Bauwelt

Der Architekt

Über die Rollenbilder einer 5000 Jahre alten Profession

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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Le Corbusier, 1956
Foto: © Architekturmuseum der TU München

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Le Corbusier, 1956

Foto: © Architekturmuseum der TU München


Der Architekt

Über die Rollenbilder einer 5000 Jahre alten Profession

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Im Münchner Architekturmuseum hat die letzte Ausstellung des scheidenden Direktors Winfried Ner­dinger eröffnet. Ein großes Thema: „Der Architekt – Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes“.
Man tritt an diesem Spätsommerabend durch die Türen der Pinakothek der Moderne mit der Erwartung nach Erhabenem. Das macht schon der zeitumspannende Titel der Ausstellung „Der Architekt“. Es geht um 5000 Jahre einer Profession, deren Protagonisten selbstbewusst genug waren, sich schon mal für „Titanen der Erde“ (Claude-Nicolas Ledoux) und gottgleiche Schöpfer zu halten, die aber auch in langen Phasen, etwa im Mittelalter, als Erbauer nicht wahrgenommen wurden – und die heute riskieren, im Gerangel mit Projektmanagern und Technikern ihr gesellschaftliches Gestaltungspotenzial abzugeben.
Es geht an diesem 26. September aber vor allem auch um den Mann, der diese Ausstellung gemacht hat und der mit ihr seinen Abschied als lang­jähriger Museumsdirektor gibt. Winfried Nerdinger hat da­für gesorgt, dass es in der Mitte von München ein Museum gibt, das die Architektur als Ausstellungsgegenstand weit über die Stadtgrenzen, ja über die Landesgrenzen hinweg zu einem Thema gemacht hat. Feierlichkeit ist Nerdingers Sache nicht, eher die ununterbrochene Arbeit im Dienst dieser Aufgabe. Und so betritt er auch an diesem Abend wie gewohnt in grauem Sakko, hellblauem Hemd und dunkler Hose das Rednerpodest. Auf  37 Jahre Museumsarbeit kann er zurückblicken – da­von die letzten zehn Jahre in eigenen Räumen; „Der Architekt“ schließt hier einen Kreis von allein 42 Ausstellungen im Gebäude von Stephan Braunfels.
„Nur in einem historischen Gerüst kann ana­lysiert, kritisiert und eingeordnet werden“, sagt Nerdinger. Und weil sich in Deutschland in puncto Architekturpräsentation offensichtlich kaum jemand für die Arbeit an solch einem Gerüst zuständig fühlt, tut er dies. Kritik sucht man in dieser Ausstellung vergeblich. Es geht Nerdinger darum, anschaulich zu machen, wie die Aufgaben des Architekten entstanden sind, welche Rollenbilder sich entwickelt haben und aus welchen historischen Artefakten dies herauszulesen ist. Es gibt in der Schau ein grandioses Gespür für den haptischen Gegenstand, die den Architekten in der Geschichte sichtbar macht: Dazu zählt der namenlose, gebeugte Baumeister aus dem Ostchor des Mainzer Doms, dazu zählen die heraus­ragenden Zeichnungen vom Beginn des 19. Jahrhunderts, die erklären, wie das heutige Berufsbild aus den Umbrüchen der Aufklärung entstanden ist.
Dort, wo sich diese Geschichte mit der Gegenwart kreuzt, wird die Anschaulichkeit weniger präzis, manches erschließt sich nicht. Die Schau endet nicht von ungefähr mit einer ganzen Reihe von Architekturmodellen der jüngeren Vergangenheit: ein Pladoyer für die notwendige Materialisierung von Ideen – trotz aller virtueller Hilfsmittel. Aber die Auswahl, die vom Gerberette-Modell von Peter Rice für das Centre Pompidou bis hin zu Heinz Tesars Entwurf für ein Geschäftshaus am Dresdner Zwinger reicht, ist arg wild getroffen. Nicht einleuchten will auch, warum die gravierenden Umbrüche im Berufsbild der letzten beiden Jahrzehnte nur in sechs kurzen Videoporträts mit Matthias Sauerbruch, Peter Zum­thor, Wolf Prix, Werner Sobek, Meinhard von Gerkan und Graft angerissen werden, stattdessen aber ein ganzer Saal der Musik-, der Film- und der Thea­terarchitektur gewidmet ist.
Auf der letzten großen Wand vor dem Ausgang glückt dann wieder eine schöne Pointe, die die letzten 50 Jahre zusammenfasst. Das riesige Tafelbild von Arduino Cantàfora „La città analoga“ von 1973 versammelt auf knallgelbem Stadtboden und unter tiefblauem Himmel noch einmal die Ingredienzien ei­ner „wirklichen Stadt“, wie sie den Architekten der 70er Jahre in der Folge von Aldo Rossi vorschwebte. Dem steht an anderer Stelle ein Foto von Norman Fosters Büromaschine gegenüber: 500 Leute, offensichtlich nötig geworden, um in der globalen Architekturproduktion zu bestehen.
Trotz ihrer enormen Bandbreite gelingt es der Ausstellung in solchen Gegenüberstellungen, zu zeigen, wie sehr die Architektur auf die Technik angewiesen ist, wie sie sich aber auch immer wieder erneuert hat, indem sie die Stadt und ihre bizarre Geschichte aus Menschen und Bauten gegen die Mechanisierung der Profession in Anschlag brachte. Es ist die Errungenschaft von Winfried Nerdinger, dass er diesem „Zeigen von Architektur“ in München nicht nur einen wissenschaftlichen Rahmen gegeben, sondern dass er auch das Geschick entwickelt hat, dafür die jeweils passende, museumsgerechte Dramaturgie zu entwerfen.

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