Bauwelt

Moderne retten

Viele hochkarätige Bauten der Wrocławer Nachkriegsmoderne ­wurden lange derart vernachlässigt, dass ihre Qualität heute ­nur schwer aus­zumachen ist. Eine Gruppe von Architekten versucht, den Wert dieser Häuser zurück ins öffentliche Bewusstsein zu ­bringen – mit einer vielleicht zu überzeugenden Methode

Text: Wojciechowski, Łukasz, Wrocław

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    Die Stiftung Jednostka Architektury hat von vernachlässigten Schlüsselbauten der Wrocławer Nachkriegsmoderne „bereinigte“ Idealmodelle bauen lassen, um in der Öffentlichkeit für deren Qualitäten zu werben. Hier das Maisonettenhaus in ­der Kołłątaj-Straße Foto: Jednostka Architektury

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    Die Stiftung Jednostka Architektury hat von vernachlässigten Schlüsselbauten der Wrocławer Nachkriegsmoderne „bereinigte“ Idealmodelle bauen lassen, um in der Öffentlichkeit für deren Qualitäten zu werben. Hier das Maisonettenhaus in ­der Kołłątaj-Straße

    Foto: Jednostka Architektury

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    Gesamtansicht des Modell (in der Ausstellung über die Architektin Jadwiga Grabowska-Hawrylak im Architekturmuseum Wrocław) Foto: Jednostka Architektury

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    Gesamtansicht des Modell (in der Ausstellung über die Architektin Jadwiga Grabowska-Hawrylak im Architekturmuseum Wrocław)

    Foto: Jednostka Architektury

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    Realzustand des Maisonettenhauses 2016
    Foto: Wolfgang Kil

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    Realzustand des Maisonettenhauses 2016

    Foto: Wolfgang Kil

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    Auch von den Wohntürmen am Plac Grunwaldzki, deren Fassaden ursprünglich eine tiefere Farbigkeit zeigten ...
    Foto: © Architektur­museum Wrocław

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    Auch von den Wohntürmen am Plac Grunwaldzki, deren Fassaden ursprünglich eine tiefere Farbigkeit zeigten ...

    Foto: © Architektur­museum Wrocław

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    ... entstanden weiß abstrahierte Fassadenmodelle.
    Foto: Jednostka Architektury

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    ... entstanden weiß abstrahierte Fassadenmodelle.

    Foto: Jednostka Architektury

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    Aus Anlass der Kulturhauptstadt wurden die Wohn­türme renoviert, ­allerdings nicht nach Originalentwurf, sondern offenbar inspiriert von den weißen Image-­Modellen. Ein Pyrrhus-Sieg der Denkmalpflege?
    Foto: Maciej Lulko

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    Aus Anlass der Kulturhauptstadt wurden die Wohn­türme renoviert, ­allerdings nicht nach Originalentwurf, sondern offenbar inspiriert von den weißen Image-­Modellen. Ein Pyrrhus-Sieg der Denkmalpflege?

    Foto: Maciej Lulko

Moderne retten

Viele hochkarätige Bauten der Wrocławer Nachkriegsmoderne ­wurden lange derart vernachlässigt, dass ihre Qualität heute ­nur schwer aus­zumachen ist. Eine Gruppe von Architekten versucht, den Wert dieser Häuser zurück ins öffentliche Bewusstsein zu ­bringen – mit einer vielleicht zu überzeugenden Methode

Text: Wojciechowski, Łukasz, Wrocław

Hier lässt sich Wrocławs vielfältige Geschichte in geballter Form erkennen: Zwischen der ehemaligen Kaiserbrücke (heute Most Grunwaldzki)und der ehemaligen Fürstenbrücke (heute Most Szczytnicki) hatte im Jahr 1945 der NS-Gauleiter von Schlesien befohlen, mitten in der zur Festung erklärten Stadt Breslau eine Startbahn für Flugzeuge anzulegen, was Tausende Menschenleben und unzählige Gebäude kostete.
Nach Kriegsende waren auf der 1300 x 300 Meter großen Leerfläche einige sozrealistische Pseudo-Paläste entstanden, Gebäude für die Technische Hochschule samt Studentenwohnheimen. 1960 wuchs neben diesen schweren Monumentalbauten aus finsterer Stalinzeit eines der ersten Gebäude der Stadt im modernistischen Stil empor. Das „Haus des Wissenschaftlers“, damals das höchste Haus Wrocławs, bestimmt für Universitätsmitarbeiter. Die Wohnungen hatten Einbauschränke, Schiebetüren, Loggien und Balkone – ein außergewöhnlich hoher Standard für die damalige Zeit.
Dann, in den siebziger Jahren, entsteht die Wohnsiedlung Plac Grunwaldzki, ein geradezu ikonischer Gebäudekomplex mit dem landesweit wohl höchsten Wiedererkennungswert aus jener Zeit. Sechs Wohntürme erheben sich über einem Sockel mit Ladengeschäften und Parkplatz – und schaffen es, den riesigen, leeren Raum mit einem neuen Zentrum zu füllen. Gleich daneben, in einem Defilee entlang der Oder, wächst der Universitätscampus weiter, seit den Sechzigern nun aber mit modernistisch freistehenden, in Grün eingebetteten Bauten. Charakteristischer und vielversprechender Anfang dafür sind die aus Glas und Aluminium gefertigten Gebilde der Mathematischen und Chemischen Fakultät.
In den achtziger Jahren erleidet Polens Wirtschaft eine Krise, in deren Verlauf die modernistischen Ideale verblassen. Begierig greifen Architekten das postmoderne Gedankengut auf, das ihnen vor allem Charles Jencks nahebringt – seine Schriften sind in jener Zeit die einzigen Architekturbücher mit Farbabbildungen, die auf Polnisch erscheinen.
Nach 1989, dem Jahr des Umbruchs, findet der euphorische Modernismus rund um den Plac Grunwaldzki sein Gegenstück in Gestalt von bunten Lückenbauten in der nahen Odervorstadt (Nadodrze). Auch die neu entstehenden Universitätsgebäude zeigen nun kräftige Farben. Die heranrollende Marktwirtschaft beschert dem Platz ein Einkaufszentrum, das ein ganzes Straßenkarree einnimmt, aber lediglich zwei Eingänge hat. Das einst so zukunftsweisende Haus des Wissenschaftlers bekommt einen papageiengrünen Anstrich, die Hochhäuser verfallen. Manche schreiben sie später dem Brutalismus zu – und vergessen dabei ganz, dass die Bezeichnung „Brutalismus“ sich nicht vom polnischen Wort brud (= Dreck) ableitet.
Von Kriegszerstörungen über stalinistische Utopien und modernistische Ideale bis hin zum Kunterbunt freier Entscheidungen: Was für eine spannende Stadt, eine von der Geschichte ­brutal zusammengestückelten Collage! Das architektonische Erbe des deutschen Breslau findet heute gebührende Beachtung und wird – trotz manch misslungener Adaptionen (wie dem Umbau von Hans Poelzigs Vier-Kuppel-Pavillon im Umfeld der Jahrhunderthalle) – bewahrt und ­von der Gesellschaft geschätzt. Auch Bauten aus ­der Zeit des Sozrealismus gelten, allen offensicht­lichen Konnotationen mit schlimmsten kommunistischen Zeiten zum Trotz, als ein Wert, sie werden geschützt und instand gehalten.
Weniger Glück hat die moderne Nachkriegsarchitektur. Ihr drohen unreflektierte Umbauten (wie der Mathematischen Fakultät) oder sie ­leidet infolge misslungener Thermo-Modernisierungen an der „Pastellkrankheit“. Im gesellschaftlichen Bewusstsein hat sich, wohl nicht ganz zu Unrecht, für Bauwerke aus sozialistischer Zeit ein Stereotyp verfestigt: Schlampig ausgeführt seien sie, eng, grau, monofunktional. Hinzu kommt eine lückenhafte Ausbildung der Architekten selbst – bis heute gibt es an der ­Architekturfakultät der Technischen Universität in Wrocław kein gesondertes Fach, das sich ­mit der polnischen Nachkriegsarchitektur befassen würde.
Diese Situation ändert sich langsam, wird doch die allgemeine Mode inzwischen von einer nostalgischen Sehnsucht nach Architektur und Design der Jahre 1956 bis 1989 bestimmt. Doch trotz des Engagements in sozialen Medien sowie einzelner Architekten, Autoren und Kuratoren kommt es immer noch zur Zerstörung manch wertvollen Bauwerks. Jednostka Architektury („Architektur-Einheit“), eine von praktizierenden Architekten gegründete Stiftung, hat sich daher zur Aufgabe gemacht, mittels Ausstellungen und Workshops Wissen über die Nachkriegsmoderne zu vermitteln und vor allem Gebäude jener Zeit vor wahllosen Dämmmaßnahmen und Umbauten zu bewahren. Oberstes Ziel der Initia­tive war es, die Wohnsiedlung Plac Grunwaldzki vor dem völligen Verlust ihrer einzigartigen räumlichen Eigenschaften zu schützen. Die Aktivitäten begannen mit einer Ausstellung im Zeit­genössischen Museum Wrocław. Dort wurden ­Bilder und Modelle mehrerer Gebäude von ­Jadwiga Grabowska-Hawrylak „im Idealzustand“ präsentiert, wie sie nach einer Renovierung auf Grundlage der ursprünglichen Pläne aussehen würden.
In der Folge ergaben sich, rein zufällig, Kontakte zur verwaltenden Wohnungsgenossenschaft Piast, die das gemeinsam mit der Architektin entworfene Sanierungskonzept schließlich akzeptierte. Leider wurden der Bauauftrag und die Bauaufsicht einem anderen Projektbüro übertragen, das sich nur oberflächlich an dem vorgestellten Konzept orientierte. Ausführungsplanung und Realisierung sind vom Ideal weit entfernt. Immerhin sehen die Gebäude – jedenfalls von Weitem – nun etwa so aus wie in den ursprünglichen Entwürfen.
Zurzeit arbeitet die Stiftung an Plänen für die Renovierung des sogenannten Maisonettenhauses. In ganz Polen gibt es kein vergleichbares Gebäude: Zweigeschossige Wohnungen schienen 1960 wie ein Wunderding aus einer besseren Welt. Die Projektdokumentation wurde im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt Wrocław 2016 finanziert. Doch obgleich die Absicht, dem Objekt seinen alten Glanz wieder­zugeben, Anerkennung bei der Lokalpresse und einem Teil der Hausbewohner findet, ist der Ausgang ungewiss. Weder gibt es klare Rechtsvorschriften, noch die Möglichkeit, solch „junge“ Bauten ins Denkmalregister einzutragen.
Des Weiteren sind Renovierungspläne für einen anderen ikonischen Baukomplex aus der Nachkriegszeit im Gange – die Umbauung am Nowy Targ (Neumarkt). Dieses Projekt wurde per Ausschreibung regulär an das Büro VROA Architekci vergeben, dieses Mal samt Bauaufsicht. Auch hier ist der vorrangige Gedanke, dem Haus seine ursprüngliche Gestalt eines Wohngebäudes in zeittypischer Einfachheit wiederzugeben, wobei Farbgebung und Struktur das Wesentliche sind.
Noch fehlt in Wrocław ein systematisches Prozedere für den Umgang mit der Nachkriegsmoderne. Trotz Unterstützung durch Architekten, Künstler und Historiker tasten sich die Aktivisten weitgehend durch ein Chaos. Wrocław zeichnet sich durch eine große, manchmal bunt gewürfelte Vielfalt aus. Hier ist Raum für deutsches Erbe, sozrealistische Monumente und den postmodern inspirierten sogenannten eklektischen Expressionismus. Die Nachkriegsmoderne ist in dieser Reihe die anspruchsvollste Aufgabe, sie wird am häufigsten unterschätzt und reagiert am empfindlichsten auf Arroganz.
Der Plac Grunwaldzki zeigt in besonderer Weise, wie Wrocław von geschichtlichen Erschütterungen geprägt ist; die Architektur junger Baudenkmäler verlangt jedoch, die Emotionen zu glätten, genau auf den Kontext der Entstehung dieser Gebäude zu achten und vor allem – ihren Urhebern mit Wertschätzung zu begegnen.
Aus dem Polnischen von Lisa Palmes

Adresse Wroclaw


aus Bauwelt 38.2016
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