Corona – Klima – Krieg
Denkmalpflege im Folgensog der Katastrophen
Text: Escher, Gudrun, Xanten
Corona – Klima – Krieg
Denkmalpflege im Folgensog der Katastrophen
Text: Escher, Gudrun, Xanten
Was hat die Denkmalpflege da zu suchen, wo angesichts der neuen Katastrophen-Trias von Corona – Klima – Krieg das nackte Überleben in Frage steht? Wolfgang Lipp, ehemals Landeskonservator für Oberösterreich und Kenner der Denkmaltheorie, fasst auf kaum mehr als fünf-zig Textseiten mit einem bunten Strauß von Bilden Gedanken zusammen, die er erstmals 2021 angesichts der Pandemie publizierte und nun erweitert hat.
Schon im vorangestellten „Nachwort“ weist Lipp eingedenk des Undenkbaren eines Krieges vor der Haustür Europas (ungeachtet der übrigen 242 Kriege weltweit von 1945 bis 2020) darauf hin, dass die Denkmalpflege zu einem nicht unerheblichen Teil eine „Verlierer- und Verlustgeschichte“ sei. Die Trauer ums Verlorene löse ein Verlangen nach Re-paratur aus im Wortsinne als „Wieder ins Gleiche“ bringen.
Gemäß wissenschaftlichem Brauch folgt Lipp dem Dreischritt der disputatio aus These (Katastrophe), Antithese (Denkmalpflege) und Synthese (Corona-Maßnahmen und -Konsequenzen), um zur conclusio (Wege in die Zukunft) zu gelangen. Dabei untermauert er alle seine Aussagen akribisch mit Quellennachweisen, zum weiterführenden Studium empfohlen.
Er beginnt mit dem Versuch, die „Unschärfe des Begriffs Katastrophe“ zu fassen und analytisch zu befragen: „Was geschieht kulturell?“, „Was passiert systemisch?“, „Was heißt systemrelevant?“ Das Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755 (mit 100.000 Toten) habe ein Nachbeben der politischen, philosophischen und geistigen Auseinandersetzungen ausgelöst, durch Lessing, Kant, Rousseau, Voltaire und schließlich durch Leibniz und die durch ihn angestoßenen Theodizee-Debatte – wie konnte Gott dieses verheerende Unheil zulassen! – Widerpart und Reaktion die „Rückkehr ins tägliche und tätige Leben“. Der Paradigmenwechsel hin zur „Anerkennung und Emporwertung der Geschichte als Menschenwerk“ habe die „Genesis der Kulturidee der Denkmalpflege“ hervorgebracht, so Lipp.
Es folgt eine Auflistung von „Katastrophen“ mit ihren kulturellen Folgen von der englischen Glo-rious Revolution über die Weltkriege und die darauf folgende Charta von Venedig 1964, auf der seither das Verständnis von Denkmal und Denkmalpflege aufbaut, bis zur Finanzkrise von 2008 und der behaupteten – aber bisher nicht eingelösten – „Wertigkeit“ auch historischer Immobilien. Systemisch eigentlich weit oben bei Kultur und Bildung zu verorten, schaffe es die Denkmalpflege nicht, anzudocken an „Anschlussfelder, die zum Teil auch ein mächtigeres Potential haben als das Teilsystem kulturelles Erbe. Da sind: Umweltschutz, Naturschutz, Raumordnung, Städtebau, Ortsentwicklung, Architektur insgesamt“. Wer im geschichtsphilosophischen und soziologischen Diskurs nicht ganz so sattelfest ist, droht stellenweise den Faden zu verlieren, findet ihn aber bald wieder in der Anschaulichkeit.
Das zweite Kapitel befragt die „Stadien der Denkmalpflege“ als einen Prozess fortschreitender Differenzierung bis zu Entmaterialisierungund Entdifferenzierung. Im Katastrophenfall aber würden alle Teilinteressen, alle „Opulenz, Divergenz und Toleranz pluralistischer Auffächerungen“ dem „Imperativ des Überlebens“ unterstellt. Denkmalpflege komme da nicht vor.
Dass im dritte Kapitel die Anweisungen der AHA-Verhaltensregeln aus Pandemiezeiten (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) erhellend für die Denkmalpflege sein könnten, überrascht und überzeugt: im Verschieben der Wahrnehmung aus der realen in die virtuelle Welt, im Verschieben in die klinisch reine museale Welt, im Verschieben hinter die Masken von Fassaden.
Die conclusio setzt an bei der Renaissance von Mythen und Mythenbildungen mit dem großen Versprechen der „Rettung“. Daraus ergeben sich für die Denkmalpflege „Brücken für Allianzenbindungen“ in ihrem ureigenen Rettungsauftrag für das „knappe Gut“ Denkmal. Die Auf-listung der Potenziale der Denkmalpflege zwischen Vernichtungserfahrung und dem „Recht auf Zukunft“ mündet in dem Versuch eines „pro futuro“: Nach sechs Imperativen „Die Denkmalpflege muss…“ heißt es: „Das ‚Erbe‘ als explizite Basis der Wertegemeinschaft … ist ‚verpflichtender‘ kollektiver Identitätsspeicher und Fundament für ein kulturelles Commonsense-Bewusstsein, nicht bloß ein Beliebigkeits-Puzzle in einem McWorld Culture-Selbstbedienungsladen“. Es liege an uns, die als „Schleusenwärter“ dafür verantwortlich seien, dass das kulturelle Erbe im „Meer der Zukunft“ einer „digitalen, klimaverträglichen und virusfreien Postwar-World noch Schaum gekrönte Wellen schlagen wird können. An der dafür notwendigen Resilienz sollte es nicht mangeln“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
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