1,5 Grad
Editorial
Text: Stumm, Alexander, Berlin
1,5 Grad
Editorial
Text: Stumm, Alexander, Berlin
Meteorologische Phänomene sind längst kein Verlegenheitsthema mehr, sondern bestimmen geopolitische Bruchlinien. Die Klimakonferenz der Vereinten Nationen COP28 hatte gerade erst begonnen, da entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, dass die Klimaschutzpoli-tik der Bundesregierung in mehreren Punkten rechtswidrig ist. Der Gebäudesektor verfehlt die gesteckten Minderungsziele von 5,5 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen pro Jahr um mehr als das Doppelte. Es ist offenkundig: Für die Klimaneutralität bis 2045 geht es nicht um kleinteilige Anpassungen in der Baupraxis, sondern es bedarf grundlegender Änderungen. Auch die derzeit von der Regierung geplante Abschaffung der Sektorziele zugunsten sektorübergreifender Berechnungen – ein Trick, der auf dem Papier, nicht aber in der Atmosphäre funktioniert – wird da-ran nichts ändern. Architektur ist Klima, wie es das Forschungskollektiv Mould im Einleitungstext auf den Punkt bringt.
Für ein Verständnis der größeren Zusammenhänge, in denen derzeit eine sozial- und klimagerechte Bauwende vollzogen werden soll, haben wir uns in der Wissenschaft umgehört. Aus ihr stammen viele Autoren und Autorinnen dieser Ausgabe. Gleichzeitig werfen wir einen Blick auf die Praxis, fragen die Stadt Konstanz, die als erste deutsche Gemeinde den Klimanotstand beschloss, nach messbaren Fortschritten und zeigen
eine Auswahl der unzähligen Projekte, die europaweit zur Klimawende beitragen wollen.
eine Auswahl der unzähligen Projekte, die europaweit zur Klimawende beitragen wollen.
Unterteilt ist die Ausgabe in drei große Themen: Gesellschaft, Biodiversität und Gesetze. Gesellschaftlich erleben wir tektonische Plattenverschiebungen: Die Milieus scheinen weiter auseinanderzudriften. Rechte Gruppierungen formieren sich gegen die Klimaziele und spielen dabei auf der althergebrachten Klaviatur von Ausbeutung und Rassismus, wie Matthias Quent in seinem Essay beschreibt. Dass die Stadtplanung einer Demokratisierung bedarf, die nicht wie in der Moderne üblich top-down, sondern kollaborativ gestaltet werden sollte, legen Roberta Burghardt und Anna Heilgemeir in ihrem Beitrag zu Community Based Design dar.
Wir sind der Meteor
Vor rund 66 Millionen Jahren verursachte ein Meteor, der vor der Küste des heutigen Mexikos einschlug, das Aussterben der Dinosaurier. Erdhistorisch betrachtet, befinden wir uns in der Zeit des sechsten großen Artensterbens. Jeden Tag sterben etwa hundertfünfzig Tier- und Pflanzenar-ten unwiederbringlich aus, was circa einer Million Arten bis 2040 entspricht. Der Verlust der Biodiversität ist eine Katastrophe an sich; sie gefährdet auch die Öko- und Klimasysteme und damit das Überleben des Menschen. Die Beiträge von Annette Voigt und Stefanie Hennecke sowie von Thomas E. Hauck und Wolfgang W. Weisser bringen die stadträumliche und architektonische Perspektive einer urbanen Artenvielfalt zusammen.
Eine für manche schmerzhafte Erkenntnis: Architektur allein wird es nicht richten. Wir brauchen Gesetze und ein regulatorisches Rahmenwerk, an die sich alle halten, und die gewisse wirtschaftliche Prinzipien zugunsten Gemeinwohlorientierung beschneiden. Das derzeit viel diskutierte Gesetz für eine kommunale Wärmeplanung ist für Elena Cantos ein erster wichtiger Schritt. Auch die Versiegelung soll gemäß politischem Willen bis 2050 auf „nettonull“, also der flächenmäßig gleichen Entsiegelung für Neuversiegelungen, sinken. Hendrik Jansen und Jan Matthias Stielike führen in ihrem Beitrag aus, wie eine Flächenkreislaufwirtschaft klappen könnte.
Wie eine Zukunft aussehen könnte, in der die Menschen auf den „techno-fix“, den Glauben an heilversprechende Technologien und kaum erprobte Geoengineering Strategien, setzen, zeigen Rania Ghosn & El Hadi Jazairy im Bildessay Geostories, der auch das Cover ziert.
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