Projektreportage

Apartmenthaus Johannnisstraße 3, Berlin
Jürgen Mayer H., Berlin

Nach Süden öffnet sich das Gebäude zum begrünten Hinterhof mit großzügigen Balkonen. Die Lamellenstruktur bildet Fassade und Geländer.

Bewegung trotz Enge

  • Autorin: Franziska Weinz
  • Fotos: Patricia Parinejad, Paul Green, Ludger Paffrath, Quabbe + Tessmann

Das Apartmenthaus in der Johannisstraße 3 ist das erste Projekt von Jürgen Mayer H. an seinem Wohn- und Arbeitsort Berlin, und wie immer schafft er es auch hier, sich aus der Masse hervorzuheben. Der Gewinner des 2010 erstmalig vergebenen Audi Urban Future Awards „A.WAY“ geht davon aus, dass der Individualverkehr in den Städten zukünftig kaum noch eine Chance hat. Vor allem im hochfrequentierten Berlin-Mitte ist ein fester Stellplatz für das eigene Auto heute aber noch unverzichtbar.

Biegt man von der belebten Friedrichstraße direkt hinter dem Friedrichstadtpalast in die Johannisstraße ab, ändert sich einiges: Der Lärm verhallt, die Straße wird deutlich schmäler, es brechen große Brachen zwischen den Gebäuden auf, und die Baustile vermischen sich. Die Kalkscheune aus dem 19. Jahrhundert, der Friedrichstadtpalast aus den 80er Jahren, eine Reihe von unscheinbaren Neubauten und der Blick auf die Ruine des ehemaligen Tacheles – wie soll man als Architekt den eigenen Entwurf in solch ein Umfeld integrieren? Jürgen Mayer H. Architekten setzen auf Individualität. Dank des mutigen Bauherrn Stefan Höglmaier von der Euroboden GmbH ist es ihnen in der „JOH3“ gelungen, die sonst oft strikte Berliner Blockrandbebauung neu zu inszenieren: Ein Vorder- und Hinterhaus oder gar ein Quergebäude gibt es hier nicht. Vielmehr breitet sich das hochwertig ausgestattete Apartmenthaus mit 21 Wohnungen und zwei Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss wie eine Landschaft über das Grundstück aus.

Zwischen den beiden Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss befindet sich die Einfahrt zur Tiefgarage, die nur durch den waagerechten Einschnitt in der Fassade zu erahnen ist.

Zwischen den beiden Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss befindet sich die Einfahrt zur Tiefgarage, die nur durch den waagerechten Einschnitt in der Fassade zu erahnen ist.

Von der östlichen Brandwand ausgehend zieht sich ein Einschnitt in die Gebäudekubatur wie eine Art Atrium über alle Geschosse. Die Funktionseinheiten der Wohnungen sind diesem Innenhof zugeordnet und werden so belichtet. Nach Süden zum Hinterhof öffnet sich das 2012 fertiggestellte Gebäude mit großzügigen Balkonen. Den Architekten war es wichtig, dieses innerstädtisch verdichtete Gebiet gezielt mit landschaftlichen Elementen aufzulockern und gleichzeitig einen geschützten Rückzugsort zu schaffen. Darauf aufbauend entwickelten sie ein Leitdetail, das beide Aspekte vereint: organisch geschwungene Lamellen, deren Form den Landschaftsgedanken fortführt und die zugleich die Privatsphäre der Bewohner schützen.

„Parksysteme sparen Raum und sind äusserst Effektiv.”

Den Hintergrund für die vorgesetzte Lamellenfassade aus Edelstahl bildet die zurückhaltende Aluminium-Glas-Fassade, bestehend aus geschosshohen Festverglasungen, schmalen Öffnungsflügeln und dunkelbraunen Aluminiumpaneelen. Jede Lamelle setzt sich aus einem quadratischen Hohlprofil zur Stabilisierung und zwei CNC-gefrästen Seitenflächen zusammen, die in der Tiefe bis maximal 35 cm variieren und so eine wellenartige Bewegung in der Fassade erzeugen.

Die vorgesetzte Lamellenstruktur zieht sich wie eine zweite Haut über die zurückhaltende Aluminium-Glas-Fassade.

Die vorgesetzte Lamellenstruktur zieht sich wie eine zweite Haut über die zurückhaltende Aluminium- Glas-Fassade.

Die sieben Geschosse des Gebäudes wirken auf den ersten Blick unangemessen, orientieren sich allerdings an den anderen Neubauten entlang der Straße. Der Senat verlangte trotzdem eine seitliche Abtreppung zugunsten der benachbarten, dreigeschossigen Kalkscheune. Geschickt kaschiert die gewellte Fassade den dadurch entstehenden Knick und die Schräge in den oberen beiden Geschossen. Die Formensprache der identitätsstiftenden Fassade findet sich in anderer Weise auch im Inneren des Hauses wieder. Der Eingang ist schnell zu finden, hier biegen sich die Lamellen wie ein Willkommensgruß nach innen. Schon im Flur fällt der Blick auf das organisch geformte Atrium mit hochgewachsenen Bambuspflanzen. Auch in den unterschiedlich geschnittenen Wohnungen trifft man auf geschwungene Formen. Besonders auffällig sind die in den Boden eingelassenen Sitzlandschaften, die sich in den darunterliegenden Wohnung abzeichnen. Aufgrund der bereits erwähnten Enge der Straße und Dichte der geplanten Bebauung mussten die Architekten eine Lösung finden, die geschosshohen Glasfronten der Fassade zu verdecken, ohne deren offenen Charakter zu sehr zu beeinträchtigen. Die skulpturale Lamellenfassade spielt dabei eine wichtige Rolle, denn sie dient als eine Art Filter und erzeugt ein Spannungsfeld zwischen Diskretion und Offenheit.

Direkt neben der Kalkscheune aus dem 19. Jahrhundert, die heute als Veranstaltungsort genutzt wird, steht das Wohnhaus JOH3 – ein Entwurf zwischen Baukörper und Skulptur.

Direkt neben der Kalkscheune aus dem 19. Jahrhundert, die heute als Veranstaltungsort genutzt wird, steht das Wohnhaus JOH3 – ein Entwurf zwischen Baukörper und Skulptur.

Je nach Nutzung wird die Höhe der Lamellen im verglasten Bereich angepasst: Beispielsweise reichen die Lamellen vor den Schlafzimmern meist bis auf 1,10 Meter über Oberkante des Fertigfußbodens, die Glasfassade in den offenen Wohnbereichen bleibt dagegen oft unverdeckt. Auf der Südseite im Hinterhof dienen die Lamellen als Geländer für die Balkone. Nicht nur die Variation in der Höhe, auch die Lamellenkonstruktion an sich erhöht die Privatsphäre der Bewohner. Durch die Tiefe der Seitenflächen gewährt die Struktur einen ungestörten Ausblick, wenn man gerade davor steht, wirkt jedoch in jedem anderen Winkel auch im Hinterhof blickdicht.

Dort wird die Sicht frei auf das „Dietrich-Bonhoeffer-Haus“, ein Hotel, dessen Fassade ebenso wie die beiden Brandwände des Gebäudes mit einem großmaßstäblichen Datenmuster in Beigetönen angelegt wurde. Die Lamellenstruktur wandert an der Brandwand vereinzelt weiter, um Rankpflanzen als Kletterhilfe zu dienen. Der Hinterhof wurde zusammen mit dem Landschaftsarchitekten Klaus Wiederkehr entworfen.

Jürgen Mayer H.

Jürgen Mayer H.

Zurzeit besteht urbane Mobilität aus einer Mischung aus ÖPNV und Individualverkehr, meist privaten PKW. Nach unserer Erkenntnis, beruhend auf den technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre, wird der Individualverkehr in den Ballungszentren jedoch immer weiter auf Carsharing-Systeme, Mobilitätsanbieter und den ÖPNV ausweichen. Ich persönlich habe in letzter Zeit das Radfahren für mich wieder entdeckt, vor allem weil in Großstädten wie Berlin Fahrradfahrer immer mehr gefördert werden, mit neu angelegten Radwegen und hierfür verkleinerten Fahrspuren. In unserer Studie zum Audi Urban Future Award 2010 „A.WAY“ gehen wir davon aus, dass es zukünftig in Ballungszentren kaum noch Privatfahrzeuge geben wird, in den ländlichen Gebieten aber sicherlich weiterhin. Ich denke, die Autoindustrie muss diesen Trend zwingend berücksichtigen und hier in Entwicklung und Angebot aktuell bleiben. Derzeit ist die Situation jedoch noch eine andere, bei JOH3 war es von vornherein klar, dass es hauseigene Stellplätze geben soll. Aufgrund der geringen Abmessungen für eine Parkgarage und der guten Erfahrung mit Parksystemen in vorherigen Projekten haben wir uns schnell wieder für ein Parksystem von Wöhr entschieden: Es spart Raum und ist äußerst effektiv. Jürgen Mayer H., Berlin

Durch die Anordnung der Tiefgarage, die oberirdisch in den Hof hineinragt, ist der Hof klar gegliedert. Die privaten Gärten, die den Erdgeschosswohnungen zugeordnet sind, treppen sich mit zwei Plateaus ab. Dies trägt sehr zum mäandernden Landschaftscharakter bei und verstärkt den Eindruck, das Gebäude bewege sich. Auf der Straßenseite versteckt sich die Einfahrt zur hauseigenen Tiefgarage hinter den Fassadenelementen und neben der Architekturgalerie AEA – Art et Architectures so gut, dass eine zusätzliche Beschilderung unerlässlich wurde.

Lageplan

Lageplan

Die Tiefgarage bietet mit einer Kombination aus freien Parkplätzen und dem verdichteten Parksystem Combilift 543 von Wöhr insgesamt 27 Stellplätze. Der Combilift ist dezentral organisiert und in einer Reihe über drei Ebenen konstruiert. Das geparkte Auto kann mithilfe eines Leerplatzes im System zur gewünschten Ausfahrt verlagert werden: Durch diesen Leerplatz können die Plattformen der Einfahrtsebene waagerecht verschoben werden und ermöglichen so die vertikale Bewegung der darüber- und daruntergelegenen Ebene. Auf Grundlage dieses Verschiebepuzzle entlang zweier Achsen ist jedes Auto im System erreichbar. So kann trotz minimaler Grundfläche jedem Bewohner mindestens ein fester Stellplatz garantiert werden. Außerhalb des Gebäudes ist die Problematik des Parkens in der Innenstadt jedoch allgegenwärtig. Sogar die Brachen im Norden und Osten des Gebäudes werden als Parkflächen genutzt und sind weit entfernt von jeglicher Optimierung. Bislang bietet sich dadurch allerdings von den Wohnungen aus ein freier, wenn auch autoreicher Blick auf die Stadt. Doch es stellt sich die Frage: Was passiert, wenn diese Freiräume bebaut werden? Die Brandwand nach Osten würde wieder geschlossen und die Lamellen im Norden auf eine harte Probe gestellt werden. Höchstwahrscheinlich würde „JOH3“ ein großes Stück an Qualität verloren gehen, denn die vorgesetzte Fassade schützt zwar vor Blicken von der Straße aus, vor einem direkten Gegenüber aber nur wenig. Bleibt zu hoffen, dass zukünftige Projekte sich an der vorhandenen Bebauung orientieren werden.

Das Parksystem Combilift 543

Das Parksystem Combilift 543

Das Parksystem Combilift 543

Das Parksystem Combilift 543

Das Parksystem Combilift 543

Das Parksystem Combilift 543

Das Parksystem Combilift 543

Das Parksystem Combilift 543

Architekten

Jürgen Mayer H. Berlin
www.jmayerh.de

Jürgen Mayer H. Architekten wurde 1996 von Jürgen Mayer H. in Berlin gegründet. Das Büro verbindet Grafik, Kunst, Architektur und Kommunikationsdesign. Mit interaktiven Technologien und innovativen Materialien schaffen sie unverwechselbare Architekturskulpturen und sind damit vor allem im Ausland sehr erfolgreich. Ihre Projekte reichen von Installationen über städtebauliche Entwürfe bis hin zu multidisziplinärer Raumforschung zum Verhältnis von Körper, Natur und Technologie. Jürgen Mayer H. studierte Architektur in Stuttgart, New York und Princeton. Seine Arbeiten wurden mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Seit 1996 unterrichtet er an verschiedenen Universitäten.

Projekte (Auswahl)

2011 Metropol Parasol, Sevilla
2007 Danfoss Universe, Nordborg
2006 Mensa Moltke, Karlsruhe
2002 Stadthaus, Ostfildern

Produktinformationen

Wöhr Combilift 543 für 20 Stellplätze
Informationen

BAUWELT.DE