Bauwelt

Europa an der Świdnicka

Das Warenhaus Solpol, einst gefeierte Ikone der Nachwendezeit, ist von Abriss bedroht. Die Wertschätzung, die wichtige Bauten der Spätmoderne in Wrocław allmählich wieder erfahren, muss für ihre postmodernen Nachfolger erst noch erkämpft werden

Text: Klein, Lidia, Durham (USA)

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    Sollte einen Hauch von kalifornischer Lässigkeit in die Einkaufsmeile von Wrocław bringen: das Kaufhaus Solpol von Wojciech Jarząbek Architekten.
    Foto: Maciej Lulko

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    Der Schlüsselbau der polnischen Postmoderne steht seit Jahren leer, als Symbol der wild ­euphorischen Wendejahre würden ihn viele am liebsten beseitigen.
    Foto: Maciej Lulko

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    Nördlich der Altstadt, in der Odervorstadt (Nadodrze) suchten ab den späten achtziger Jahren private Architekturbüros ihren Weg in die Marktwirtschaft – voller Enthusiasmus für die Postmoderne. Ein kommunales Programm zur Baulückenschließung bot unterschiedlichsten Temperamenten die Chance zur Entfaltung.
    Foto: Maciej Lulko

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    Nördlich der Altstadt, in der Odervorstadt (Nadodrze) suchten ab den späten achtziger Jahren private Architekturbüros ihren Weg in die Marktwirtschaft – voller Enthusiasmus für die Postmoderne. Ein kommunales Programm zur Baulückenschließung bot unterschiedlichsten Temperamenten die Chance zur Entfaltung.

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    Baulückenschluss in Nadodrze
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Europa an der Świdnicka

Das Warenhaus Solpol, einst gefeierte Ikone der Nachwendezeit, ist von Abriss bedroht. Die Wertschätzung, die wichtige Bauten der Spätmoderne in Wrocław allmählich wieder erfahren, muss für ihre postmodernen Nachfolger erst noch erkämpft werden

Text: Klein, Lidia, Durham (USA)

Auf der Weltkarte der postmodernen Architektur ist Polen ein blinder Fleck, genauso wie andere Länder, die nicht direkt zum Zentrum des globalen Nordens zählen. Die Postmoderne ist hier eine Epoche, die bis hinein in ihre jüngste Wiederbelebung von den meisten Historikern schamhaft verschwiegen wurde. Das ist schon deshalb zu bedauern, weil allein mit den nordamerikanischen und westeuropäischen Beispielen das weltweite Konto der Postmoderne unvollständig bleibt. Vor allem aber würde eine Beschäftigung mit den weniger bekannten Gegenden eine „Komplexität und Widersprüchlichkeit“ postmoderner Architektur zu Tage fördern, die die kanonisierten Beispiele von Robert Venturi oder Charles Jencks nicht aufweisen. Womöglich könnte eine solche Forschungsarbeit unsere allseits festgefügten Ansichten über das Phänomen Postmoderne erschüttern.
Da wäre etwa festzuhalten: Nicht überall folgte die Postmoderne der „Logik des Spätkapitalismus“, wie es das berühmte Diktum von Fredric Jameson postuliert. Sie konnte ebenso gut Ausdruck des „Spätsozialimus“ sein, wie etliche polnische Beispiele belegen. Genannt seien hier Wohnsiedlungen wie Ursynow in Warschau (Marek Budzynski Architekten) oder Radogoszcz Wschod in Łódź (Jakub Wujek Architekten), die in den siebziger und achtziger Jahren der realso­zialistische Staat in Auftrag gegeben hatte. Dort wurden postmoderne Ideen und Formelemente auf die eindeutig moderne Technologie des Platten-Montagebaus übertragen, quer gegen jeden „reinen“ oder „ehrlichen“ Stil. Und schon verschwimmen die Grenzen, die uns immer anzeigten, was wir modern und was wir postmodern ­zu nennen haben.
Als in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre postmoderne Ideen Eingang in den polnischen Architekturdiskurs fanden, wurden sie als ein probates Gegenmittel gegen die Bausünden des Schematismus und der Anonymität begrüßt, die die Spätmoderne in den Städten angerichtet hatte. Bei Czesław Bielecki und einigen anderen Architekten war die Postmoderne mit starken anti-sozialistischen Ressentiments konnotiert. Andere Planer (wie etwa Budzynski) hofften, mit ihr bei der Suche nach einer alternativen Stadtplanung einen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus aufspüren zu können. An dieser Stelle muss allerdings gesagt werden, dass gerade polnischen Architekten das postmoderne Revival historischer Formen und Typologien eigentlich bekannt vorgekommen sein sollte. Man brauchte sich doch nur zu erinnern, was in den fünfziger Jahren alles unter der Dok­­trin des Sozialistischen Realismus gebaut worden war. Postmoderne in Polen lässt sich also bei­leibe nicht als bloßer Import aus dem Ausland abtun. In etlichen Fällen ist es eine Fortschreibung von Formen und Ideen, die schon genuin in der Volksrepublik präsent waren.
Nach 1989, als auch die Architektur in die freie Marktwirtschaft eintrat, verloren staatliche Bauaufträge ihre dominante Stellung zugunsten freier Investoren. Die polnische Postmoderne durchlief eine neue Phase und wurde architektonischer Ausdruck der turbulenten Zeiten des Frühkapitalismus. Solpol, ein Warenhaus in Wroc­ław, wurde zur Ikone, die diesen Wandel reflektiert. 1991 geplant, 1993 eröffnet und durch den Medienzar Zygmunt Solorz-Żak bestellt, sollte sich der Bau ausdrücklich in die Tradition repräsentativer Warenhaus- und Geschäftshausarchitekturen des alten Breslau einreihen. Er besetzt eine entsprechend prominente Stelle an der Einkaufsmeile Świdnicka, umgeben von historischen Bürgerhäusern und unmittelbar neben der gotischen Dorotheen-Kirche. Bei allem Respekt vor Maßstab und Volumen seiner Umgebung setzt seine expressive, skulpturale Fassade mit ihren Farben und Materialien doch einen scharfen Kontrast.
Das Volumen steht auf einem leicht verzogenen Rechteck. Die beiden Schauseiten des Eckgebäudes sind bestimmt durch der Fassade ­vorgesetzte Risalite, die wie Treppen an ihr hochsteigen und zur Ulica Świdnicka hin in einer ­gläsernen Variante ausgeführt sind. Die Ecke markierten die Architekten mit einem oktogo­na­len Turm, im oberen Teil vollverglast und recht schmal, die untere Hälfte voluminöser und mit Keramik verkleidet. Hier flankieren zwei dicke türkisblaue Säulen den Eingang in das Warenhaus. Die Formenvielfalt der Fassaden wird durch die Farbigkeit der verwendeten Materialien noch verstärkt – Keramikplatten in Grau, Rosa und Beige werden mit Stahlelementen in Magenta, Türkis und Violett konfrontiert.
Die fehlende Rechtwinkligkeit, vor allem aber das gewagte Farbspektrum lassen an Entwürfe von James Stirling oder die kalifornische Lässigkeit eines Michael Graves denken. Der Öffentlichkeit war diese Ästhetik längst aus amerikanischen Filmen und TV-Serien à la Miami Vice vertraut. Solpol kam als blühendes Bild eines idealisierten Westen daher. Dieser Aspekt tauchte denn auch in vielen Artikeln anlässlich der Eröffnung des Kaufhauses auf, der eine glanzvolle ­Zeremonie mit den örtlichen Größen vorangegangen war. Unter der vielsagenden Überschrift „Europa an der Ulica Świdnicka“ lobte ein Journalist Solpol für den Standard, „den wir sonst nur aus den Kaufhäusern und Geschäften westlich der Oder kannten“. Einer Kollegin ging es um die wilden Horden, die in den neuen Laden einfielen, und sie vermutete, dass die allermeisten wohl nicht zum Einkaufen, sondern zur Bewunderung des kühnen Entwurfs gekommen waren. Die ­attraktivste „Ware“ des Warenhauses Solpol war demnach das Gebäude selbst – ein Phänomen, das nun doch eine innige Beziehung von Postmoderne und Konsum nahelegt.
Zwanzig Jahre später lässt sich die enthusiastische Aufnahme solcher Architektur kaum noch nachvollziehen. Heute steht das Gebäude leer und ist zum Abriss freigegeben. Schon 2009 machten erste Meldungen über einen möglichen Abriss die Runde. 2013 wurde die Entscheidung offiziell bekannt. Zu Beginn des Jahres 2015 beantragten Unterstützer, dem Bauwerk den Denkmalstatus zuzuerkennen, aber im Juli desselben Jahres wies der Oberkonservator der Woiwodschaft die Eingabe zurück.
Während die meisten Architekten und Fachkritiker Solpol als extravaganten Beleg für die Wirren der frühen neunziger Jahre verteidigen, wird es von Bürgern Wrocławs als „Alptraum“ bezeichnet, als „abstoßendes“ und „widerliches“ Beispiel der „Wende-Postmoderne“ oder gleich als „Inkarnation des Bösen“, so etwa das Vokabular aus einem Internet-Forum, in dem die Zukunft des Kaufhauses diskutiert wurde. Einst als ar­chitektonischer Schachzug und bewundertes ­Zeichen von westlichem Luxus gefeiert, wurde Solpol nun zu einem peinlichen Exempel für ­die Plumpheit der wilden Nachwendezeit – einer Epoche, die Polen genau so gerne vergessen würde wie die baulichen Zeugnisse aus dieser Zeit.
Aus dem Englischen von Michael Goj

Adresse Wroclaw


aus Bauwelt 38.2016
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