Bauwelt

Und es geht doch!

Mit Vernetzung und Willen zum Konsens betreibt Arnsberg seit über 20 Jahren Stadtentwicklung. Partizipation ist dabei ausdrücklich erwünscht

Text: Hartmann, Karin, Paderborn

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Ein Vormittag mitten in der Woche auf einem der neu gestalteten Stadtplätze von Arnsberg. Hier gibt es freies WLAN.
Foto: Karin Hartmann

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Foto: Karin Hartmann


Und es geht doch!

Mit Vernetzung und Willen zum Konsens betreibt Arnsberg seit über 20 Jahren Stadtentwicklung. Partizipation ist dabei ausdrücklich erwünscht

Text: Hartmann, Karin, Paderborn

Der ländliche Raum ist selten ein Vorzeigestandort für gut gestaltete Lebensräume. Er ist eher Gegenstand von Förderprogrammen und Konferenzen, auf denen man sich um zersiedelte Landstriche und um Wohngebiete sorgt, die immer leerer werden. Arnsberg ist anders. Die 70.000-Einwohner-Stadt in Südwestfalen betreibt schon seit 20 Jahren nachhaltige Stadtentwicklung, Baukultur und Baukunst. Das vom Stadtplaner und Planungsdezernenten Thomas Vielhaber mitentwickelte „Arnsberger Modell Baukultur“ vereint frühzeitige Bau- und Gestaltungsberatung mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit und einem Beirat für Stadtgestaltung.
In den neunziger Jahren bot Arnsberg ein trostloses Bild. Die schrumpfende Stadt hatte sich dezentral über 30 Kilometer entlang von Möhne und Ruhr entwickelt. Die Industrie ging zurück, innerörtliche Verbindungen zerbrachen, den zersiedelten Stadtteilen drohten Funktionsverluste in den Zentren. Angesichts des Bevölkerungsrückgangs entschlossen sich Verwaltung und Politik im Jahr 2000, ein Stadtentwicklungsprogramm zu er-arbeiten und die drei größten Stadtteile mit einem klaren Profil zu versehen. Neheim sollte Einkaufsstadt werden, Alt-Arnsberg als Kultur-, Tourismus- und Verwaltungsort gestärkt und Hüsten als Schwerpunkt für Gesundheit und Sport entwickelt werden. Das Ziel: gegenseitige Kannibalisierungseffekte minimieren und durch die Funktionsbündelung ein größeres Angebot in den drei Stadtzentren ermöglichen.
Das Programm wurde Schritt für Schritt umgesetzt. Alt-Arnsberg konzentriert IHK, NRW-Bezirksregierung Arnsberg und Schulbauten in der schö-nen Altstadt. In Neheim wurde die Fußgängerzone neu gestaltet, einige niedrige Altbauten wichen einer höheren Neubebauung. Für neuralgische Punkte wurden Wettbewerbe und Werkstattverfahren durchgeführt. Die sanierungsbedürftigen Schwimmbäder in den Stadtteilen wurden geschlossen, um Kosten zu sparen und die Sport- und Gesundheitsfunktionen in Hüsten zu konzentrieren, wo neben Gradierwerk und Leichtathletikflächen ein großes Bad im neu gestalteten Sport- und Solepark „Grüne Wiese“ entstand. Durch persönliche Ansprache und Öffentlichkeitsarbeit versuchte man, private Investoren für Bauqualität zu begeistern. Mittel aus dem ExWoSt-Förderprogramm „Baukultur in der Praxis“ nutzte man, um einen externen Beirat für Stadtgestaltung zu installieren. Nach Ablauf des Modellvorhabens erkannte die Stadt den Vorzug der ausgegliederten Leistung und finanzierte den Beirat daraufhin ab 2012 selbst. Seit Ende September finden dessen Sitzungen öffentlich statt – Partizipation ist ausdrücklich erwünscht.
Ortstermin Alt-Arnsberg. Initialzündung für die weitere Entwicklung war der Umbau des Klosters Wedinghausen. Als Bestandteil des Masterplans Altstadt bauten die Kölner Architekten Gerhard Kalhöfer und Stefan Korschidgen 2003 den barocken Dachstuhl zum Stadtarchiv aus und errichteten im Innenhof ein Glashaus. Sie entschieden sich gegen die Rekonstruktion des zerstörten Südflügels und definierten den Klosterhof neu. Neben dem „Lichthaus“ entstand ein „Gartenzimmer“, ein kleiner öffentlicher Garten, der zum Verweilen einlädt. Die Freiraumgestaltung wurde im Landeswettbewerb „Stadt macht Platz – NRW macht Plätze“ 2003 ausgezeichnet und konnte durch die anschließende Förderung realisiert werden. In Verbindung mit dem daneben liegenden Gymnasium entstand ein lebendiger Ort mitten in der Altstadt. Auf dem nahe gelegenen Neumarkt in der unter der Leitung von Karl Friedrich Schinkel konzipierten klassizistischen Stadterweiterung sitzen Schüler und Passanten auf breiten Stadtsesseln und genießen das freie WLAN. Rückseitig der gut erhaltenen klassizistischen Straßenhäuser fanden sich einst die Bürgergärten mit hübschen Lauben, deren Zweck es war, als „grüne Refugien der Freude, Schönheit und Erbauung“ zu dienen. Zwei Gartenhäuser konnte die Stadt 2005 erwerben und renovieren, als kleiner öffentlicher Park sind die Parzellen zur Ruhr nun zugänglich. Für die Bürgergärten erhielt Arnsberg 2012 den Nationalen Preis für integrierte Stadtentwicklung und Baukultur.
Ortstermin Ruhr. Die Ruhr, das verbindende Band der Stadt, war bis vor zehn Jahren verbaut, kanalisiert und der Stadt abgewandt. In der Stadt hieß es „Arnsberg hat die Ruhr versteckt“. 2004 entstand die Idee der Ruhrrenaturierung und mit ihr der Masterplan Ruhr, der auch zum Ziel hatte, den Fluss zu renaturieren, zugänglich und erlebbar zu machen. Neben dem Einsatz von EU-Fördermitteln entwickelte die Arnsberger Verwaltung aus den obligatorischen Ausgleichsflächen bei Neubebauungen ein System der Umrechnung von Ökopunkten auf Flussrenaturierungsflächen – eine Bewertung, die beim Land NRW als Vorlage diente, auf diesem Weg weitere Renaturierungen zu ermöglichen. Heute bildet die Ruhr eine grüne Verbindung entlang der Stadtteile – durch die Anbindung an den RuhrtalRadweg ist ein attraktives Naherholungsgebiet erstanden.
Ortstermin in Arnsberg-Neheim.Das Angebot der Einkaufsstadt Neheim geht heute weit über den Standard hinaus und kommt ohne Shoppingmall aus. Fachhandel und Spezialangebote bieten einen Funktionsmix, von dem manch verwaiste Mittelstadt nur träumen kann.
Arnsberg ist ein Vorbild für schrumpfende Mittelstädte, die sich über die Erschließung neuer Bau- und Gewerbegebiete und leider oft zu Lasten ihrer Innenstädte entwickeln. Der Aufwand hat sich gelohnt, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Natürlich gibt es Abstriche bei Qualität und Ausführung. Nicht jeder Investor lässt sich begeistern und manche Standorte werden politisch entschieden. Bei der Größe einer Stadt wie Arnsberg kann Baukultur nur im Prozess und mit der Bevölkerung und allen Beteiligten gelingen. Im Ergebnis entsteht nicht immer Hochkultur. Aber ist das nicht besser, als nur Leuchttürme zu bauen?

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