Bauwelt

Casa del Lector im Schlachthaus

Text: Cohn, David, Barcelona

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Foto: Roland Halbe

  • Social Media Items Social Media Items

Foto: Roland Halbe


Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Foto: Roland Halbe

  • Social Media Items Social Media Items

Foto: Roland Halbe


Casa del Lector im Schlachthaus

Text: Cohn, David, Barcelona

Noch stehen die Bauten, die dem Kulturgut Buch und dem Lesen auf dem Matadero-Gelände in Madrid gewidmet sind, weitgehend leer. Antón García-Abril hat insgesamt drei Hallen entkernt und dann mit einem System aus geometrischen Einbauten gefüllt. Das Ergebnis ist räumlich sehr überzeugend – wie es zur Nutzung passt, wird der Gebrauch zeigen.
Der 1969 in Madrid geborene Architekt Antón García-Abril hat sich als Entwerfer einen Namen gemacht, der – wortwörtlich und im übertragenen Sinne – althergebrachte Vorstellungen von Architektur auf den Kopf stellt. Seine architektonischen Stunts, mit denen er die Gesetze der Schwerkraft ad absurdum führt, sind Legende. Das Hemeroscopium House (Heft 15–16.07) etwa erdachte er als eine sich in den Himmel schraubende Assemblage aus gewaltigen Einzelteilen für Autobahnbrücken und Bau-Trägern aller Art, die er in einem schwindel­erregenden Hochseilakt gegeneinander ausbalancierte – die lange Nase in Richtung Newton und die Mies’sche Sachlichkeit und die ganze Architekturmoderne gratis dazu.

Bei dem jetzt eröffneten „Haus des Lesers“ in Madrids Kulturzentrum Matadero blieb wenig Spielraum für solche Ka­binettstückchen. Der Matadero ist ein Komplex aus frei stehenden Hallen, der zwischen 1907 und 1926 als städtischer Schlachthof errichtet wurde. Mit ihren Fassaden aus Naturstein, gemauerten Ziegelbändern und bemalten Fliesen geben die Hallen des Architekten Luis Bellido ein schmuckes Bild ab. Sie liegen unmittelbar am Manzanares-Fluss, in einem Areal, das vor nicht allzu langer Zeit in den Madrid-Rio, einen Uferpark entlang des Flusses (Heft 36.11), umgewandelt wurde. In den zurückliegenden fünf Jahren hat die Stadt den Komplex in einen Campus für Kreativkultur umbauen lassen. Dafür schrieben die Stadtväter eine Reihe offener Ideenwettbewerbe aus. Zu den realisierten Vorhaben zählte als erste die Halle 17C, die die „Intermediae“, eine städtische Einrichtung für anvantgardistische Kunst beherbergt (Arturo Franco und Fabrice van Teslaar, Heft 13.08), die Halle 16, Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst (Iñaqui Carnicero, Alejandro Virseda und Ignacio Vila), die Cineteca (José María Churtichaga und Cayetana de la Quadra Salcedo) und die Musik-Halle (María Langarita und Victor Navarro). Das Spanische Nationaltheater, das Spanische Nationalballett und die Compañía Nacional de Danza nutzen eigene Proben- und Aufführungsräume.

Für die Casa del Lector überließ die Stadt Flächen an die private Stiftung von Germán Sánchez Ruipérez. Laut Auskunft des Architekten García-Abril investierte der Gründer der Anaya-Verlagsgruppe rund 15 Millionen Euro in den Umbau. Das Ziel des Zentrums ist die Förderung von „Erforschung, Entwicklung und Erneuerung des Lesens“. Neben Ausstellungen, Vorträgen, Workshops und wissenschaftlichen Projekten wird es dazu passend auch Film und Theater geben. Direktor des Zentrums ist der frühere Kultusminister César Antonio Molina, der schon das Instituto Cervantes, das Pendant zum Goethe-Institut, leitete – ein Experte wenn es darum geht, im Kulturbetrieb Wind zu machen.

Welche Herausforderungen kann nun die simple Nachnutzung dreier 100 Jahre alter Industriehallen stellen? Es charakterisiert die Herangehensweise von García-Abril, dass er diese Herausforderungen weniger aus dem Kontext der historischen Halle als aus dem Konstruktionsprozess des Umbaus herausgekitzelt hat. Dies gelang, indem er elf vorgefertigte Laufstege aus Beton mit U-förmigem Querschnitt, jeder einzelne 13 Meter lang und 52 Tonnen schwer, in den Bestand einfädelte, ohne dafür eine einzige Mauer nieder zu brechen.

Braver als die Vorgängerbauten


Beim Hemeroscopium House fand der größte Teil des Kon­struktions-Spektakels unbemerkt statt. Damals verschlang, so der Architekt, die millimetergenaue Choreografie des Aufbaus ein ganzes Jahr Arbeit an Planungs- und Baustellenlogistik. Diesmal ist der Zuschauer dabei: Der gesamte Bauprozess des Matadero Centers wurde im Film festgehalten. Der Youtoube-Klick auf „Building the Reader’s House“ spult ein mit einem populären Madrider Drehleier-Gassenhauer unterlegtes Video ab. Die musikalische Untermalung passt zur Stummfilm-Komik: Im Zeitraffer verfolgt man, wie die Arbeiter die U-Profile durch die Öffnungen der alten Hallenfront flutschen lassen – mit der gleichen Passgenauigkeit, mit der sich etwa ein gut gefetteter Bohrmeißel in ein Erdölbohrloch senkt.

Dass das Ergebnis dieses Handstreichs im Vergleich zu den Vorgängerbauten dann doch ein wenig zahm wirkt, ist kein Nachteil; der Entwurf ist klug durchdacht und sauber ausgeführt. Die ansprechenden Räume werden den sich vermeintlich widersprechenden Vorgaben sehr gut gerecht, nach denen einerseits die historischen Bauwerke in ihrer Gesamtheit ohne bauliche Veränderungen erhalten bleiben sollten, zugleich aber für ein komplexes Nutzungsprogramm passend gemacht werden mussten.

Querstege bilden eine Art Webstuhl


García-Abrils Intervention füllt den schmalen Durchgang zwischen den beiden größeren Hallen mit einem zweigeschossigen Erschließungsbau und klammert sie so zu einem einzigen Komplex zusammen. Die vorgefertigten Beton-Stege schieben sich quer über die gesamte Breite jeder Halle, deren Längsachsen, ähnlich wie in einem Kirchenschiff, durch einen Lichtgaden markiert sind. Die jeweils nur von einer Seite her zugänglichen Brücken ziehen ein zusätzliches Geschoss mit ruhigen Flächen ein, die zu unterschiedlichen Zwecken genutzt werden können. Auf den Balustraden sind Vitrinen für die Präsentation von Exponaten sowie Rechnerarbeitsplätze und fest installierte Lesepulte integriert.

Diese Querstege weben ein Raumballett in den Altbestand, dessen Grundstruktur aus geordneten Linien – im Grundriss wird dies besonders deutlich – eine Art Webstuhl dafür abgibt. Die massive Materialität der Stege kontrastiert mit den fili­granen Metallstreben der ursprünglichen Hallenkonstruktion. Während die Eisenpfeiler die vertikale Höhe der Hallen für das Auge bis auf den Boden führen, schweben die Brückenstege scheinbar schwerelos dazwischen; sie werden nur an den En­den von auf den Fenstersimsen aufgebrachten Stahlschuhen gehalten.

In einer der Hallen füllen transparente Kuben den Raum unter den Stegen nahezu vollständig aus. Hier sind Seminarräume, eine Bibliothek, Büros, Werkstätten und Arbeitsräume untergebracht. Die andere Halle wurde zweigeteilt: Neben der Ausstellungsfläche gibt es „The Cloud“. In dieser eigens für Kinder eingerichteten Zone hat García-Abril heimelige Spielhäuser aus epoxy-lackiertem EPS-Schaumstoff aufstellen lassen, die gegebenenfalls beiseite gerückt werden können. Das Auditorium brachte der Architekt im Teil einer dritten Halle unter. Diese ehemalige Kühlhalle des Schlachthofes kleidete er mit einem Tonnengewölbe aus hinterleuchteten transluzenten Polykarbonat-Paneelen aus, die auf ein leichtes Aluminium-Gitter aufgezogen sind. Alle diese Interventionen haben eher temporären Charakter – das gilt selbst für die massiven Betonbrücken, die der Architekt als Teil des „Mobiliars“ versteht. Es ist seine Antwort auf die denkmalpflegerischen Auflagen, die dauerhafte konstruktive Eingriffe in den Hallen ausschließen.

Arbeiten für das Pop Lab

García-Abrils Einsatz von so unterschiedlichen Materialien wie vorgespanntem Beton und expandiertem Polystyrol-Hartschaum (EPS) verweist in zweiter Ebene allerdings auf ambitioniertere Fernziele. Der Architekt hat inzwischen eine ordentliche Professur an der MIT School of Architecture inne, wo er das „Prototypes of Prefabrication Laboratory“, kurz „Pop Lab“, gegründet hat. Mit dem Lab will er ein neues architektonisches Denken aus der Verknüpfung von Design und technischer Forschung initiieren. „Der architektonische Raum wird maßgeblich bedingt durch die technischen Aspekte des Bauens. Es sind die technische Entdeckungen, die dann auch die wirklich neuen Räume schaffen“, so García-Abril. Zu den ersten Projekten zählen die Testläufe neuer Gebäude-Prototypen für eine Serienfertigung. Dabei interessieren ihn Test mit vorgefertigtem Spannbeton und EPS-Konstruktionen besonders. Die Casa del Lector ist so ein Prototyp. 

Übersetzung aus dem dem Englischen: Agnes Kloocke
Fakten
Architekten Antón Garcia-Abril, Débora Mesa Molina (Partner), Madrid
aus Bauwelt 43.2012
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x
loading

10.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.