Bauwelt

Die Welt und die Bühne

Ulla von Brandenburg in Hannover

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Ausstellungsansicht mit: Forrest II, 2008/ 2014 (an den Wänden); Zelt, 2013; Shadowplay, 2012 (im Zelt)
Raimund Zakowski; Courtesy Art:Con­cept, Paris; Pilar Corrias, London; Produzentengalerie, Hamburg

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Ausstellungsansicht mit: Forrest II, 2008/ 2014 (an den Wänden); Zelt, 2013; Shadowplay, 2012 (im Zelt)

Raimund Zakowski; Courtesy Art:Con­cept, Paris; Pilar Corrias, London; Produzentengalerie, Hamburg


Die Welt und die Bühne

Ulla von Brandenburg in Hannover

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

William Shakespeare lässt den melancholischen Jacques im zweiten Akt von Was Ihr wollt sagen: „Die ganze Welt ist eine Bühne, und alle Männer und Frauen sind bloß Spieler. Sie haben ihren Abgang und ihre Auftritte.“
Wo Shakespeare dann recht sarkas­tische Bilder zu den sieben Lebensaltern des Mannes folgen lässt, bleibt bei der Künstlerin Ulla von Brandenburg, die mit den Topoi des Theaters arbeitet, alle Aussage in der metaphorischen Schwebe.
Ulla von Brandenburg, 1974 in Karlsruhe geboren, hat unter anderem Bühnenbild und Medienkunst an der dortigen Akademie der Schönen Künste studiert. Sie beherrscht das Handwerk der illusionistischen Inszenierung; Draperien und Rauminstallationen aus Stoffen unterschiedlicher Opazität sind ihr Markenzeichen. Nach der Wiener Secession zeigt nun der Kunstverein Hannover in seiner Raumenfilade ihre Gesamtdramaturgie Drinnen ist nicht Draußen.
Während einer ganzen Reihe von internationalen Stipendien und Arbeitsaufenthalten hat Ulla von Brandenburg in den letzten Jahren ein riesiges Motivkompendium vernakulärer Riten und mythologischer Figurationen ­aufgespürt. Daraus speist sie ihre komplexen Installationen aus gebauten Bühnenelementen, Filmen, eigenen musikalischen Kompositionen und selbstverfassten, häufig auch selbst eingesun­genen Texten. Und obwohl ihre Wahlheimat Paris eine verführerische Kultur des französischsprachigen Musiktheaters zu bieten hätte, bleibt die Künstlerin bei der spröden Diktion ihrer deutschen Muttersprache. Wie eine écriture automatique, erzählt sie, schreibe sie ihre Dialogpassagen meist aus dem Unbewussten heraus zügig nieder. Mitunter erreicht sie die absurde Sprachqualität deutscher Dadaisten. Ohnehin wären alle ihre Sujets ohne Bezüge zur Kulturgeschichte, der kanonisierten wie der anonymen, undenkbar. Da sind beispielweise gleich im ersten Ausstellungsraum sieben Bildstationen aus Patchwork-Quilts. Ulla von Brandenburg verarbeitet in ihnen alte Geheimcodes amerikanischer Quäker. Die kult­ische Textiltradition aus dem 17. Jahrhundert vergrößert sie zu plakativen Signets aus recyceltem Material; Stoffteilungen, Bildelemente und Stiche sind entsprechend überdimensioniert.
Lassen sich die Quilts als allegorische Reflexionen lesen, so kommt beim Film Shadowplay eine reale Form der Spiegelung, genauer: die Projektion, zum Tragen. In einem Theaterzelt kann der Besucher ein Schattenspiel nach altem Vorbild verfolgen, nun allerdings in der optischen Qualität moderner Videotechnik. Schauspieler in Lebensgröße räsonieren untereinander oder mittels Stabpuppen über die Schauspielerei, notwendige Requisiten treten, von Schnüren geführt, zu der Szene hinzu. Wo beginnt eine Bühnenrolle, wo endet sie? Was ist Rea­lität, was noch Schauspiel?
In ihrer jüngsten Arbeit, der multimedialen Installation Die Straße, vermischen sich Realität und Fiktion vollkommen. Ulla von Brandenburg lässt den Besucher in eine Kulisse aus transluzentem, zartfar­bigem Textil eintreten. Die Formen sind Architekturelemente – eine schmale Gasse, Treppen, winzige Plätze –, allerdings steht alles auf dem Kopf. Ähnlich wie Alice im Wunderland hinter dem Spiegel eine Pa­rallelwelt entdeckt, in der alles klappsymmetrisch existiert, dürfen die Besucher in Ulla von Brandenburgs Konstruktion ihrer eigenen imaginierenden Wahrnehmung freien Lauf lassen. Der gleichnamige Film, der in dem Environment läuft, spielt in einer ähnlichen Textilkulisse; sie ist neben den pittoresken Hinterlassenschaften einer ehemaligen Auto-Rennstrecke in der Nähe von Paris aufgebaut. Von einem Hohlspiegel eingefangen, beginnt hier die fantastische Geschichte von Marcello, der seltsamen Personen und Dingen begegnet; das Handlungstempo des Ganzen ist elegisch verzögert. Der physische Kulissenraum, die darin wandelnden Besucher, der immer wieder durchscheinende Schwarz-Weiß-Film und seine überall vernehmbaren gesungenen Dialoge erzeugen für den Moment eine romantische Schein­realität – wie aus dem schönsten Märchenbuch.
Shakespeare würde diese Bewusstseinsphase wohl zwischen dem Schuljungen und dem Liebhaber einordnen. Macht aber nichts: Die harte Realität ereilt uns später ohnehin. 

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