Bauwelt

Malmö – Schwedens Arrival City

Bis Anfang 2016 hat Schweden mehr Asylsuchende aufgenommen als jedes andere europäische Land. Viele von ihnen blieben in Malmö, allein 31.000 unbegleitete Kinder und Jugendliche leben heute in der 278.000-Einwohner-Stadt. Bei der Bewältigung der Aufgaben hat Malmö vieles richtig gemacht – vor allem durch die Ver-bindung von Stadtentwicklung mit Integrationsbemühungen

Text: Waern, Rasmus, Stockholm

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    Ankunftszentrum für Flüchtlinge gegenüber dem Hauptbahnhof Malmö
    Foto: Johan Bävman

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    Ankunftszentrum für Flüchtlinge gegenüber dem Hauptbahnhof Malmö

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    Abschottung am Öresund: Im Januar 2016 hat Schweden Passkontrollen an der Öresundbrücke einge­führt
    Foto: Ghetty Images/Johan Nilsson/TT

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    Abschottung am Öresund: Im Januar 2016 hat Schweden Passkontrollen an der Öresundbrücke einge­führt

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    Mitten in der Stadt, aber temporär: das Ankunfts­zentrum
    Foto: Johan Eklund

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    Mitten in der Stadt, aber temporär: das Ankunfts­zentrum

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    Die Präsenz des Fremden: „Kabul Time“ heißt die In­stallation von Jens Haaning vor der Station Triangeln.
    Foto: Ricard Estay

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    Die Präsenz des Fremden: „Kabul Time“ heißt die In­stallation von Jens Haaning vor der Station Triangeln.

    Foto: Ricard Estay

Malmö – Schwedens Arrival City

Bis Anfang 2016 hat Schweden mehr Asylsuchende aufgenommen als jedes andere europäische Land. Viele von ihnen blieben in Malmö, allein 31.000 unbegleitete Kinder und Jugendliche leben heute in der 278.000-Einwohner-Stadt. Bei der Bewältigung der Aufgaben hat Malmö vieles richtig gemacht – vor allem durch die Ver-bindung von Stadtentwicklung mit Integrationsbemühungen

Text: Waern, Rasmus, Stockholm

Die Brücke über den Öresund, die Kopenhagen und Malmö verbindet, war für Flüchtlinge die letzte Hürde auf ihrem gefährlichen Weg, eine sichere Passage nach Schweden ­– allerdings nur bis Anfang des Jahres 2016, als die Regierung die Brücke mit einem Seil absperren und kontrollieren ließ. In den beiden letzten Monaten vor diesem dramatischen Politikwechsel kamen über 80.000 Flüchtlinge auf der Suche nach Asyl in Schweden an, mehr als in jedem anderen Land Westeuropas, auch mehr als in Deutschland (mit 37.500 Flüchtlingen pro Monat). Die meisten, Kinder wie Erwach­sene, zogen nach Norden weiter, aber ein Gutteil blieb in Malmö hängen. Die Stadt ist mit dieser extremen Situation recht gut fertig geworden, zumindest, was die Frage der Unterbringung betrifft.
Wer heute in Schweden Asyl begehrt, kann auf drei unterschiedliche Weisen untergebracht werden: in einem von der Einwanderungsbehörde oder von Privaten betriebenen Gebäude, im Übergangsheim oder zuhause bei Freunden und Verwandten des Flüchtlings. Eine freie Wahl des Wohnorts besteht nicht, aber einmal in der Stadt gemeldet, erwirbt man ein Bleiberecht. Das ist einer der Gründe für die ungewöhnlich hohe Asylbewerberzahl. Ein weiterer Grund ist die große Anzahl an unbegleiteten Minderjährigen. Die Regel heißt: Dort, wo sie zum ersten Mal mit schwedischen Behörden in Berührung kommen, sollen sie auch beherbergt werden. Oft ist das eben in Malmö. 31.000 Kinder und Jugendliche kamen 2015 nach Malmö, das sind mehr als fünf mal soviel wie im Jahr 2014. Die Stadt Mölndal bei Göteburg liegt mit knapp 4000 unbegleiteten Minderjährigen an zwei­-ter Stelle der Beliebtheitsskala.
Der Hauptgrund für die relativ gute Bewältigung der Situation: Malmö ist eine wachsende Stadt. Prognostiziert wurde ein jährliches Wachstum der 278.000-Einwohner-Stadt um 5500 Personen. Am Jahresende 2015 wurde neu gerechnet und man hat die Zahlen fast verdoppelt. Allerorten wird gebaut. Das eröffnet Chancen, auch diejenigen zu behausen, die für die Kosten der Unterkunft nicht selbst aufkommen können.
Unabhängig vom regulären Wohnungsbau war und ist es auch weiter­hin notwendig, temporäre Unterkünfte für anerkannte Asylbewerber zu errichten. Die Stadt Malmö suchte nach Flächen für behelfsmäßige Unterkünfte, die so temporär wie nur möglich sein sollten und fand eine Lösung: Man nahm teure und begehrte Grundstücke, die prädestiniert für eine lukrative Bebauung sind, und widmete sie vorübergehend um. Auf diese Weise wurden Flächenreserven, die für eine spätere Entwicklung vorgehalten wurden, als Standorte für eine Zwischennutzung als Flüchtlingsheime ausgewählt, sagt Christer Larsson, Leiter der Stadtplanung von Malmö.
Schwarzmarkt für Wohnungen
Darüber hinaus wird einer bestimmten Anzahl von Flüchtlingen jährlich von der Stadt zugesichert, sich ihren Wohnsitz im Stadtgebiet selbst suchen zu können. Für das Jahr 2016 waren das 488 Personen, denen die Stadtverwaltung Wohnraum und Schulplätze für die Kinder zur Verfügung stellen wollte. Zugleich bewerkstelligte die Stadt die Unterbringung von 205 unbegleiteten Minderjährigen. Alles in allem haben so einige tausend Flüchtlin­-ge ihre Bleibe in Malmö gefunden. Aber dieses Bleiberecht ist nicht ohne Probleme; wie überall, wenn die Nachfrage größer als das Angebot ist, steigen auch die Preise. Der Run auf Malmö hat einen Schwarzmarkt für Anwartschaften auf Wohnraum geschaffen, mit dem die Stadt erst lernen muss, umzugehen. Ganz wesentlich für eine kontrollierte Entwicklung ist dabei die Versorgung der Flüchtlinge mit regulären Wohnungen, aber auch das Wissen, was genau vor sich geht. Daran arbeiten zwei engagierte Scouts der Stadt, die mit dem aktuellen Marktgeschehen vertraut sind. Ihre Kenntnisse machen es den Behörden leichter, Neubauten als vorü­bergehende Unterkünfte nutzen zu lassen.
Der schwedische Wohlfahrtsstaat hat immer auf den allgemeinen Wohnungsmarkt gesetzt und den Bau von Sozialwohnungen vermieden. Allerdings ruft die aktuelle Lage nach neuen Lösungen: Es gibt einfach zuviele Nachfrager, die zu arm sind, um Marktpreise bezahlen zu können. Malmö hat dafür ein eigenes Modell geschaffen, bei dem jeder Grundstücksentwick­ler, der Land von der Stadt erwirbt, sich verpflichtet, zehn Prozent der Wohnungen unter Marktpreis anzubieten.
Zusammen mit der Gewährung von Wohngeld durch die Kommune stehen diese Häuser den Flüchtlingen dann für eine befristete Zeit zur Verfügung, und später, vorausgesetzt alles entwickelt sich gut, kann der befristete in einen unbefristeten Mietvertrag umgewandelt werden. Dieses rollierende System macht nicht nur diese Wohnungen bezahlbar. Weil die Beihilfen befristet sind, werden auch die üblichen Risiken und Defizite stigmatisierter Quartiere umgangen. Die Regelung hat eine derart breite Akzeptanz in der Immobilienwirtschaft gefunden, dass gegenwärtig sogar eine Erhöhung dieser „Sozialwohnungen“ auf 20 Prozent im Gespräch ist.
Möglichkeitsräume
Wenn das Wohnen das Hauptproblem darstellt, gibt es natürlich auch einen großen Bedarf an institutioneller Hilfe für eine selbstständige Lebensführung und den Entwurf einer Zukunftsperspektive. Diesem Ziel diente auch der Architektenwettbewerb „Opportunity Spaces“, ausgelobt vom Van Alen Institut mit der Unterstützung von White Arkitekter, der Stadtverwaltung von Malmö, Skanska, dem Schwedischen Architektenverband und von IM, einer der zahlreichen NGOs, die in der Flüchtlingshilfe arbeiten. Das Wettbewerbsgebiet liegt in einem Teil der Stadt, wo Randbereiche mit der Innenstadt verknüpft werden könnten. Nicht nur Einrichtungen für Flüchtlinge könnten hier entstehen, sondern zugleich weniger attraktive Teile der Stadt aufgewertet und der Integrationsprozess allgemein gefördert werden. Der Wettbewerb, dessen Ergebnis im Januar 2017 verkündet wird, hat mit mehr als 70 Teilnehmern großen Anklang gefunden. Die Wettbewerbs­aufgabe bestand nicht nur darin, „baulich-räumlich eine mobile Struktur für Einrichtungen der Bildung, der sozialen Teilhabe und der Arbeitsberatung sichtbar und erreichbar für Arbeitsuchende zu schaffen“, sondern auch neue Wege aufzuzeigen, wie man am Sozialkapital der Bewohner und am Image der Stadt arbeiten und die öffentlichen Angebote ausbauen kann.
Malmö hat vieles richtig gemacht, ist aber sicher nicht der seligmachende Rettungshafen für Flüchtlinge. Gesundheitswesen, Schule, Polizei und Justiz sind einer deutlichen Belastung ausgesetzt. Die vielen Analphabeten unter den Neuankömmlingen sind nicht das einzige Hindernis. Das gesamte Schulsystem droht instabil zu werden, und das war auch einer der vielen Gründe, warum der frühere Bürgermeister Ilmar Reepalu von den schwedischen Sozialdemokraten, seines Zeichens Architekt, bereits vor einigen Jahren nach einem Moratorium für die Zuwanderung von Flücht­lingen gerufen hat. Das System brauche Luft zum Atmen, war sein Argument, aber der strittige Vorschlag wurde nicht angenommen.
Gegen die Trumpifizierung
Heute geht es in Malmö eher darum, der Mittelschicht ihre Ängste zu nehmen. Um einer „Trumpifizierung“ vorzubeugen, bei der Mauern in den Köpfen zwischen uns und denen gebaut werden, muss die Zivilgesellschaft den Dialog verstärken und so früh wie möglich auf diese Tendenzen reagieren. Stadtentwicklung könnte die Gemeinschaftsbildung fördern, das war auch die Agenda von Reepalu. Ein Energieversorgungsunternehmen der Stadt wurde verkauft, die Erlöse wurden in die Gestaltung von Freiflächen investiert, aber auch in die große Veranstaltungs- und Konzerthalle Malmö Live. Die Stadt gehört allen, und diese Investitionen kommen allen zugute.
Seitdem Ilmar Reepalu 2013 von der lokalen Bühne abgetreten ist, ging der Fokus vermehrt in Richtung vernachlässigter Nachbarschaften. Aber nur eine Kombination von Stadtentwicklung und Integrationsbemühungen kann einen Wandel bewirken, führt Stadtplanungsamtsleiter Christer Larsson weiter aus. Er verweist auf eine Installation, bei der die Menschen eingeladen sind, lange Bänder aneinanderzuknüpfen, um symbolisch öffentlichen Raum zu schaffen. So waren plötzlich 15-jährige Kids ernsthaft mit der Transformation der Stadt beschäftigt. Auch das ist ein Weg, Haltungen und Einstellungen zu verändern, sagt Larsson.
Eine Stadtverwaltung kann Vieles organisieren, aber die Probleme, die aus den Mini-Einkünften der Ankömmlinge erwachsen, überschreiten ihr Vermögen. Um allen angemessenes Wohnen zu ermöglichen, ist die finanzielle Unterstützung der Bedürftigen durch den Staat von Nöten. Das bisherige System der Subventionen großer Wohnungsbauunternehmen erhöht nur deren Profit. Etwas anderes ist es, wenn jemand, solange er ökonomisch noch nicht in der Lage ist, seine Miete zu zahlen, finanziell vom Staat unterstützt wird. In der Region um Malmö gibt es durchaus eine Nachfrage nach Arbeitskräften, etwa in der Landwirtschaft. Ein Schwerpunkt der Flüchtlingsarbeit liegt daher auf dem Zusammenbringen von neuen Jobs mit neuen Einwohnern. Dabei spielen die NGOs ein große Rolle. Rosens röda matta, der rote Rosenteppich im Plattenbauviertel Rosengård (Heft 15–16.2012), ist ein Ergebnis dieser Bemühungen, bei der eine NGO „textile“ Fähigkeiten bei den Zugewanderten entdeckte und die Stadt den Pro­duktionsort zur Verfügung stellte. Eine andere NGO, die sich auf neue Jobs konzentriert, ist Good Malmö. Sie vermittelt Arbeitsplätze jeweils für ein Jahr. Für die meisten wird es die erste Zeile ihres professionellen Curriculum vitae sein. Damit beginnt die Teilhabe an der Gesellschaft.
Übersetzung aus dem Englischen: Michael Goj

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