Bauwelt

Die Reste der IBA

Urban Living – neue Formen des städtischen Wohnens in Berlin

Text: Kleilein, Doris, Berlin

Bild 1 von 31
  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Standort 1: Karl-Marx-Allee, II. Bauabschnitt. Was ist der Plattenbau des 21. Jahrhunderts? Barkow Leibinger (Berlin) antworten mit einem Punkthochhaus direkt neben dem Rathaus Mitte. 16 Geschosse mit 84 Wohnungen und einem Tragsystem aus Infraleichtbeton

    • Social Media Items Social Media Items
    Standort 1: Karl-Marx-Allee, II. Bauabschnitt. Was ist der Plattenbau des 21. Jahrhunderts? Barkow Leibinger (Berlin) antworten mit einem Punkthochhaus direkt neben dem Rathaus Mitte. 16 Geschosse mit 84 Wohnungen und einem Tragsystem aus Infraleichtbeton

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Briesestraße 19 (Neukölln): Wohnen im Parkhaus von Augustin und Frank
Rendering: Architekten

  • Social Media Items Social Media Items
Briesestraße 19 (Neukölln): Wohnen im Parkhaus von Augustin und Frank

Rendering: Architekten


Die Reste der IBA

Urban Living – neue Formen des städtischen Wohnens in Berlin

Text: Kleilein, Doris, Berlin

2020 hätte es in Berlin eine Internationale Bauausstellung geben sollen. Die Mittel dafür wurden der Senatsbaudirektorin im vergangenen Jahr kurzerhand gestrichen. Regula Lüscher hat dennoch weitergearbeitet und präsentiert nun 31 Entwürfe für urbane Wohnformen: eine Steilvorlage für die Berliner Wohnungsbaugesellschaften, die jetzt nicht mehr so tun können, als wäre es unmöglich, kostengünstig und zeitgemäß Wohnungen zu bauen.
Es gibt Fakten, die kann in Berlin mittlerweile jedes Schulkind herunterrattern: Die Stadt wächst jedes Jahr um 40.000 Einwohner. Die Mieten steigen. Brachen zur Nachverdichtung gibt es genug. 30.000 Wohnungen will der Senat in den kommenden Jahren bauen. Die sechs öffentlichen Berliner Wohnungsbaugesellschaften haben also einen klaren politischen Auftrag. Nur – warum bewegt sich der Apparat so schleppend? Warum versickern alle Reformversuche des Liegenschaftsfonds im Sand, warum sind die Pläne der Wohnungsbaugesellschaften so bescheiden? Diese Fragen stellte sich wohl auch Senatsbaudirektorin Regula Lüscher und stampfte im August 2013, kurz nach der Absage der IBA, das Workshopverfahren „Urban Living“ aus dem Boden. Mehr als 200 Bewerbungen gingen ein, 32 Büros wurden ausgewählt und auf acht Standorte verteilt, von der Baulücke im Berliner Block bis zur Nachkriegssiedlung. Gefragt waren neben Wohnraum auch die Aufwertung von Freiräumen und die „Stärkung des sozialen Zusammenhalts“.
Die Präsentation der Entwürfe fand im Februar in einer leerstehenden Kaufhalle in Berlin-Mitte statt. Die Senatsbaudirektorin nahm ein Defilee Berliner und internationaler Architekturbüros ab, die ihre Arbeiten an zwei Tagen im Schnelldurchlauf vorstellten, kommentiert von der Jury, der u.a. Arno Brandlhuber und Jean-Phillip Vassal angehörten, sowie von Vertretern der Wohnungsbaugesellschaften und Stadtplanungsämter. Alle waren sie gekommen, fast hätte es der Auftakt, nicht der Abgesang der IBA sein können. Es ist Frau Lüschers Verdienst, dass sie alle Akteure an einen Tisch und ins Gespräch gebracht hat. Die Öffentlichkeit blieb allerdings fern, und es drängt sich die Frage auf, warum dieses Event so wenig publik gemacht wurde – und was das Verfahren überhaupt bezwecken soll. Die Wohnungsbaugesellschaften nahmen die Entwürfe mehr oder weniger wohlwollend zur Kenntnis und sprachen im besten Fall von „Inspiration“; eine Verpflichtung zur Realisierung gibt es nicht. Manches wurde von Seiten der Stadtplanungsämter auch mit Unverständnis kommentiert: Warum ausgerechnet eine Nachverdichtung für die Karl-Marx-Allee, wo doch die Bewerbung um die Aufnahme des Ensembles ins Unesco-Weltkulturerbe laufe? Man werde ja wohl noch nachdenken dürfen, konterte Frau Lüscher. Arbeitet da wieder die Verwaltung gegen die Verwaltung?
Dennoch, die Ergebnisse können sich sehen lassen. Provokantes ist dabei, auch Unvorstellbares für die Wohnungsbaugesellschaften, wie die beiden Entwürfe auf dieser Seite: Eine radikale Überformung der Platte im Geist des Steinernen Berlin – und ein Selbstausbaumodell, das wohl zu Recht als wenig tauglich für den Mietwohnungsbau identifiziert wurde. Aber könnte man nicht auch eine Mischung aus Eigentum und Miete denken? Bei den Vertretern der Wohnungsbaugesellschaft verursachte dies Stirnrunzeln, nur die HOWOGE-Geschäftsführerin Stefanie Frentsch wagte sich aus der Defensive: „Die Stadt sollte sich eine Mischung aus Eigentum und Platte leisten“, sagte sie, „und nicht nur ans Geld denken.“
Einige Arbeiten gehen konzeptionell in die Offensive: fatkoehl und Urban Catalyst unterbreiten dem Senat anhand einer Baulücke in Charlottenburg gleich ein neues Finanzierungs- und Wertesystem, das in einer Art Tauschhandel lokale und stadtübergreifende Ressourcen bündelt und auf diese Weise nachhaltig wirtschaften will. Ein Experiment, das man gerne wagen würde, das in den Verwaltungsstruk­turen aber eher ein Projekt für Jahrzehnte als für die laufende Legislaturperiode sein dürfte. Andere Arbeiten offenbarten ein grundsätzliches Dilemma: Masse gegen Klasse. Am Standort Neukölln etwa lieferten drei Büros weit ausgearbeitete, architektonisch vielversprechende Umbauvarianten des bestehenden Parkhauses aus den 70er Jahren, am raffiniertesten durch Augustin und Frank gelöst; sie alle blieben jedoch bei einer derart geringen Anzahl von Wohnungen, dass von einem Modell für den Wohnungsbau im großen Stil kaum die Rede sein kann. Das Wiener Büro PPAG hingegen warf den Blick von außen auf das Berliner Biotop und plante einen Abriss der Garage und einen neuen „Wohnberg“ mit rund viermal so vielen Wohnungen wie die Konkurrenz. Aber auch Bodenständiges war dabei, wie die Wohn- und Gewerbehäuser von BARarchitekten und Kaden Klingbeil in Weißensee oder die Nachverdichtungsideen für Wohnsiedlungen von Imke Woelk und Jan Wiese in Köpenick. Besonders von Interesse für die Wohnungsbaugesellschaften dürften auch diejenigen Entwürfe sein, die sich mit hoher Dichte und serieller Bauweise auseinandersetzen (wie das Punkthochhaus von Barkow Leibinger, eine Weiterentwicklung des IBA-Hamburg-Entwurfs) oder mit kleinen, und daher bezahlbaren Wohnungen (wie in dem Wohnhochhaus von ifau & Jesko Fezer).
Was passiert nun mit diesen Entwürfen, mit denen man glatt eine Berliner IBA hätte bestreiten können? Verschwinden sie in der Schublade? „Das war das, was rauszuholen war aus den Restmitteln der IBA“, sagte Frau Lüscher, man wolle „die Wohnungsbaugesellschaften verführen“. Verführen? Reste? Es ist eine Misere, dass sich die Senatsbaudirektorin mit ihrer offenen, diskursiven Art in Berlin so wenig durchsetzen kann. Die Wohnungsbaugesellschaften bekommen einen Katalog hochwertiger Entwürfen frei Haus geliefert – würden sie nur zehn Prozent davon umsetzen, wäre viel gewonnen. Und Frau Lüscher hofft wohl auch, auf diese Weise doch noch klammheimlich ihre dezentrale Bauausstellung auf den Weg zu bringen.
Zweistufiges Workshopverfahren mit vorangegangener Bewerbung
Karl-Marx-Allee (Mitte) Barkow Leibinger, Berlin; Beckmann N’Thépé & Associés, Paris; Eckert Negwer Suselbeek, Berlin; June14, Berlin
Jacobystraße (Mitte) Architekturbüro R. Schnitzler, Talli Ltd, Helsinki; Gies Architekten, Freiburg; Nägeliarchitekten, Berlin; Temperaturas Extremas, Madrid
Arcostraße 9 (Charlottenburg-Wilmersdorf) Bruno Fioretti Marquez, Berlin; Cobe, Berlin/Kopenhagen; fatkoehl architekten, Urban Catalyst studio, Berlin; wiewiorra hopp schwark, Berlin
Briesestraße 19 (Neukölln) Augustin und Frank, Berlin; BeL Sozie­tät für Architektur, Köln; Cityförster, Berlin; PPAG, Wien
Langhansstraße 27–29 (Pankow) BARarchitekten, atelier le balto, Berlin; Deadline, Berlin; Fink+Jocher, München; Kaden Klingbeil, Berlin 
Am Mühlenberg/Meraner Straße (Tempelhof-Schöneberg) Duplex, Zürich/Hamburg; ifau&Jesko Fezer, Berlin; Susanne Hofmann Architekten, Berlin; 03 Architekten, München
Wongrowitzer Steig 34/36 (Treptow-Köpenick) Imke Woelk&Partner, Berlin; Jan Wiese Architekten, Berlin; OFFSEA, Berlin/London
Elsastraße 40, Oberseestraße 69,71,73 (Lichtenberg) GPS Architecture, CanalsMoneo, Madrid; De Zwarte Hond, Köln; Hérault Arnod, Paris; Vukoja Goldinger, Zürich

0 Kommentare


x
loading

12.2025

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.