt Selbstzweifel. Matthias Böttger vom Berliner Büro raumtaktik brachte es auf den Punkt mit der Frage: Architekten sind wichtig, warum hört niemand auf sie?
Eugene Asse, Gründer der unabhängigen Moskauer Architekturschule MARCH, sieht ein Problem: Studenten, die später Geld verdienen wollten, hielten sich eher an eine traditionelle Ausbildung. Er halte es aber angesichts der Inhumanität des russischen Kapitalismus für notwendig, dass Studenten „jeden Morgen die Frage für sich beantworten: Was ist Architektur?“
Interdisziplinarität war ein großes Thema. Zwei Foren handelten davon, waren aber allein mit Architekten besetzt – sieht man von einer Künstlerin ab, die Erstaunliches von der Berliner Plattform für Kunst und Neurowissenschaften berichtete. Das Interdisziplinäre scheint die Sinnkrise der Zunft eher zu verschärfen als zu lösen. Marcos Cruz (Bartlett School, London) konstatierte, dass das Hereinholen anderer Fachleute den Anspruch des Architekten auf breite Professionalität schmälere und dass nicht umsonst bisher kein Nicht-Architekt an die Spitze einer Architekturschule berufen worden sei. Martha Thorne (IE School of Architecture, Madrid) will in interdisziplinärem Arbeiten keine Ausrede dafür sehen, sich erst recht zu spezialisieren. Hubert Klumpner (ETH Zürich) sieht im Finanzsektor den wichtigsten Partner, wenn man Wohnbedingungen für die Ärmsten in großem Maßstab verbessern wolle – wie zum Beispiel in Singapur. Chris Luebkeman von Arup, London, blieb skeptisch: Ja, Architekturstudenten solle man lehren, „Leader“ zu sein, aber sie sollten wissen, dass sie mit ganz normalen Leuten zu tun hätten, die „Profis in Schwarz“ nicht unbedingt brauchten.
Über die Realitäten des B.A.-Studiums redete niemand. Studenten waren so wenig zu sehen wie Nicht-Architekten. Doch es wird einen neuen Gipfel geben, in zwei Jahren, irgendwo in Südostasien, und die Frage wird dort vielleicht noch dringlicher sein, für welche Aufgaben die Architekten von morgen zu rüsten wären.

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