Bauwelt

Gutachten zur Sanierung der Geschwister-Scholl-Schule

Von der Bedeutung, richtig zu heizen

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Gutachten zur Sanierung der Geschwister-Scholl-Schule

Von der Bedeutung, richtig zu heizen

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Fünfzig Jahre nach der Fertigstellung und jahrzehntelangem "Flickwerk" soll die Geschwister-Scholl-Schule erstmals saniert werden. Spital-Frenking + Schwarz haben für die Modernisierung des Nachkriegsbaus eine denkmalgerechte Machbarkeitsstudie erstellt.
Die Schule sei eigentlich immer eine Baustelle gewesen, sagt Direktor Heinrich Behrens während der Pressekonferenz in der Aula, aber ohne ein Gesamtkonzept sei das Ergebnis immer Stückwerk geblieben. Tatsächlich beginnt die Sanierungsgeschichte der nach den Plänen von Hans Scharoun 1956–62 in drei Bauabschnitten errichteten Geschwister-Scholl-Schule in Lünen unmittelbar nach Aufnahme des Unterrichts; vor allem die Dichtigkeit der Dächer und Fenster war von Anfang an ein Problem. Wenn, wie geplant, im nächsten Jahr abermals Reparaturarbeiten in Angriff genommen werden, sind die Voraussetzungen allerdings andere: Die Wüstenrot Stiftung, bekannt für ihren beispielhaften Umgang mit Baudenkmälern, ist willens, die Schule im Westfälischen als Pilotprojekt für die Sanierung von Gebäuden der Nachkriegsmoderne in ihr „Pflegeprogramm“ aufzunehmen. Das Lüdinghausener Architekturbüro Spital-Frenking + Schwarz wurde beauftragt, eine Machbarkeitsstudie zu erarbeiten, deren Ergebnisse am 24. Januar vorgestellt worden sind.
Vier Gründe sind ausschlaggebend für das Engagement der Stiftung: der Rang des Baudenkmals, der sich nicht in der einmaligen Gestaltfindung eines ambitionierten pädagogischen Programms erschöpft, sondern gerade in seiner internationalen Beachtung begründet liegt (während das Gebäude in der Bundesrepublik ohne Nachfolge blieb – sieht man von Scharouns wenige Jahre später errichteten Schule im nahen Marl ab, die heute nicht weniger dringend der Sanierung bedarf –, wurde der Impuls der Schule in Skandinavien erkannt und ihr architektonischer Ansatz fortentwickelt); die Nutzung als Schule, die unbedingt gesichert werden sollte, da die hier verwirklichten Ideen längst nicht überholt und zu Ende gedacht sind; das Engagement der Stadt und nicht zuletzt das ihrer Bürger, wie es in der 2001 gegründeten Scharoun-Gesellschaft zum Ausdruck kommt. Die Identifikation der Schüler und Lehrer mit ihrem Gebäude fällt sofort auf: An den Wänden in der großen Halle hängen Bilder aus dem Kunstunterricht, die das Gebäude in seiner ganzen gestalterischen Vielfalt zeigen.
Bedingung des Engagements der Stiftung ist die Verpflichtung der Stadt Lünen, die Schule mindestens zwanzig Jahre lang weiterzuführen – angesichts der prognostizierten demographischen Entwicklung keineswegs eine Selbstverständlichkeit.Die Geschwister-Scholl-Schule, als Mädchengymnasium gebaut, wird heute zusammen mit dem benachbarten Gebäude der ehemaligen Realschule und einigen späteren Ergänzungsbauten als Gesamtschule betrieben und konkurriert als solche mit den in der Gunst von Eltern traditionell höher stehenden Gymnasien.
Scharoun bot der Auftrag Gelegenheit, seinen beim Darmstädter Gespräch „Mensch und Raum“ 1951 vorgestellten Entwurf für eine Volksschule weiterzuentwickeln. Wie bei jenem damals viel diskutierten Projekt – Paul Bonatz beispielsweise warnte seinen Berliner Kollegen davor, die Aufgabe zu „zerdenken“, und erinnerte sich wehmütig an das traditionelle Schulhaus seiner Kindheit – bildet auch in Lünen eine lang
gestreckte Halle das räumliche Rückgrat der Anlage. Im unrealisiert gebliebenen Entwurf von 1951 als „Weg der Begegnung“ bezeichnet, grenzten an die Halle drei in sich abgeschlossene „Schulschaften“ als „geheime Bezirke“ an, die die Schüler jeweils über eine „Pforte“ betreten sollten. Ganz ähnlich die Gliederung in Lünen: Von der parallel zur Holtgrevenstraße angeordneten Begegnungs- und Pausenhalle zweigen nach Süden zwei Äste mit den „Klassenwohnungen“ der Unter- und Mittelstufe ab; am westlichen Ende befindet sich die Aula, die aus Kostengründen allerdings nur in einer reduzierteren Variante ausgeführt wurde. Was Scharoun an dieser Stelle vorgeschwebt haben mag, kann man ahnen, wenn man die Schule in Marl betrachtet: Dort findet sich nicht weniger als eine kleine Schwester der Berliner Philharmonie. Auf der
Nordseite, zur Straße hin, stülpen sich die hörsaalartig gestalteten Fachräume für den naturwissenschaftlichen Unterricht in den Stadtraum – für ein Mädchengymnasium seinerzeit eine geradezu programmatische Geste eines neuen Bildungsbegriffs. Die Räume der Oberstufe sowie die Ateliers für den Kunstunterricht befinden sich im Obergeschoss. Allen „Klassenwohnungen“ gemein ist ihre räumliche Vielgliedrigkeit. Vom Klassengang betreten die Schüler zunächst einen Garderobenraum. Das eigentliche Klassenzimmer erhält über Oberlichter von allen Seiten Licht und erweitert sich in einen stumpfwinklig angefügten, intimeren Gruppenraum. Beide Räume öffnen sich mit großen Fenstern in einen der Klassengemeinschaft zugeordneten Gartenhof, der mit einer Sitzbank vom Schulhof abgetrennt ist.
Für die bevorstehende Sanierung sollte sich das jahrzehntelang praktizierte „Flickwerk“ als segensreich erweisen. Die Architekten stießen in einem jeden Raum auf Spuren der bauzeitlichen Ausstattung, die auf den ursprünglichen Zustand der Schule schließen lassen: Hier war noch eine Deckenverkleidung erhalten, da noch ein Einbauschrank, hier noch eine Leuchte, da noch ein Fenster. Die Geschwister-Scholl-Schule, so wie sie sich heute dem Besucher darstellt, ist mithin nicht nur ein Dokument ihrer Entstehungszeit, sondern auch ihrer fünfzigjährigen Nutzung und fortwährenden Reparatur. Als solches soll ihr mit der bevorstehenden Erneuerung Respekt gezollt werden: Es gehe nicht um einen Rückbau auf 1958, versichern die Architekten, sondern um eine Annäherung, und zwar mit durchaus unterschiedlichen Schwerpunkten. Die große Halle etwa, die mit einem roten Sockelanstrich ihrer ursprünglich zonierten Gestaltung beraubt wurde, soll als der zentrale Raum der Schule möglichst weitgehend in ihrer einstigen Qualität wiederhergestellt werden, in den Klassenwohnungen hingegen wird den Schülern auch künftig ein gewisser Gestaltungsfreiraum gewährt.
Der wichtigste räumliche Eingriff ist neben der Wiederherstellung des Farbkonzeptes in der Halle der Abriss der Anfang der siebziger Jahre unmittelbar neben dem Haupteingang eingerichteten Klassenräume. Durch sie ging der Blick aus der Halle auf den vorgelagerten Schulhof und hinüber zur Kirche verloren. Wichtigste technische Maßnahme ist die Rückkehr zu dem von Scharoun konzipierten Heizungs- und Lüftungssystem in den Klassenräumen. Zu Beginn der neunziger Jahre war die Gasluftheizung außer Betrieb genommen und durch eine konventionelle Radiatorenheizung ersetzt worden – mit fatalen Folgen für das Raumklima und den Zustand der Architektur.
Das ursprüngliche, aus Warmluftkanälen im Boden und Luftauslässen unterhalb der Schwingfenster bestehende System führte im Winter warme, im Sommer kühle Luft an die bauphysikalisch problematischen Details der Fassade und schützte sie auf diese Weise gegen Korrosion. Außerdem garantierte Scharouns Konzept, dass auch in den innen liegenden Bereichen der Klassenräume ein ausreichender Luftwechsel
stattfand, was seit der Umstellung auf Radiatoren nicht mehr der Fall ist. Ob die noch im Boden vorhandenen Blechrohre wieder in Betrieb genommen werden können oder ersetzt werden müssen, ist freilich noch nicht klar. Eine notwendige Erneuerung könnte das raumklimatische Konzept gefährden, pocht die Denkmalpflege doch auf den Erhalt des bauzeitlichen Fußbodens. Die bislang durchgeführten endoskopischen Untersuchungen lassen allerdings hoffen, dass die alten Kanäle genutzt werden können. Zusammen mit einer neuen Isolierverglasung – denkmalpflegerisch unbedenklich, da die ursprünglichen Gläser im Zuge der Umstellung von Schwing- auf Drehbeschläge in den siebziger Jahren ausgetauscht worden sind – könnte so auf zusätzliche Dämmmaßnahmen verzichtet werden.
Noch in diesem Jahr soll eine Klassenwohnung als Musterraum wiederhergestellt werden; der Abschluss der Sanierung bei laufendem Betrieb ist für das Jahr 2012 geplant. Voraussetzung ist, dass der Rat der Stadt der Sanierung zustimmt. Die Gesamtkosten sind mit acht Millionen Euro veranschlagt, davon wird die Stadt Lünen immerhin die Hälfte tragen müssen, die andere Hälfte teilen sich die Wüstenrot Stiftung und das Land Nordrhein-Westfalen. So schwer die Sanierung den Haushalt auch belasten mag – das Sanierungskonzept ist nicht weniger als die Chance, das architektonisch wertvollste Gebäude der Stadt langfristig zu erhalten.
Fakten
Architekten Scharoun, Hans (1893-1972); Spital-Frenking + Schwarz, Lüdinghausen
aus Bauwelt 8.2008
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