Bauwelt

Der Weg in die Konsum-Moderne

50er-Jahre-Technik im Deutschen Museum in München

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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Ein Pärchen präsentiert sich stolz mit seiner Vespa.
Deutsches Museum/Aussellungskatalog

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Deutsches Museum/Aussellungskatalog


Der Weg in die Konsum-Moderne

50er-Jahre-Technik im Deutschen Museum in München

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

1–2–3–4: eine Frau, zwei Kinder, drei Räume, vier Räder (= ein Auto). Auf diese einfache Formel brachte ein – sicherlich männlicher – Zeitgenosse den Ende der 1950er Jahre einsetzenden Trend zum suburbanen Wohnen und zur Massenmotorisierung.
Eine Sonderausstellung im Deutschen Museum in München zum Technik-Design jener Jahre beleuchtet diese Periode erheblich differenzierter.
Bilder von Menschenmassen, die sich vor den wieder prall gefüllten Läden drängeln, lassen die Zeit des „Wirtschaftswunders“ im Rückblick wie ein Konsumparadies erscheinen. Bei der Wiedereröffnung des Berliner KaDeWe 1950 konnte die Polizei die mehr als 180.000 Neugierigen nur schubweise ins Gebäude lassen. 600 Verkäufer waren gleichzeitig im Einsatz. Schaut man das Foto genauer an, erkennt man jedoch, dass nur die beiden unteren Etagen wiedereröffnet waren, darüber ist das Haus nach wie vor kriegszerstört. Viele der Schaulustigen bestaunten die ungewohnte Warenvielfalt auch nur, ohne sich irgendetwas davon leisten zu können.
Nach Jahren in Notunterkünften oder überbelegten Altbauquartieren waren die „eigenen vier Wände“ (zunächst die einer Mietwohnung) das größte Ziel. Im sozialen Wohnungsbau wurden anfänglich sehr kleine Wohnungen errichtet – weniger als 50 Qua­dratmeter für eine vierköpfige Familie – meist mit einem kombinierten Wohn-Schlafraum und zwei winzigen Kinderzimmern. Mit wachsendem Lebensstandard erhöhte sich aber auch die Wohnfläche. Wohnungen ließen sich aufgrund gestiegener Bau- und Grundstückskosten immer seltener in innerstädtischen Lagen realisieren und rückten an die Peripherie. Auch das Eigenheim im Grünen wurde bald zum erfüllbaren Traum. Um 1960 zeichnete sich bereits ein völlig neuer Lebensstil mit zunehmender Trennung von Arbeitsplatz und Wohnort ab. Das damit verbundene „Berufspendeln“ kurbelte den PKW-Verkauf an private Haushalte an.
Aufnahmen der Münchner Innenstadt zeigen bereits 1949 eine hohe Verkehrsdichte – größtenteils Fahrräder. Die Massenmotorisierung begann aufgrund der geringeren Anschaffungs- und Unterhaltskosten mit Motorrollern. Später bestimmten dann nicht allein die legendären VW Käfer das Stadtbild: Die Ausstellung präsentiert, vor großformatigen zeitgenössischen Architekturaufnahmen, eine enorme Bandbreite heutiger Liebhaber-Stücke – von Kleinstfahrzeugen wie der BMW Isetta bis hin zu Luxuskarossen wie der Borgward Isabella oder dem Opel Kapitän.
Die neuen Unterhaltungsmedien, zunächst das Radio, später das Fernsehen, unterstützten den Rückzug ins Private. Immer wieder hinterfragt die Schau das gängige Bild von den „flotten 50ern“: So steht die von Hans Gugelot und Dieter Rams für Braun entworfene (wegen des durchsichtigen Acrylglas-Deckels auch „Schneewittchensarg“ genannte) Radio-Phono-Kombination SK 4 – ein Klassiker modernen Nachkriegsdesigns – einer ganzen Reihe von wuchtigen Modellen in gediegener Holzoptik gegenüber. Umfragen aus der Mitte der 50er belegen, dass die meisten Bundesbürger eine Einrichtung im Stil des Gelsenkirchener Barocks favorisierten, nur eine Minderheit schätzte die heute als zeittypisch geltenden Nierentische und Tütenlampen.
Der Hingucker der Ausstellung ist aber ein detailliertes Architekturmodell im Maßstab 1:33. Es wirkt wie ein Film-Set für einen James-Bond-Streifen. Doch der liebevoll „Atomei“ genannte Kuppelbau ist der erste Kernreaktor Deutschlands. 1957 in Betrieb genommen, entwickelte sich der Forschungsreaktor FRM-1 in Garching zur Keimzelle des neuen Campus der TU München vor den Toren der Stadt. Die Kernkraft wies damals noch einen völlig unbeschwerten Weg in die Konsum-Moderne mit ständigem Wachstum und unbegrenztem (Strom-)Verbrauch. Beim Richtfest des Reaktors wurden als „Uranstäbe“ bezeichnete Weißwürste gereicht, dazu große Mengen Bier, „radioaktives Kühlwasser“.

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