Bauwelt

Bewegung als ziviler Ungehorsam – Migration und Solidarität auf Lesbos

Eine Gruppe junger Wissenschaftler hat die temporäre Infrastruktur der humanitären Hilfe auf Lesbos kartiert. Ohne das ehrenamtliche Engagement von Freiwilligen wäre das Chaos rund um Versorgung, Unterbringung und Transport von Flüchtlingen nicht zu bewältigen – weder von den kapitalstarken NGOs noch vom griechischen Staat.

Text: Akawi, Nora, New York; Kolowratnik, Nina V., Wien; Pointl, Johannes, Wien; Rega, Eduardo, Madrid

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Abb.: Nora Akawi, Nina V. Kolowratnik, Johannes Pointl, Eduardo Rega

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Bewegung als ziviler Ungehorsam – Migration und Solidarität auf Lesbos

Eine Gruppe junger Wissenschaftler hat die temporäre Infrastruktur der humanitären Hilfe auf Lesbos kartiert. Ohne das ehrenamtliche Engagement von Freiwilligen wäre das Chaos rund um Versorgung, Unterbringung und Transport von Flüchtlingen nicht zu bewältigen – weder von den kapitalstarken NGOs noch vom griechischen Staat.

Text: Akawi, Nora, New York; Kolowratnik, Nina V., Wien; Pointl, Johannes, Wien; Rega, Eduardo, Madrid

Die meisten Flüchtlinge, die im Sommer 2015 über die Türkei geflohen waren, kamen an der Nordostküste der griechischen Insel Lesbos an, etwa siebzig Kilometer von der ersten Registrierungsstelle im Hafen von Mytilene entfernt. Den auf Lesbos eintreffenden Flüchtlingen war es nicht erlaubt, Busse oder Taxis zu benutzen oder in Hotels unterzukommen. Die wenigen Busse, die von der Gemeinde, der Hafenbehörde, Ärzte ohne Grenzen (MSF) und dem UNHCR organisiert wurden, konnten die meisten Menschen, die sich entlang der Straße zu Fuß auf den Weg gemacht hatten, nicht mitnehmen. Inselbewohner und Touristen, die Flüchtlinge in ihren privaten Fahrzeugen nach Mytilene brachten, wurden inhaftiert. Der Fußweg über die Insel zur Registrierungsstelle nimmt ungefähr zwei Tage in Anspruch.

Hilfe vom Küchentisch aus organisiert

Der Priester und Aktivist Efstratios Dimous, besser bekannt als Papa Stratis, rief in Kalloni, einem Ort mit 2000 Einwohnern in der Inselmitte, die Organisation Agkalia ins Leben. In Zusammenarbeit mit einheimischen Freiwilligen, Ärzten, Taxifahrern, Polizeibeamten und anderen stellte Agkalia den Flüchtlingen, die von den staatlichen Hilfsmaßnahmen nicht erfasst worden waren, Transportmöglichkeiten, Ruheplätze, Nahrung und eine medizinische Grundversorgung zur Verfügung. Am Küchentisch von Papa Stratis, der Agkalia mit Hilfe der Einwohner von Kalloni und Spenden gegründet hatte, lief die Kommunikation zusammen. Auf dem Vorplatz seines Hauses lagerten die gespendeten Hilfsmittel. Als die Organisation wuchs, wurde ihr Büro in einen leerstehenden Laden im Zentrum von Kalloni verlegt. Auf dem Weg nach Mytilene konnten die Flüchtlinge dort auch übernachten und wurden mit Matratzen und Decken versorgt. Agkalia war Teil eines rasant wachsenden Netzwerks von Aktivisten und Freiwilligen, die sich zusammengefunden hatten, um Flüchtlingen zu helfen. Dank ihrer Flexibilität, in einem sich ständig verändernden Kontext schnell reagieren zu können, und durch das weitreichende Netzwerk von Papa Stratis’ Freiwilligen unter den Inselbewohnern, konnte Agkalia die Lücke füllen, die sich zwischen staatlichen und internationalen Hilfsorganisationen aufgetan hatte.

Unangemessenes Verhalten der Nationalstaaten

Das Projekt „Bewegung als ziviler Ungehorsam – Migration und Solidarität auf Lesbos“ beschäftigt sich mit den lokalen Organisationen, die mit ihrer Menschenrechtsarbeit das Freizügigkeitsrecht von Flüchtlingen auf dem Fluchtweg von der türkischen Küste über Lesbos in den Norden Europas unterstützen. Mit diesem Projekt wollen wir die Spannungen darstellen, die durch die verstärkte Abschottung der Nationalstaaten und die Veränderungen an den Grenzen entstehen. „Bewegung als ziviler Ungehorsam“ zeigt, warum die Grenzpolitik der Nationalstaaten und der damit verbundene Regulierungsversuch von Migration angesichts der Menschenrechtsverletzungen und der gewaltsamen Vertreibung völlig unangemessen ist.

Kartierung in zeitlichem Abstand

Unsere Karten veranschaulichen die Maßnahmen der Akteure in drei verschiedenen Zeitabschnitten: Im August 2015, als die Zahl der auf Lesbos eintreffenden Flüchtlinge die staatlichen Hilfseinrichtungen und Freiwilligenorganisationen an ihre Kapazitätsgrenzen brachte, hat das Projektteam erstmals Untersuchungen auf Lesbos durchgeführt. Im Herbst 2015, kurz bevor die Zahl der täglich ankommenden Menschen mit 2000 ihren Höhepunkt erreichte, kehrten wir nach Lesbos zurück. Während der dritten Dokumentation kam es im Frühjahr 2016 zum Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei, das schließlich dazu führte, dass die Zahl der täglich eintreffenden Flüchtlinge zurückging.
Auf der Grundlage von Interviews, Untersuchungen vor Ort und Raumanalysen von Lagern, Registrierungsstellen, medizinischen Zentren, Transporteinrichtungen und anderen Infrastrukturen stellen wir die Netzwerke für humanitäre Unterstützung, ihre Organisation und ihren Aufbau dar. Wir haben während der Besuche im August und im November 2015 mit den Verantwortlichen von Freiwilligeninitiativen wie Lesvos Solidarity und Starfish Foundation Interviews geführt. Zu den Befragten gehört auch Tamir*, ein syrischer Flüchtling, der auf seinem Weg nach Deutschland in Lesbos eintraf und in Griechenland Asyl beantragt hat. Er ist nun als humanitärer Helfer beim Roten Kreuz in Lesbos tätig. Außerdem Stavros*, ein Mitarbeiter einer Regierungseinrichtung vor Ort, der neu eingetroffene Flüchtlinge versorgt, sowie Cecile und Pierrick*, ein französisches Ehepaar, die sich nach ihrer Pensionierung in Griechenland niedergelassen haben und in einer der NGOs der Insel als Freiwillige arbeiten. Die Besichtigungen und die Dokumentation waren wesentlich, um die Komplexität der räumlichen und zeitlichen Aspekte an den einzelnen Orten zu verstehen. Die entstandenen Karten und Abbildungen enthalten nicht alle Akteure, vielmehr wird ein Querschnitt relevanter Hilfsorganisationen gezeigt, die die Flüchtlinge auf ihrem Weg von der Küste bis zur Abfahrt im Hafen von Mytilene unterstützten.

Kapitalstarke NOGs kontra Freiwilligenhilfe

Es werden nicht nur die Expansion, Entwicklung, Organisation und der Aufbau von unabhängigen Initiativen und Freiwilligengruppen dargestellt, sondern auch Bereiche und Lücken, die die offiziellen staatlichen Einrichtungen und internationalen NGOs nicht abdecken. Das dynamische und kaum überschaubare Netzwerk aus Organisationen und Akteuren, wie es sich seit dem Sommer 2015 bis heute (dazu gehören auch die Rettungsmaßnahmen auf dem Wasser zwischen der türkischen Küste um Izmir und Lesbos) herausgebildet hat, haben wir in einer Darstellung zusammen­geführt. Sie soll auf abstrakte Weise die Verwandlung der Insel in einen Ort des Transits widerspiegeln. Dabei wird sowohl der Unterschied zwischen Eigeninitiativen, Freiwilligengruppen, offiziellen Regierungs- und inter­nationalen Nichtregierungsorganisationen herausgearbeitet, als auch der Unterschied zwischen Infrastrukturen, Aktionen und Aktivitäten, die das Vorankommen der Flüchtlinge erleichtern sollten – und jenen Maßnahmen, die lediglich darauf ausgerichtet waren, die eintreffenden Flüchtlinge zu erfassen, zurückzuhalten und einzugrenzen. Die Karten führen insofern auch vor Augen, was die kapitalstarken offiziellen Hilfsorganisationen aufgrund ihrer bürokratischen Struktur nicht bewältigen und was Freiwillige mit zum Teil minimalen Budgets zu leisten in der Lage sind.
Aus dem Englischen von Jeremy Gaines
SIKAMINEA BUSHALTESTELLE - NOVEMBER 2015
Auf einem eingezäunten Fußballplatz werden Flüchtlinge aus dem Hafen von Skala Sikaminea und den beiden angrenzenden Camps, die von Lighthouse und Platanos betrieben werden, untergebracht. Der UNHCR hat die Infrastruktur bereitgestellt und eine Vereinbarung mit der Gemeinde Sikaminea getroffen. Betreiber sind Eurorelief mit Unterstützung von WAHA und Samaritan Purse.
HAFEN VON MYTILENE - JUNI 2016
Vom Hafen Mytileni fahren Fähren zu den naheliegenden griechischen und türkischen Inseln und nach Piräus, Athen und Thessaloniki. Am Hafen gibt es eine Anlegestelle für Rettungsboote, außerdem die Büroräume der griechischen Hafenbehörde Hellenic Coast Guard. Nach dem EU-Türkei-Abkommen vom 18. März 2016 wurden Flüchtlinge, deren Antrag auf Asyl abgelehnt worden war, von Mytilene mit Fähren in die Türkei abgeschoben. Die Zahl der Flüchtlinge, die eine Reiseerlaubnis erhielten und nach Athen weiterreisen durften, war stark rückläufig. Viele warten noch immer auf ihre Abreise.
HAFEN VON MOLYVOS - AUGUST / NOVEMBER 2015 / JUNI 2016
Im Hafen von Molyvos an der Nordküste von Lesbos landete der größte Teil jener Flüchtlinge, die von der türkischen Küste kamen. Schiffe der Hellenic Coast Guard legten hier nach Rettungsaktionen an und auch Schlau l. Melinda McRostie, die Besitzerin des Restaurants Captain’s Table, war maßgeblich für die Unterstützung der Flüchtlinge. Sie gründete die Starfish Foundation, sorgte für Transporte, die Erfüllung von Grundbedürfnissen und half Tausenden auf ihrem Weg vom Strand zum Aufnahmelager, welches auf einem Parkplatz des Oxy Nightclubs in der Nähe von Molyvos eingerichtet worden war.
PIKPA - AUGUST / NOVEMBER 2015 / JUNI 2016
Pikpa war früher ein Kinderferienlager und ist nun ein Flüchtlingslager in Mytilene, das von der Aktivistengruppe Lesvos Solidarity und Freiwilligen ins Leben gerufen wurde. Besonders Hilfsbedürftige – Familien mit Kindern, Schwangere, Ältere, Personen mit medizinischen oder physischen Problemen und Familienangehörige von Ertrunkenen – werden nach Pikpa weitergeleitet, wo Freiwillige Unterkunft, medizinische Versorgung, Nahrungsmittel, Sprachkurse und Rechtsberatung zur Verfügung stellen. Flüchtlinge die nach Pikpa kommen, bleiben gewöhnlich zwischen einer Woche bis zu mehreren Monaten auf der Insel.
MORIA - NOVEMBER 2015
Das Moria Camp wurde 2014 mit finanzieller Unterstützung der EU und der griechischen Regierung auf einer ehemaligen Militärbasis eingerichtet. Mitte Oktober richtete die EU mit Personal von Frontex, der europäischen Grenz- und Küstenwache, im Moria Camp einen “Hot Spot” für die Erfassung, Identifizierung und Registrierung von Asylsuchenden ein. Anstatt den Registrierungsprozess zu beschleunigen, führten die strengeren Erfassungsmaßnahmen in Verbindung mit einer höheren Anzahl eintreffender Flüchtlinge zu einem nicht mehr zu bewältigenden Andrang von Menschen. Der Rückstau verursachte lange Wartezeiten.

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