Bauwelt

Der Zukunft nahe

Editorial

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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Entwurfsskizze von Aldo Loris Rossi für seinen "Piazza Grande".

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Entwurfsskizze von Aldo Loris Rossi für seinen "Piazza Grande".


Der Zukunft nahe

Editorial

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Mutige Ideen von Architekten, die Bauaufgaben konzeptionell ganz anders sahen, die auch umgesetzt wurden, provozieren Diskussionen. Zwei kaum bekannte Beispiele aus den siebziger Jahren werden aus heutiger Sicht neu betrachtet
In fast jeder Stadt findet man sie: Bauten oder vielleicht auch nur Fragmente einer Vision aus Beton und Stahl aus den sieb­ziger Jahren, meist mächtige, autarke Betonburgen unterschiedlicher Nutzung, die uns von damaligen Vorstellungen eines angenehmeren Lebens erzählen, die nicht in Erfüllung gingen. Der Umgang mit diesen Bauten wechselt je nach Standpunkt des Betrachters und Zeitströmung. Mal werden sie heftig kritisiert, gar als menschenverachtend eingestuft, dann wieder als interessante Studie und, mit Blick auf eine vielerorts zu erlebende kraftlose traditionalistische Architektur, sogar als erfrischend, mutig und inspirierend betrachtet. Da zurzeit wieder konzeptionelle Strategien die Architektur überlagern, sind wir in einer Phase, in der diese Bauten und ihre Geschichte auf Interesse stoßen.
In Neapel ist es ein ringförmiger Wohnblock mit Rundtürmen, der allerdings erst Ende der achtziger Jahre fertiggestellt wurde – mitten in der Postmoderne – obwohl er in seiner Sprache in den siebziger Jahren verhaftet ist. Ursprünglich hieß der Komplex „Piazza Grande“ (vielleicht in Anspielung auf die berühmte Piazza Dante von Neapel), wird aber heute, nach den antiken Brücken in der Nachbarschaft, „Ponti Rossi“ genannt. Das Besondere ist, dass sich nach langer Vernachlässigung die Bewohner ihrer Betonburg angenommen haben. Die Eigen­ini­tiative lässt sich in der individuellen Ausgestaltung im Äußeren überdeutlich ablesen. Alle Einrichtungen für die Gemeinschaft hingegen, die das eigentliche Herz der Anlage bilden, sind verkümmert. Niemand scheint dafür zuständig zu sein.
Unser Autor Hans-Christian Wilhelm ist mit der Stadt verbunden. Er hatte dort ein soziales Jahr absolviert. Nach dem Architekturstudium war er in Büros in London und Mailand tätig, heute ist er Assistent am Fachgebiet für Hüllkonstruktionen der TU München. Als Architekt arbeitet er zurzeit an einem Projekt für die Erweiterung eines Gemeindezentrums am nordöstlichen Rand von Neapel. Im September des vergangenen Jahres hat er sich mit dem heute 80-jährigen Architekten Aldo Loris Rossi auf dem Areal seines „Ponti Rossi“ um­gesehen und hat auch eine Bewohnerin besuchen können. Andere Türen blieben verschlossen. Während des Besuchs erinnerte sich der Architekt an die Gedanken, die ihn in der Planungszeit bewegten.
Das zweite Beispiel eines Gebäudes aus den siebziger Jahren, das ebenfalls viel später fertig wurde, ist ein Krankenhaus in Salvador. Der heute 81-jährige brasilianische Architekt Lelé folgt seit dem Beginn seiner beruflichen Laufbahn einer Vision, um das Gesundheitswesen in seinem Land grundlegend zu verändern. Ihm schwebte eine einheitliche Struktur für die Kliniken der Sarah-Kubitschek-Stiftung vor, die überall in Brasilien errichtet werden sollten. Eigentlich ein naheliegendes Konzept – mit immer gleichen Grundstrukturen kann man die „Bausteine“ einer Klinik in Serie produzieren und ein Krankenhaus deutlich günstiger bauen. Parallel dazu entwickelte Lelé Werkstätten, in denen gleich neben dem Krankenhaus Ausstattungsgegenstände hergestellt werden sollten. Er wollte damit auch die Ausbildung junger Menschen unterstützen.
Stefan Netch und Bruno Fialho Farias waren im letzten Jahr in Salvador. Netsch ist Assistent am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Bereich Regionalplanung und Bauen im ländlichen Raum, Fialho Farias studiert dort. In Salvador stellten unsere Autoren verwundert fest, dass es das Planungsbüro von Lelé noch gibt. Seine Tochter ist dabei, neue Entwurfsideen im Bereich industrieller Vorfertigung zu entwickeln. Sie hat die Hoffnung wohl nicht aufgegeben, dass es eine Zukunft für die Konzepte ihres Vaters gibt.
Fakten
Architekten Rossi, Aldo Loris, Neapel
aus Bauwelt 5.2014
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