Bauwelt

Es bedarf der Zuwendung

Text: Kotzan, Lydia, Berlin

Es bedarf der Zuwendung

Text: Kotzan, Lydia, Berlin

Der Umgang mit Leerstand in ländlichen Regionen wird zu einer immer brisanteren Aufgabe. Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz lenkt die Aufmerksamkeit auf Initiativen gegen den Verfall von Denkmälern an der Oberweser.
Verlassene Straßenzüge, unbewohnte Altbauten und leerstehende Geschäfte – dieses Bild begegnet einem schon lange nicht mehr allein in den neuen Bundesländern. Auch struktur­schwache westliche Regionen sind von schwindenden Bevölkerungszahlen und all den Folgen betroffen. Doch wie kann das Problem des Leerstands und des damit einhergehenden Verfalls angepackt werden? Eine allgemeingültige Antwort gibt es nicht, individuelle Lösungen sind gefordert.
 
Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz zeigte auf einer Fahrt durch den ländlichen Raum Niedersachsens die Vielschichtigkeit des Problems. Alterung, Abwanderung und Arbeitslosigkeit, wesentliche Ursachen für den Leerstand, werden in den Gemeinden unterschiedlich wahrgenommen und bekämpft. Ersichtlich wird aber, dass das Gedeihen eines Ortes abhängig ist von der Initiative der Bürger und ihrer Su­che nach ungewöhnlichen Ideen für Nutzung und Finanzierung. Das Paradebeispiel hierfür ist das Dorf Hemeln, in dem fast kein Leerstand zu verzeichnen ist. Die meisten der historischen Fachwerkhäuser sind denkmalgerecht saniert. Zu verdanken ist dies in erster Linie einem pensionierten Architek­ten im Ort, der für das Wohnen im denkmalgeschützten Fachwerkhaus wirbt, die Bürger anleitet und sie in planeri­scher und wirtschaftlicher Hinsicht berät. Das ganze Gegenteil: der Ort Bodenfelde, wo die Baupolitik auf ein Wachstum auf der Grünen Wiese setzt und darüber den Ortskern verwahr­losen lässt. Ausgewiesene neue Baugebiete für Eigentumswoh­nungen und große Einkaufscenter am Dorfrand fördern Leerstand und Verfall von Fachwerkhäusern im Dorfkern und bewirken, dass dieser immer unattraktiver wird. Die Folgen: Die Hälfte der Wohnungen im Zentrum steht leer, und noch nicht einmal Radtouristen verirren sich in den leblosen Ort, der doch von seiner unmittelbaren Lage an der Weser profitieren könnte. Ein angepasster Flächennutzungsplan, der der Zersiedlung entgegenwirkt, wäre hier ein erster Schritt. Das Thema Abriss wurde in keinem der Orte angesprochen, zu radikal scheint wohl den meisten ein solcher endgültiger Abschied von der eigenen Geschichte. In den neuen Bundesländern, in denen schon seit 2000 mit dem „Stadtumbau Ost“ auf den Wohnungsleerstand reagiert wird, machen die IBA-Städte (Bauwelt 17–18.10) vor, wie Schrumpfung auch als Prozess verstanden werden kann und die Bürger Veränderungen nicht nur erdulden, sondern verantwortlich gestalten.
 
Vor allem unkonventionelle Strategien können Verbesserung bewirken. Birgit Franz, Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim, Holzminden und Göttingen, lenkte mit einem Vortrag im Rahmen der Fahrt zum Thema „Wie überleben unsere Baudenkmale?“ die Aufmerksamkeit auf außergewöhnliche Projekte, die das Inter­esse der Öffentlichkeit wecken und die Bürger einbinden. So schlug etwa die Architektengruppe Cityförster (Bauwelt 19.10) mit ihrem Beitrag zum Ideenwettbewerb „Entsorgungspark für funktionslose Kunst“ des Kunstvereins Hildesheim e.V., der Universität Hannover und der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig vor, Skulpturen im Stadtraum von Hannover unter Sandbergen zu vergraben, um den öffentlichen Diskurs anzuregen. Die Bürger sollten entscheiden, welches Denkmal sie als erhaltenswert einstufen, indem sie es wieder befreien. Auch wenn Hannover als Großstadt von Abwanderung und Leerstand nicht erheblich betroffen ist, so lässt sich die Strategie, die Verantwortung der Bürger zu fördern und das Bewusstsein für Denkmäler zu wecken, auch auf kleine Gemeinden übertragen. Für den Erhalt und die Sicherung von Altbauten an städtebaulich bedeutsamen Lagen setzt sich der in Leipzig gegründete Verein „Haushalten e.V.“ mit dem Modell der „Wächterhäuser“ ein. Er versucht den weiteren Verfall eines Gebäudes durch dessen Vermittlung an neue, kreative Nutzer zu verhindern, die zu Wächtern des Hauses werden und lediglich die laufenden Kosten übernehmen müssen. In Leipzig konnten mit dieser lebendigen Nutzung jenseits eines herkömmli­chen Mietverhältnisses schon dreizehn Häuser gerettet werden. Fünf weitere ostdeutsche Großstädte haben sich mittlerweile ebenfalls des Modells angenommen.
 
Eine andere bemerkenswerte Bewegung ist die „Città Slow“ – „Die internationale Vereinigung lebenswerter Städte“. Das 1999 in Orvieto gegründete Netzwerk, in dem sich inzwischen bereits 100 Kleinstädte aus acht europäischen Ländern zusammengeschlossen haben, setzt auf Bewahrung und Stärkung von regionalen Traditionen. Die Konzentration auf lokale Besonderheiten soll die Identität der Städte fördern und die Anwohner wieder mehr an ihren Ort binden. Symbol der „Città Slow“ ist eine orangefarbene Schnecke, die Langsamkeit verkörpert. Ein Begriff, der für uns mit Fortschritt schwer vereinbar scheint, aber eben Lebensqualität fernab von Hektik bringen kann. Das Innehalten und Sich-Besinnen auf einen verkehrsberuhigten Dorfkern mit kleinen Läden, die regionale Produkte vertreiben, im Gegensatz zu Großmärkten und Mobilität am Ortsrand, wäre auch für Bodenfelde ein möglicher Ansatz, um den Dorfkern mit seinen Fachwerkhäusern wieder aufblühen zu lassen.

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