Bauwelt

„Wieder verwenden, was schon gute Dienste geleistet hat“


Florian Aicher im Gespräch mit Arno Lederer


Text: Aicher, Florian, Leutkirch


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    Foto: Roland Halbe

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    Arno Lederer im Ausstellungsraum
    Foto: Anja Köhler

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    Arno Lederer im Ausstellungsraum

    Foto: Anja Köhler

Arno Lederer plädiert vehement für Wiederverwendung und nennt große Vorbilder. Am 8. März wurde sein jüngster Bau eröffnet, das Kunstmuseum in Ravensburg.
Das neue Kunstmuseum in Ravensburg ist schon jetzt ein Publikumsmagnet. Angesichts des Gebäudes drängen sich drei Stichworte geradezu auf: Kubus, Ziegel, Bogen.
Alle drei sind wesentlich für das Haus – und für unsere Arbeit. Es sind drei Ideen, die uns leiten. Am Anfang steht: zuerst die Stadt, dann das Haus. In Ravensburg sind wir in einer mittelalterlichen Stadt, und da gilt: Kubus, Stein, Bogen. Das ist vertraut.
Der Bau folgt im Erdgeschoss dem städtischen Grundstück, darüber erhebt sich ein stereometrischer, geschlossener Körper in den Proportionen 1:3:1, darüber die Bögen des Dachs. So einfach?
Gewiss, eine Klarheit, die am Ende eines Wegs steht, der nie einfach ist. Grundlegende Idee war ein größtmöglicher rechwinkliger Raum für Ausstellungen. Auf dem Niveau der Straße, die stark abfällt und eine Kurve nimmt, ging das nicht. Also, ideale Räume oben. Restflächen des Grundstücks nehmen die Erschließung auf.
Dazu kommt ein kleiner Hof, ...
... der als urbanes Element sehr wichtig ist. Der sortiert als Bindeglied zwischen öffentlichem, halböffentlichem und geschlossenem Raum.
Die Erschließung erkennbar auszulagern, gleicht dem Konzept des Centre Pompidou in Paris.
Von der Grundrisstypologie, ja. Das reicht bis zum Dom-Ino- Haus von Le Corbusier zurück, mit seinen Platten und der seitlichen Erschließung. Im Unterschied dazu haben wir keinen Bau auf Stützen. Die Lasten werden ganz herkömmlich über Außenwände abgetragen – ein klassisches Haus.
Auch dieses dienende Bauteil ist ein Körper, geschlossen, ohne jede technoide Rhetorik, wenige Fenster, präzise gesetzt, die etwas über das Innere andeuten.
Geschlossenheit, das ist unsere zweite Leitidee. Anders gesagt: Innen ist nicht außen. Wir streben nicht nach Transparenz, sondern wollen etwas erzählen. Uns liegt an dem überraschenden Erlebnis, wenn man das Haus betritt.
Der Bau wird von Backstein geprägt.
Es sind Altziegel mit ganz eigenem Reiz. Ein Aspekt, der uns seit langem umtreibt: Wir möchten im Bauen dem Verwerten gegenüber dem Produzieren wieder mehr Bedeutung geben. Bis ins frühe 20. Jahrhundert war es ja selbstverständlich, Baumaterial aus abgehenden Häusern wieder zu verwenden.

Wiederverwertung, Stoffwechsel, Umformung, Formwechsel statt Neuschaffung; den Umgang mit Baustoffen sorgsamer und bewusster gestalten. Ist das die Botschaft des Hauses?
Absolut. Stoffwechsel, Kreislauf, Umwandlung, nicht un­nötig belasten, einfache Lösungen suchen. Unsere Ziegel waren bereits da. Also nehmen wir die. Daran ist nichts Sensa­tionelles. Was sind für herrliche Nachkriegsbauten aus Trümmern entstanden. Der Ziegelsplit-Beton von Gottfried Böhm – ein ästhetischer Genuss, der den Kreislauf spüren lässt und unmittelbar zu kultureller Nachhaltigkeit, zu Geschichte wird.
Energetisch bauen: Entropie vermeiden statt technisch auf­laden. An kulturelle Ressourcen anknüpfen statt eine Architektur für jeden Tag?
Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen etwas anderes wollen. Keine Sachlichkeit, die – um mit Ernst Bloch zu sprechen – „sich als Staubsauger geriert, seelenlos, reisefertig, Lichtkitsch“. Die Suche nach Geschichte kann man nicht als bloß romantisch abtun. Wenn wir unser Dasein befragen, spielt das Woher und das Wohin herein. Geschichte, die sich in der alten Stadt zeigt, ist kein sentimentales Konstrukt. Sie ist zutiefst in uns, so sehr, dass wir uns nicht von ihr lösen können; worüber wir verfügen, das haben wir nicht von jetzt ab, sondern es kommt von lang her. Bewusst damit umgehen, weniger die Welt nach unserem Verstand richten, das ist geboten.
Die Materialisierung von Geschichte im Ziegel – da liegt Hans Döllgast nahe.
Das ist ein Bezugspunkt. Wir fragen uns: Muss man einem Bau seine Entstehungszeit ansehen können. Vor Döllgasts Privathaus wird die Frage, wann es gebaut wurde, unsinnig: Es ist da! Ebenso vor der Pinakothek: Wie selbstverständlich steht die da. Wir halten es für eine Qualität, wenn sich die Frage nach der Entstehungszeit nicht aufdrängt. Zeitgemäß – was für ein verfängliches Wort.
Döllgast spricht gelegentlich von Werkkunst – Werk wie Handwerk, Kunst wie bildhafte Verdichtung. Hier Übung und Konvention, dort Geistesblitz, Invention. Widerspricht sich das nicht?
Es gibt diese zwei Welten, doch die sind aufeinander bezogen.
Einerseits Döllgasts Nähe zum anonymen Bauen, andererseits seine Klage über eine sauertöpfische Generation, die Sauberkeit und Berechenbarkeit der Heiterkeit preisgibt. Persönlich und anonym? Das Döllgast-Dilemma? An anderer Stelle sagt er „charakteristisch“ ...
Ein guter Charakter heißt: Ich bin einer von vielen. In der Stadt bauen heißt für mich: keine Diva, sondern Teil eines Ganzen zu sein. Dass ich nicht aus der Reihe tanzen will bedeutet ja nicht, dass ich nicht in Erscheinung treten darf. Wie wir miteinander umgehen, welcher Formen wir uns bedienen, um miteinander artikulieren zu können, das erfordert Kultur, Sprache, Niveau. Ausgleichen und Unterscheiden: Beides – das ist Charakter.
Das Typische wird erst in persönlicher Artikulation lebendig. Da ist der Empfangstisch des Museums: Selbstverständlich leistet der, was ein typischer Tisch an einem solchen Ort leisten soll, doch er ist mehr, er ist ein einzigartiges Gebilde, nicht nur wegen des Betons, sondern wegen seiner räumlichen Entfaltung, seiner Geste.
Im Büro sagen wir: Aufgabe, Ort, Geschichte – das formt. Die Aufgabe, an erster Stelle, die nehmen wir sehr ernst. Der Tisch hebt die Dinge vom Boden, er empfängt, breitet die Arme aus, lädt ein. Er beschränkt sich nicht darauf zu funktionieren, er verhält sich, macht eine Geste, hat Proportion, ist schön. Ein starker Rumpf, fest im Boden verankert, verbunden mit Läufer und Tür. Auf der anderen Seite: Er verbirgt auch, was nicht jeder sehen muss, mit kräftigen Armen. All das lässt sich mit Beton in eine Form gießen. Die Form ist von Hand gemacht, der Gegenüber spürt diesen Einsatz, die persönliche Hingabe – es ist mit Liebe gemacht. Hätte man das in der Moderne sagen können?
Das scheint nicht in die postulierte Kultur der industrialisierten Gesellschaft zu passen. Handwerk dagegen ist ohne Einsatz der Person nicht denkbar; das Allgemeine und das Persönliche sind in der Praxis präsent. Freilich: Da gibt es eine große Brandbreite – von der Anonymität eines Rudofsky bis zur Ästhetisierung eines Scarpa.
Man muss auf der Hut sein vor Verkünstelung – wir bemühen uns um direkte Lösungen, etwa die Vermauerung des Ziegels oder um Details wie das Geländer. Nicht Parfüm, sondern eine anständige Handcreme, die gut tut. Mehr Schwarzbrot – Konditoreiware gibt es heute genug. Natürlich: Da wirken Vorbilder, die Bauten von Sigurd Lewerentz in Stockholm oder in Klippan, zum Beispiel. Und genau besehen zeigt sich in dem auf den ersten Blick Derben etwas ganz Feines – fein vielleicht eher im Sinn von frisch und ursprünglich, wie ein Radieschen, das ich frisch aus dem Boden gezogen habe – außen noch mit Erde, innen rosa.
Der Ziegel prägt das Ravensburger Haus. Zu sehr, so lautet die Kritik, insbesondere bei der Decke des obersten Raumes.
Wenn man das Haus erklommen hat, darf man spüren, dass man im letzten Geschoss angelangt ist. Wenn ich durch die tapezierten Räume eines normalen Hauses emporsteige, treffe ich zum Schluss auf einen Dachstuhl. Alvar Aalto zeichnet sogar den Saal seines Rathauses in Säynätsalo mit einer solchen Decke aus. Das Dach ist ein besonderer Teil des Hauses, das soll man erleben. Und in einem steinernen Haus das Dach zu wölben, schien uns angemessen. Backstein pur. Man kommt oben gewissermaßen zu der kräftigen Hülle, durch die man unten bei der Tür geschritten ist, zurück. Stärker sogar, durch die Form des Bogens. Im Eupalinos gibt es diesen Dialog: ‚Ist der Stein verantwortlich für das Gewölbe? Nein, es ist der Bogen. Was macht den Bogen? Es ist der Stein.‘
Also, beides! Stein und Bogen, Teil und Ganzes, Kleines und Großes. Unsinn, das auseinander zu reißen.
Einmal mehr ein Wechselspiel. Stoffwechsel und Formenwandel klingt da an. Gewölbe oder Schale?
Es ist ein reines Gewölbe, keine Schale, wie sie Eladio Dieste so bewundernswert in Ziegel gemacht hat. Andere, Gaudí,
Le Corbusier, haben damit experimentiert; das ist nicht neu. In unserem Fall wären preußische Kappendecken am passendsten, aber was erlaubt dieses Prinzip! Auch da: Auf die besondere Ausformung kommt es an. Aus langer Erfahrung wissen wir, welch schöne Atmosphäre unter einem solchen Gewölbe entsteht; vorausgegangen waren Experimente mit gereihten Fertiggewölben. Hier dagegen ist es ein Spiel mit wechselnden Radien und Richtungen. Und das ist regelrecht mit Hilfe einer eingestellten Schalung zwischen die Stahlträger gemauert.
Handwerk bis unters Dach, Vertrauen in den Stoff, in die Kraft des Materials. Ist das Ihre Antwort auf die Energiefrage?
Ja, absolut! Man kann sagen: Weil die druckbeanspruchte, massive Konstruktion einfach länger hält – materiell wie kulturell. Sie verbraucht weniger Energie und hält sie auch besser im Haus. Das Haus löst die Energiefrage, nicht die Technik, die ich hineinstopfe.
Das klingt nicht nach heute üblichem Baubetrieb.
Wir hatten das außerordentliche Glück, mit einem wunderbaren Bauunternehmen und dessen hervorragendem Meister zusammenarbeiten zu können. Der hat das Gewölbe ausgeführt, es sogar mitentwickelt, Alternativen überlegt, bei der Wahl der Steine mitgesprochen.
Woher kommen die Steine?
Die kommen von einem Klosterabbruch nahe der belgischen Grenze. Wenn man sich vorher Zeit nimmt und beim richtigen Baustoffhändler fragt, findet man so etwas. Wir bedauern sehr, dass der Weg so weit war – Steine aus der Nähe wären uns lieber gewesen. Aber da hat man meist keine große Wahl. Und, hat man das Material gefunden, muss es erst mal geprüft werden – ein Aufwand, der der Wiederverwendung sehr abträglich ist. Natürlich gab es beim ersten Bau keine DIN, und das heutige Auftürmen von Zertifizierung auf Zertifizierung wird als Widerstand der Industrie erlebbar. Man will ja neue Produkte verkaufen. Wieder verwenden, was schon gute Dienste geleistet hat: Das geht nur mit engagierten Bauherrn und vor allem guten Bauhandwerkern. Und dann kehrt mit einem Mal wieder, was in unserem Baubetrieb der Regularien, Budgets und Spezialitäten verloren schien – die Lust am Bauen. 



Fakten
Architekten Lederer, Arno, Stuttgart
Adresse Kirchstraße 16 88212 Ravensburg


aus Bauwelt 14.2013
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