Bauwelt

Die Welt als Display

Wie Augmented Rea­lity das Entwerfen, Planen und Bauen verändert

Text: Tessmann, Oliver, Darmstadt; Kazemi, Lila Panahi, Darmstadt

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Die Welt als Display

Wie Augmented Rea­lity das Entwerfen, Planen und Bauen verändert

Text: Tessmann, Oliver, Darmstadt; Kazemi, Lila Panahi, Darmstadt

Augmented Reality (AR) ist die computergestützte Erweiterung unserer Realitätswahrnehmung. Informationen in Form von Daten, Texten, Bildern und Diagrammen überlagern die physische Welt und werden in Bezug zum jeweiligen räumlichen Kontext dargestellt. AR-Anwendungen sind heute in der Spieleindustrie populär, kommen aber auch in der Medizin, der Archäologie, im Katastrophenmanagement, der Navigation und der Kunst zum Einsatz.
Ivan Sutherland, der als Vater der Computergrafik gilt, hat 1962 mit Sketchpad nicht nur ein CAD-System erfunden, sondern auch das erste Head-Mounted-Display, die so genannte Video-Brille, als Schnittstelle zu Virtual Reality (VR) und zu AR. Mehr als diesen Ursprung scheinen CAD und AR bislang nicht gemein zu haben. CAD steht in der Tradition der Zeichnung, die vom zweidimensionalen Zeichentisch auf den genauso ebenen Computerschirm transferiert wird. Die Trennung zwischen dem zeichnerischen Entwerfen und dem Bauen setzt sich mit der Computerzeichnung fort. Das Medium prägt das gestal­te­rische Denken von Architekten. Die Dreitafelprojektion dekonstruiert das Gebäude in drei Ebenen. Es setzt sich erst im Kopf des geschulten Betrachters wieder zusammen. Aspekte jenseits von Geometrie, wie Material, Tragverhalten und Bauprozess sind nicht Bestandteil dieser Zeichnungen. Sie werden lediglich über Symbole in die Zeichnungen kodiert.
Von der Zeichnung zum digitalen Modell
In den neunziger Jahren setzte sich die Entmaterialisierung durch das Digitale zunächst fort. Die „Paperless Studios“ an der Columbia University in New York zielten darauf ab, Architektur nur noch im Computer zu entwerfen. Das Virtuelle erhielt durch Projekte wie Hani Rashids digitale Welten für die New Yorker Börse und das Guggenheim Museum Einzug in die Architektur. ­Mit dem Platzen der dot.com-Blase zu Beginn des 21. Jahrhunderts und den Projekten von Frank Gehry entstand ein neues Interesse an der Umsetzung der digitalen Konzepte in gebaute Rea­lität. Gleichzeitig erlaubte das computergestützte Herstellen (CAM) eine engere Verzahnung von digitalen Entwürfen und ihrer Materialisierung.
Aus CAD wurde computerbasiertes Entwerfen. Rechenleistung diente fortan nicht mehr nur dem Zeichnen, sondern auch der Formgenerierung und der Simulation. Modelle wurden mit In­formationen jenseits geometrischer Repräsentation erweitert (augmented). Inzwischen müssen Entwurfsprozesse nicht mehr linear verlaufen, sie werden zu digitalen Systemen. Eingabewerte gelten als dynamische Parameter, die digitale Modelle verändern können. Statt einzelner Lösungen erfinden Architekten Möglichkeitsräume, in denen sich Entwürfe entwickeln. Feedback, Simulation und digitale Fabrikation ist damit die Technologie, die, intelligent und kreativ eingesetzt, die über 500 Jahre alte Trennung zwischen Entwerfen und Bauen künftig aufheben könnte.
AR in der Vermittlerrolle
AR als Technologie kann in diesen neuen digitalen Prozessen eine Vermittlerrolle spielen. Kommt AR beim Entwerfen und Planen zum Einsatz, kann sie mehr leisten, als virtuellen Raum in einem realen Kontext zu visualisieren. Vielmehr bietet AR die Möglichkeit Dinge sichtbar zu machen, die jenseits von Form, Geometrie und dem visuell Wahrnehmbaren liegen: nämlich die oben be­schrie­benen Simulationsdaten, die seit einigen Jahren unsere digitalen Modelle erweitern, aber auch Sensordaten wie Temperatur, Materialverhalten und Kraftfluss.
Mit derlei Informationen können wir das Computerdisplay als Schnittstelle und das digitale 3D-Modell als Medium hinter uns lassen. Das Gestalten mit dem Werkstoff Ton beispielsweise wird zum digitalen Entwurfsprozess: Man stelle sich vor, das physische Objekt wird permanent 3D-gescannt und als digitales Modell aufbereitet. Im Computer werden alle notwendigen Simula­tionen berechnet und visualisiert. Die Visualisierungen werden in Form von AR auf das tönerne Objekt projiziert und zeigen dem Entwerfenden, welche Konsequenzen seine intuitiven Entwurfsentscheidungen haben. Beim Zusammensetzen komplexer modularer Systeme, die mehr als eine Kombinationsmöglichkeit zulassen, kann AR nicht nur den nächsten Schritt einblenden, sondern wie ein Schachcomputer die nächsten kombinatorischen Möglichkeiten durchspielen und dreidimensional aufzeigen.
Echtzeit-Simulation und Sensorik erweitern heute schon die robotische und digitale Fabrika­tion. Maschinen arbeiten nicht mehr nur stur die Werkzeugpfade ab, die ihnen aus digitalen Modellen übermittelt werden, sondern können während der Fabrikation auf Materialeigenschaften und Toleranzen reagieren. Neue Sensorik lässt Roboter ihre Umwelt „wahrnehmen“ und macht damit ­die Kooperation von Mensch und Maschine erst möglich. Eine durch AR erweiterte Zusam­men­arbeit, hat das Potenzial die bislang getrennten Arbeitsschritte vom Entwurf bis zur Ma­teria­­li­sierung viel enger zusammenrücken zu lassen und sogar komplett miteinander zu verschmelzen.

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