Hackesches Quartier: Dresscode der Stadt
- Autor: Michael Kasiske
- Fotos: Quabbe + Tessmann, Udo Hesse, Stefan Müller
Neben der Berliner S-Bahnstation Hackescher Markt ist ein neues städtisches Quartier errichtet worden. Dass an seiner Stelle bis 2007 Brachland gewesen ist, kann sich kaum jemand vorstellen, der es heute auf dem Weg zum Roten Rathaus durchkreuzt. Die unterschiedlich gestalteten Fassaden lassen von außen nicht erkennen, dass es sich um ein einziges großes Projekt handelt, in dem hohe Ansprüche an Ökonomie, Funktionalität und Ökologie eingelöst wurden, von den Dachgärten bis hinunter zu den Tiefgaragen.
Die großen Mieteinheiten des Hackeschen Quartiersgrenzen sich durch eine individuelle Fassadengestaltung voneinander ab und orientieren sich so an der städtebaulichen Körnung der Umgebung.
In Berlin ist die Diskussion bislang nicht beendet, ob ein neues innerstädtisches Gebiet ein Stück Stadt simulieren soll. Eine Antwort bietet das „Hackesche Quartier“, das sich mit seiner Fläche von rund 10.000 Quadratmetern rasch in das Gewebe der Straßen und Wege eingefügt hat. Auf mehreren zusammengelegten Grundstücken hat die IVG Immobilien AG einen zentral gelegenen Bürostandort mit einem Apartmenthotel entwickelt.
Lageplan des Hackeschen Quartiers
Der Planung ging 2007 ein Gutachterverfahren voran. Auf der Grundlage des gewählten städtebaulichen Masterplans vom Team Graetz Nöfer Tyrra wurden die drei Architekturbüros Weinmiller, Grüntuch Ernst und Müller Reimann mit dem Entwurf einzelner Gebäude beauftragt. Müller Reimann übernahmen zusätzlich die Gesamtplanung und -koordination, wozu auch die Planung der beiden Untergeschosse gehörte, die weitgehend unabhängig von den oberirdischen Gegebenheiten funktionieren.
„Das Hackesche Quartier ist ein Vorposten für die gewachsene Stadt.”
Die Aufteilung in ablesbare Häuser ist nicht allein gestalterisch begründet. Zum einen wünschten die drei großen Mieter eine eigene Adresse, zum anderen lassen sich abgeschlossene Bürohäuser leichter in kleinere Einheiten gliedern, die zusammen eine klar abgegrenzte Infrastruktur nutzen. Ihre Größe orientierte sich an der städtebaulichen „Körnigkeit“, die das Gebiet um den Hackeschen Markt nördlich des S-Bahn- Viadukts prägt.
Gegenüber den Plattenbauten am Alexanderplatz, die dem Quartier ihre Rückseite zuwenden, ist das Hackesche Quartier ein Vorposten für die gewachsene Stadt. In den Straßenräumen bildet sich das ab, was man den „Dresscode der Stadt“ nennen kann. Da es sich, abgesehen vom Apartmenthotel, stets um Büronutzung handelte, haben die Architekten das Äußere im Gespräch mit den Nutzern – auch im Sinne des jeweiligen Marketings – entwickeln müssen. Dabei entstanden schon aufgrund der ausgewählten Materialien Ziegelstein, Keramik und Metall sowie Glas vielfältige Fassaden.
links Thomas Müller, rechts Ivan Reimann
Bei der Konzipierung des Hackeschen Quartiers haben wir uns an der gewachsenen Stadt nördlich des S-Bahn-Viadukts orientiert: an ihrer Parzellenstruktur, ihren klaren Straßenräumen, der eindeutigen Adressenbildung, den für Berlin typischen Fassadenstrukturen. Obwohl es sich um ein reines Geschäftsquartier handelt, bewegen sich die Passanten nun dort mit großer Selbstverständlichkeit. Diesen Wandel von der Kehr- zur Schauseite des S-Bahnhofs hätte vor sieben Jahren kaum jemand erwartet. Damit haben sich die langen Diskussionen über die städtebauliche Grundordnung und Gestaltung gelohnt. Hinsichtlich der Architektur war die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Architekten und insbesondere mit der Werbeagentur Scholz & Friends für uns Herausforderung und Gewinn gleichermaßen. Die genauen Vorstellungen der führenden Köpfe der Agentur von ihrer zukünftigen Arbeitsweise führten zu einem Haus, das im Inneren ein großes öffentliches Atrium bietet und den Mitarbeitern dennoch ein konzentriertes Arbeiten ermöglicht. Die besondere Raumatmosphäre wird durch ausgesuchte Materialien wie schwarz emailliertes Glas, silberne Aluminiumprofile, weißen Terrazzo und Eichenholzböden unterstützt. Prof. Ivan Reinmann, Berlin
So hat das Gebäude für einen Berliner Gasversorger am Henriette-Herz-Platz eine extrem starke vertikale Gliederung. Nur damit konnte es gelingen, die durch den Städtebau vorgegebene Geometrie mit einer abgeknickten Ecke und einer großen Rundung innerhalb eines Formenkanons zu bewältigen. Aufgrund der hervortretenden Lisenen wirkt die Front von der Seite betrachtet nahezu geschlossen, wodurch der Straßenraum betont wird; frontal gesehen dominieren die offenen Glasflächen. Die Wahl des Backsteins ist eine Referenz an den gegenüber liegenden S-Bahnhof Hackescher Markt, eine der ältesten noch erhaltenen Stationen Berlins.
Der auf der anderen Seite des Quartiers, am Litfaß-Platz liegende Sitz der Werbeagentur Scholz & Friends unterscheidet sich nicht nur äußerlich von der Umgebung. Das Haus sollte das Selbstverständnis des international agierenden Kommunikationsunternehmens als „Orchester der Ideen“ abbilden. Im Gespräch entstand der Begriff „Konzerthaus“, der in die Idee vom achtgeschossigen Atrium als „zentrale Bühne“ mündete. Darauf beziehen sich alle Bereiche bis hin zum Schrebergarten auf der Dachterrasse.
Die horizontalen Bänder der Fassade ziehen sich als Brüstungen der einzelnen Geschosse bis in den Innenraum des achtgeschossigen Atriums.
Die Fassade erweist mit Fensterbändern den durch den Krieg zerstörten innerstädtischen Geschäftshäusern der 1920er Jahre ihre Referenz. Die Bänder werden jedoch in den Innenraum gezogen und setzen sich im Atrium als Verkleidung der Brüstungen fort. Mit dieser gestalterischen Verschränkung wird das Haus zum Teil des Quartiers, entsprechend dem Anliegen der Agentur, dass ihre Mitarbeiter Teil des städtischen Lebens sind. Umgekehrt kann die Öffentlichkeit bis ins Atrium treten, wo weißer Terrazzo als Bodenbelag und Verkleidung der Tresen für eine unaufgeregte Stimmung sorgt.
Innerhalb des Hauses wird Bewegung zur Kommunikation: Kein Flur endet als Sackgasse, gemeinschaftlich genutzte Bereiche wie Küchen liegen weit auseinander. Die flexibel organisierten Büros haben komplett verglaste Wände, was zu einer extrem offenen Arbeitsatmosphäre führt. Lediglich die Besprechungsräume befinden sich in geschlossenen Kuben, die über bündig in die Wand eingelassene „Tapetentüren“ erschlossen werden.
„Innerhalb des Hauses wird Bewegung zur Kommunikation.”
Auch für die Innengestaltung machte Scholz & Friends klare
Vorgaben. Statt auf die üblichen abgehängten Rasterdecken
schaut man auf schalungsrohe Betonoberflächen. Die gesamte
Technik, etwa die Verkabelung, die Zuleitungen für die Sprinkleranlage
und die Lüftungsrohre, wurden in einem rund 25
Zentimeter hohen Bodenaufbau untergebracht. Darüber liegt
Eichenholzparkett, das zur Homogenisierung der Oberfläche
dient und auch als Verkleidung für Tresen in den Gemeinschaftszonen
eingesetzt wird.
Der Freiraum des Quartiers, der von Topotek 1 konzipiert
wurde, ist auch durch die wichtige Umsteigebeziehung zwischen
S-Bahn und Tram längst ein sehr belebter öffentlicher
Raum geworden. Der Litfaß-Platz war als unbebaute Fläche
vorgegeben, da sich unter ihm als archäologisches Denkmal
die Reste der Garnisonskirche befinden. Sein Bodenbelag aus
weißem Beton korrespondiert mit dem Terrazzo in der Lobby
des Hauses von Scholz & Friends.
Unentdeckt bleiben die beiden Untergeschosse, die den Technikzentralen
und dem Parken dienen. Aufgrund der Nähe zur
Spree musste der unter Straßenniveau befindliche Raum so hoch wie möglich liegen und entsprechend effizient ausgenutzt
werden. Von den 300 Stellplätzen wurden deshalb 76 in
zwei Combiliften untergebracht, die ein doppelgeschossiges
Parkieren in zwei hintereinander liegenden Reihen ermöglicht.
Was zunächst eng klingt, ist tatsächlich äußerst bequem:
Eine gewünschte Parkplatte der unteren Ebene wird
über codierte Schlüssel der Nutzer angewählt und kann auf
der Fahrerseite über den links freigestellten Stellplatz erreicht
werden. Die Plattformen der oberen Ebene haben links
auf der Plattform einen breiten Fußstreifen. Die Stellplätze
werden von Mitarbeitern der Firmen im Gebäude genutzt.
Als „gleichbleibende Nutzer“ verfügen sie über einen codierten
Schlüssel mit dem sich ihr Stellplatz anwählen und bereit
stellen lässt. Alle Stellplätze können auch bei der 2-reihigen
Anordnung unabhängig voneinander genutzt werden: in der
Einfahrtsebene ist in der vorderen und hinteren Reihe jeweils
ein Leerplatz angeordnet. Damit lassen sich die Stellplätze so
verschieben, dass sich der Leerplatz unter einem angewählten
OG-Stellplatz befindet und dieser abgesenkt werden kann,
oder als Zufahrt in die hintere Stellplatzreihe dient. So lassen
sich auf einer Fahrgassenseite 4 Stellplatzreihen erschließen.
Schon der äußere Eindruck der städtischen Geschäftshäuser vermittelt, dass das Hackesche Quartier gemäß seiner Lage deutlich über die üblichen Standards hinausgeht. In der einzelnen Betrachtung bleibt es faszinierend, wie hier mannigfaltigen Ansprüchen gestalterisch so entsprochen wurden, dass sie im Alltagsleben aufgehen.
Die Besonderheit der Combilift-Systeme 551 und 552 ist ihre Durchfahrbarkeit und die Möglichkeit, die Stellplätze hinter- und übereinander anzuordnen.
Hintereinander-Anordnung der Parksysteme Combilift 551/552
Hintereinander-Anordnung der Parksysteme Combilift 551/552
Hintereinander-Anordnung der Parksysteme Combilift 551/552