Bauwelt

„Als der Skywalk für alle offen war, ist Jubel ausgebrochen“

Interview mit Studio uek und Daniel Ritter

Text: Geipel, Kaye, Berlin; Streeruwitz, Lina, Wien

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Kleingärten und Gewächshaus auf dem Skywalk
Foto: Ritter

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Kleingärten und Gewächshaus auf dem Skywalk

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„Als der Skywalk für alle offen war, ist Jubel ausgebrochen“

Interview mit Studio uek und Daniel Ritter

Text: Geipel, Kaye, Berlin; Streeruwitz, Lina, Wien

Das Großwohnprojekt Oase 22 von Studio uek im Wiener Bezirk Transdanubien hat nicht nur viele Gemeinschaftsräume, sondern auch einen spektakulären Weg über das Dach. Ein Quartiersmanager hilft den Bewohnern bei der Aneignung. Daniel Ritter und die Architekten im Gespräch  
Kaye Geipel | Das Wohnprojekt Oase 22 ist ein Großwohnbau in einem peripheren Stadtgebiet, in dem Dienstleistungen und Gemeinschaftseinrichtungen Mangelware sind. Wie sah der Bauplatz zum Zeitpunkt des Wettbewerbs aus?
Benni Eder | Es gab eine alte Halle, die zum Teil abgerissen und zum Teil mit einem Baumarkt gefüllt worden war. Das Wettbewerbsgrundstück selbst war eine Tabula rasa mit wild wuchernder Vegetation, und im Süden standen einige Häuschen einer Kleingartenstruktur. Schließlich, in der Nähe ein Supermarkt. Uns hat der Transformationsprozess interessiert, der auf dem ehemaligen Industrieareal bereits im Gange war. Wie diese heterogene Zone räumlich entwickelt werden könnte, war damals unklar.
KG | Nicht gerade ideal zum Wohnen. Wie geht man mit einem Abrissgrundstück am Rande der Stadt um, wenn dort ex nihilo verdichteter Wohnbau entstehen soll?
BE | Wir mussten zuerst klären, wie ein Gelände reaktiviert werden kann, das bisher kaum mit Öffentlichkeit in Berührung gekommen war. Was es gab, waren einige informelle Absprachen zwischen den Kleingärtnern und dem Grundstücksbesitzer.
Theresa Krenn | Wir haben dann im Wettbewerb Diagramme gezeichnet, die sich mit der über­geordneten Entwicklung des gesamten Areals beschäftigten. Dabei ging es nicht um Formen. Es ging darum, welche Infrastruktur man zu welchem Zeitpunkt brauchen würde.
BE | Eine Schwierigkeit bestand darin, dass man sich neue Gemeinschaftsfunktionen und auch Infrastrukturen vorstellen kann und muss, um einen Prozess in Gang zu bringen. In den Verhandlungen mit dem Grundstückseigentümer bzw. dem Bauherrn ist dann aber schnell klar geworden, was geht und was nicht geht. Vieles, was wir uns gewünscht haben, wird auf absehbare Zeit nicht kommen. Aber man hat sich auf eine wichtige soziale Infrastruktur geeinigt, ein „Geriatrisches Tageszentrum“. Und eine Neu­definition der Erdgeschosszone mit Läden oder Gewerbe ist aufgrund der baulichen Struktur immerhin langfristig denkbar.
TK | Unsere Analysen haben sich dann ausgedehnt. Wir haben mehr nach den versteckten Qualitäten der Umgebung gesucht. Eine wichtige Frage für uns war: Was ist fußläufig gut erreichbar? Da gibt es zum Beispiel die Alte Donau, dann den Aupark und schließlich die alte Ortsmitte von Neu Stadlau, die ihren ganz eigenen Charme hat. Sie ist in zehn Minuten zu Fuß zu erreichen. Aber damals konnte sich niemand vorstellen, dass das nahe ist, so inkohärent waren die räumlichen Verbindungen.
KG | Was macht man dann mit diesen versteckten Qualitäten?
TK | Wir haben bestimmte Bewohnertypen ausfindig gemacht, die eine solche Stadtlandschaft attraktiv finden – zum Beispiel Menschen, die ein suburbanes Umfeld mögen; Leute, die hier vom Stadtrand aus zum Beispiel schneller in Bratislava sein können; oder etwa die „Insulaner“, ältere Menschen und Kinder, die die Geborgenheit einer dichten Wohnanlage am Stadtrand schätzen. Die räumlichen Wünsche, die diese Bewohnertypen mitbringen, haben wir dann in unseren Entwurf übersetzt. Wir wollten zeigen, dass es Spaß machen kann, in solch einer Wohnanlage am Stadtrand zu leben. Das war die Grundidee.
BE | Diese neuen, gefundenen Anknüpfungen an die Nachbarschaft sind eine Art Programm geworden, aus dem wir die weitere Entwurfskonzeption entwickelt haben.
Lina Streeruwitz | Was ich im realisierten Projekt frappant finde ist, dass sich die Beziehung zur Umgebung in diesem Rundweg auf dem Dach, dem Skywalk, am meisten entfaltet. Von hier oben aus wird klar, wie vielfältig strukturiert die Umgebung ist. Diese Blickbeziehungen erlebbar zu machen wird zu einer Art Basis für die Entwicklung der Nachbarschaft, zu einem Zeitpunkt, wo die verschiedenen Inseln – die Archipele, wie Ungers vielleicht gesagt hätte – erst teilweise realisiert sind.
KG | Was bedeutete eigentlich der Titel „Swobodas go Neu Stadtlau – 10 Häuser für ein Halleluja“, der dem Wettbewerbsbeitrag beigegeben wurde?
Katharina Urbanek | Mit „Swoboda“ ist der prototypische Wiener gemeint. Damit wollten wir ausdrücken, dass jeder in dieser Oase willkommen ist. Wir haben diese Bewohnergruppenanalyse, von der wir gerade gesprochen haben, nie einschränkend gemeint. Sie half uns beim Entwerfen. Aber das im Moment diskutierte Themenwohnen (S. 52) sollte un­serer Ansicht nach nie soweit gehen, dass es nur bestimmte Nutzergruppen anspricht und andere ausschließt.
KG | Und warum „10 Häuser für ein Halleluja“?
BE | Zehn Häusern, weil wir die unregelmäßige Großform in identifizierbare Einheiten unterteilt haben. Das ist auch im realisierten Entwurf so geblieben. Und das „Halleluja“ bezog sich auf die große Form und ...
KU | ... so eine Art Heroismus ...
BE | (lacht) ... einen Heroismus der richtig großen Bauform, der uns zu Anfang vielleicht gar nicht bewusst war.
KU | Als wir den Wettbewerb gewonnen hatten, fühlten wir uns wie der Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, erst wieder in die Flasche stecken will. Wir hatten etwas Angst vor dem Maßstab. Wir wollten die identitätsstiftende Großform in jedem Fall skalieren und da und dort brechen. Man hat einfach Respekt vor diesen großen Strukturen.
LS | Gab es beim Entwerfen für euch wichtige Referenzen, wie man mit großen Formen in der Peripherie umgehen kann?
KU | Weniger während des Entwerfens als nachher, bei der Weiterentwicklung des Projekts. Eine Referenz, an der wir natürlich nicht vorbei kamen, ist der Karl-Marx-Hof, der seinerzeit auf dem Gelände ehemaliger Gärtnereien entstanden ist. An ihm lässt sich sehen, wie wichtig die Verknüpfung von Innen- und Außenraum ist. Der zweite Aspekt, den wir genauer untersucht haben, betraf die heute noch vorbildlichen Qua­litäten der Gemeinschaftseinrichtungen, die in den zwanziger Jahren in Wien realisiert wurden.
LS | Wie funktioniert die Verknüpfung von Innen und Außen jetzt bei der Oase 22?
TK | Der große innere Hof zwischen den mäandernden Blockrändern ist ja ein öffentlich zugänglicher Raum. Er wird von den Bauträgern und nicht von der Stadt finanziert. Das, was er an Qualitäten zur Verfügung stellt – und das ist nicht wenig – ,steht auch der Nachbarschaft zur Verfügung. Er wird nicht abgesperrt am Abend. Es gibt niemanden, der kontrolliert, wer von außen kommt. Es gibt nur eine Art sozialer Kontrolle. Man muss hineintreten in diesen Raum.
BE | Wobei man anfügen sollte, dass das nicht selbstverständlich ist. Wir sind in der Diskussion mit dem Bauherrn und dem Bauträger mit der Frage konfrontiert gewesen: Wird das jetzt abgesperrt oder nicht? Es gab Erfahrungen, dass dort, wo die Aufenthaltsqualitäten attraktiv sind, Übernutzung stattfindet und dann Vandalismus passiert. Das wird immer eine Gratwanderung sein. Sollte es Probleme geben, dann reicht unsere Macht leider nicht aus zu sagen, ihr dürft da keine Zäune aufstellen.
Daniel Ritter kommt hinzu
KG | Herr Ritter, Sie und Ihr Team betreuen für zunächst eineinhalb Jahre die Bespielung der zahlreichen Gemeinschaftseinrichtungen in der Oase. Beginnen wir mit dem Skywalk, dem spektakulären Weg auf der Dachterrasse, der alle Bauten mit Brücken und Stegen verbindet. Wir sind ihn gestern abgelaufen: Eine gute Viertelstunde braucht es, um vom einen zum anderen Ende zu kommen. Was war Ihre Reaktion, als Sie dort zum ersten Mal entlangspaziert sind?
Daniel Ritter | Ich dachte mir, dass man in der Oase wie in und auf einer Stadtmauer wohnen kann. Man hat von hier oben eine wunderschöne Aussicht auf die Umgebung. Man kann förmlich in die Stadt hineinschauen. Das trägt zur Identifikation der Bewohner bei. Man kann sich hier treffen, picknicken, gärtnern. Ich finde das Konzept überzeugend.
KG | Es muss ja auch Anlässe geben, damit man Lust hat, hier hoch zu kommen. Zurzeit ist der Weg noch sehr karg.
DR | Da haben Sie recht. Es stellt sich die Frage, welche Verweilqualität der Skywalk künftig haben wird. Wir haben noch keine Erfahrungswerte, wie er benutzt werden kann. Er ist ja auch erst seit Mitte Juli durchgängig geöffnet. Damals gab es eine Tanzveranstaltung. Da ist unter den Bewohnern Jubel ausgebrochen: „Endlich ist der Skywalk frei, endlich lässt er sich benutzen.“ Großer Applaus, das hört man nicht alle Tage.
KG | Haben Sie Ideen, wie er sich entwickeln lässt?
DR | Wir werden demnächst ein BewohnerInnenfest haben. Das letzte Haus ist ja erst seit Mai bezogen. In einer ersten Phase versuchen wir, über Bürgertreffs Bewohner zu gewinnen, die mitmachen. Erfahrungsgemäß ist das in den Wochen nach dem Einzug schwierig. Da ist jeder noch mit sich selbst beschäftigt. Danach geht es einfacher. Was gleich sehr gut funktioniert hat, das waren die Pflanzbeete oben auf dem Dach. Da gab es sofort Leute, die sich beteiligen wollten.
LS | Mit welchen Gemeinschaftsräumen haben Sie angefangen, als Sie Ihre Tätigkeit im Mai starteten? Zu diesem Zeitpunkt waren diese Räume ja noch leer und ungenutzt. Schwierig ist sicher auch, dass Sie es mit drei verschiedenen Bauträgern zu tun haben, die jeweils unterschiedliche Vorschriften und Nutzungsregeln im Kopf haben.
DR | Wir haben als erstes den Festsaal als unseren Hauptversammlungsraum ausgewiesen – als Treffpunkt für alle. Dann haben wir mit den Außenflächen begonnen. Wir haben die Pflanztröge vergeben, die Pflanzbeete. Das war ein wichtiger partizipativer Prozess: Wie teilen sich die Bewohner die Pflanzbeete auf? Welche Regeln finden sie? Wer will was? Wie gehen sie miteinander um? Das war für uns alle ein Experiment. Wir haben Veranstaltungen zum Anpflanzen organisiert oder Besuche bei einem Biobauern. Das Wichtigste ist, dass so etwas wie ein gemeinsames Interesse entsteht, das die Bewohner verbindet. Nur dieses „Ihr-wohnt-zusammen-Gefühl“, an das man appellieren kann, das ist zu wenig. Es braucht Inhalte, die die Nachbarn verbinden.
KG | Wie würden Sie selbst eigentlich Ihre Tätigkeit beschreiben? Sie werden manchmal als Nachbarschaftskurator bezeichnet.
DR | Wir sorgen für „gemeinschaftliches Wohnen“.
LS | Sind Sie ein Nachbarschaftskurator?
DR | (lacht) So würde ich mich nicht bezeichnen. Wir haben uns für „Quartiersmanager“ entschieden. Der Ausdruck ist vielleicht nicht so attraktiv. Wir möchten niemand verschrecken. Wir wollten eine gemeinsame Bezeichnung, die möglichst viele Nachbarn anspricht. Quartiersmanager – fürs Erste passt das schon.
Fakten
Architekten Studio uek, Wien
aus Bauwelt 36.2013
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