Bauwelt

Lebendige Organismen – Bregenzer­wälder Bauernhäuser weiterbauen

Text: Aicher, Florian, Leutkirch

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

  • Social Media Items Social Media Items


Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

  • Social Media Items Social Media Items


Lebendige Organismen – Bregenzer­wälder Bauernhäuser weiterbauen

Text: Aicher, Florian, Leutkirch

Ist ein Haus ein Ding? Natürlich ist es das. Mit Dingen, mit Objekten repräsentieren wir die Welt. Und es scheint vor allem Repräsentation zu sein, was selbst dem einfachsten Wohnhaus mehr und mehr aufgebürdet wird – ob als englisches Landhaus, als Bauhaus-Villa oder als Toskana-Residenz.
Doch Haus und Bau sind mehr, wir wissen es seit langem. In seiner „Poesie des Raumes“ führt der französische Philosoph Gaston Bachelard (1884–1962) aus, „dass man das Haus recht eigentlich erst durch die kleinen Arbeiten erbaut, die zu seiner Erhaltung nötig sind, dass es erst dadurch seine ganze Wesensklarheit erhält. Häusliche Tätigkeit verbindet im Haus die nahe Vergangenheit mit der nahen Zukunft, sie bewahrt die Sicherheit seines Seins.“ Sein Bewohnen, sein Unterhalt und Bau bilden das Haus. „Bauen ist Wohnen“ und „Menschsein heißt Wohnen“, konstatierte Martin Heidegger in seinem Vortrag „Bauen Wohnen Denken“. Haus als bewohnter Raum ist, in den Worten Wolfgang Meisenheimers, „nicht – wie ein Ding – objektiv von uns gelöst, sondern handlungsbezogen“.
So kann es gar nicht verwundern, dass die Renaissance des Bauens, die uns seit einigen Jahrzehnten in Vorarlberg vorgeführt wird, ihren Ausgang im Wohnbau nahm – genauer im Wohnbau, den ein junges Publikum forderte, das andere Lebensformen suchte und das der Zumutung einer globalen Moderne eine eigene Baukultur entgegensetzten wollte. Pioniere waren das und Abenteurer, und es ist einer dieser Pioniere, der Architekt Roland Gnaiger, der heute beklagt, es habe sich eine gewisse Mattigkeit im Gesicherten breitgemacht. Das trifft besonders dort zu, wo das Haus zur Sache wird, die man fix und fertig hingestellt haben will: beim Neubau. Wo jedoch das Haus als lebendiger Organismus begriffen wird, zeigt sich der alte Pioniergeist – zunehmend lebhaft derzeit im Bregenzerwald.
Nun ist der Bregenzerwald eine Gegend, die ob ihrer alten Bausubstanz berühmt ist. Als man sich vor rund einhundert Jahren bäuerlicher Baukultur besann, wurde der Bregenzerwälder Bauernhof zum prächtigsten des Alpenraums erkoren. Doch heute hat man hier dieselben Probleme mit Strukturwandel der Landwirtschaft, Sanierungsbedarf im Altbestand und demografischem Wandel wie anderswo auch. Was den Unterschied macht: wie man damit umgeht. Man verschließt (nach einiger Zeit des Wegsehens) nicht mehr die Augen vor den Entwicklungen. Man ergeht sich nicht in Weltrettung, sondern nimmt sich vor, was der Fall ist. Man wendet sich – in bester bäuerlicher Manier – den Aufgaben zu, sucht Partner, umgeht Hemmnisse, hilft einander, nutzt Gelegenheiten. Ein solcher „Hausverstand“ hat auch die Politik erfasst.
Etwa mit dem Projekt „Alte Bausubstanz“. Beteiligt sind alle, die es angeht: Eigentümer und Bewohner, Repräsentanten sozialer Sonderinteressen wie Kleinkinderzieher oder Se­nioren, Gemeinden, Bürgermeister, Landesstellen und Regierungsmitglieder aus den Bereichen Raumplanung, Baurecht, Wohnbauförderung, Denkmalpflege, das Vorarlberger Architektur Institut (vai), der werkraum (ein Zusammenschluss herausragender Handwerker), die Tourismusbranche. Vor drei Jahren hat man sich konstituiert, bereits nach einem halben Jahr eine umfassende statistische Erhebung in Angriff genommen, die Grundlage für weitere Schritte wurde. Es folgte die Sammlung gelungener Beispiele, Fördermittel wurden verbindlich akquiriert, die Presse ist von Anbeginn eingebunden. Heute betreut die Initiative zehn Sanierungobjekte, begleitet gesamthaft, berät bei juristischen, finanziellen, gestalterischen und energetischen Fragen. Ein erstes Projekt, das komplizierte Eigentumsfragen zu klären hatte, ist abgeschlossen. Und im Mai fand ein erster internationaler Kongress zum Thema statt (Bauwelt 23.10), dem weitere überregionale Veranstaltungen folgen sollen. So wird bereits die Beschäftigung mit dem Thema zu einem Aspekt der Regionalentwicklung.
Abseits von ängstlichem Festklammern oder zwanghafter Besserwisserei
Ein solcher Erfolg kommt nicht von ungefähr. Man hat hier Erfahrung damit, Projekte als Mittel der Landesentwicklung einzusetzen. Man weiß hier, dass Gestaltung ein Produktivfaktor ist, weiß, dass Architektur wirbt, weil man sich immer mit dem Gebauten gezeigt hat. Das ist hier kein Know-how von Agenturen, sondern Bauherrenwissen. Und so gründet der Erfolg auf der intensiven Vorarbeit, die zahlreiche Bauherren mit ihren Architekten seit Jahren geleistet haben, indem sie ihr „altes Haus“ auf Vordermann gebracht, es erhalten, saniert und heutigen Bedürfnissen angepasst haben. Dass dies auf dem Niveau geschieht, wofür das Land mittlerweile international gerühmt wird (Bauwelt 22.06), kommt der Sache zugute, bewegt man sich doch gelassen und geübt im Spannungsfeld von modern und tradiert, abseits von ängstlichem Festklammern oder zwanghafter Besserwisserei. Bei allen Unterschieden, die auf diesem Weg sichtbar werden, lässt sich als Gemeinsamkeit ausmachen: Die Häuser eignen sich hervorragend zum Weiterbauen. Und, was keiner der Beteiligten so richtig erklären kann: Es entsteht etwas, das Neubau selten erreicht.
Vielfältiger Art sind die Eingriffe, und sie reichen – bei ein und demselben Objekt, demselben Bauherrn und Architekten – vom sorgsamen Bewahren bis zur freien Raumbildung. Gerade das springt ins Auge: In jedem Projekt stehen Räume, deren Restaurierung ohne sichtbare Spuren geschah, selbstverständlich neben solchen, die selbstbewusst die neue Zeit zeigen. Sichtbar wird das enorme Potential, das in diesen alten Volumina steckt – und der undogmatische Umgang, der ihnen angemessen ist. Angemessen deshalb, weil sich Bauen hier am Konkreten abarbeitet und entfaltet.
Die Gliederung des traditionellen Bregenzerwälder Hau­ses in die Zonen vornehme Stube, praktischer Flur, raumhaltige Tenne und schließlich Stall mit darüber liegendem Bergeraum wird mit unterschiedlichen Interventionen beantwortet. Den fein gearbeiteten, alten Stuben wird mit einer Haltung entsprochen, die von hohem Respekt für diese Denkmäler zeugt. Der Flur, der das Haus in ganzer Breite durchdringt, wird oft zu verbesserter Belichtung genutzt, mal wird die Fassade geöffnet, mal werden die Decken zurückgesetzt, mal wandert die Treppe hinaus – über die Trennwand zur Tenne, die das ursprüngliche Wohnhaus abschließt und die ihrer Rohheit wegen besonders herauszufordern scheint. Die Tenne selbst, die bis unters Dach reicht, reizt vielfach zu ganz eigenständigen, durch Galerien verbundenen Einbauten im Sinne von „Haus im Haus“, so sie nicht offener Bewegungs- und Begegnungsraum bleibt. Die Bergeräume verbleiben als Raumreserven für kommende Nutzer oder werden freie Raumgebilde, die vom üppigen Volumen großzügig Gebrauch machen.
Die auf den folgenden Seiten gezeigten Beispiele sind private Initiativen, mit viel eigenem Einsatz auf den Weg gebracht, selbst genutzt – und so meist den Blicken der Reisenden entzogen. Wer etwas von diesem Zusammenspiel von Ernsthaftigkeit und Freude am Aufbruch erfahren will, dem bieten sich dennoch Gelegenheiten. Die Gemeinde Schwarzenberg hat ihrer großen Tochter, der Malerin Angelika Kaufmann, ein Museum gewidmet, untergebracht in einem imposanten Bauernpalast. Museum und Werkstatt ist die „Juppenwerkstatt“ in Riefensberg, die sich als freies Raumgebilde in einem ehemaligen bäuerlichen Wirtschaftstrakt entfaltet. Zwei Gasthöfe legen Zeugnis ab für das ungezwungene Nebeneinander von Tradition und Moderne: der „Adler“ in Schwarzenberg, mit dessen Umbau vor 20 Jahren ein Zeichen gesetzt wurde für die Erneuerung von Wohnen und Handwerk, und die „Krone“ in Hittisau, die auch als Hotel all die genannten Tugenden zeigt – Wertschätzung des Bestands, Sorgfalt beim Umgang damit, Öffnung für Neues. Hier wie dort: ein Haus voller Spannung und Vitalität. Was sich auf den Speisekarten wiederfindet, wo man sich mit der Frage nach Alt oder Neu nicht lange aufhält – Qualität zählt.
Fakten
Architekten Dietrich Untertrifaller Architekten, Bregenz; Gruber Locher Architekten, Bregenz
aus Bauwelt 31.2010

0 Kommentare


x
loading

12.2025

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.